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MusikEuropa

Anschlag in Moskau: Welche Rolle spielt die Band "Piknik"?

Anastassia Boutsko
24. März 2024

Mindestens 137 Menschen sind bei dem Anschlag auf die "Crocus City Hall" in Moskau ums Leben gekommen. Auf der Bühne sollte am Freitag die russische Rockband "Piknik" stehen. Was hat ihr Auftritt mit dem Angriff zu tun?

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Edmund Shklyarskiy, Sänger der russischen Rockband "Piknik", steht auf der Bühne mit seiner E-Guitarre
Edmund Shklyarskiy ist der Sänger der russischen Rockband "Piknik"Bild: Piknik

Vier Verdächtige sind einem Gericht in der russischen Hauptstadt vorgeführt worden. Die vier Tadschiken wurden dabei am Sonntagabend vom Gericht des Bezirks Basmanny formell der Beteiligung an einem terroristischen Angriff beschuldigt. Ihnen drohen demnach lebenslange Haftstrafen. Gleichzeitig fragt man sich, warum die Terroristen ausgerechnet dieses Konzert als Anschlagsziel am Freitagabend (22. März) gewählt haben. Galt der Anschlag auch der Band Piknik? 

"Fürchte nichts, fürchte nichts - Kein Feuer, kein klingelnder Schatten. Du bist ja kein rosiges Kind mehr. Wasch dich mit eigenem Blut am Morgen. Und schüttle den blühenden Tag". So lauten einige Textzeilen in dem am 7. März, also gerade frisch veröffentlichten Song der Gruppe "Piknik", auf dem YouTube-Kanal der Gruppe. Zeilen, die gerade im heutigen Russland wie eine Prophezeiung klingen.

Mitglieder der Band Piknik blieben unverletzt

"Wir sprechen den Familien und Freunden der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus. Wir beten für die baldige Genesung der Verletzten. Wir sind zutiefst erschüttert über diese schreckliche Tragödie und trauern mit Euch...", heißt es auf der Website der Band, deren Mitglieder unverletzt blieben, weil sie sich in der Garderobe verschanzen konnten. Die Band Piknik gehört zu den Urgesteinen der russischen Musikszene. Sie steht für progressiven Rock. Gegründet 1978 in Sankt Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, nannte sich die Formation zunächst Orion, bis sie sich 1981 in Piknik umbenannte. Beide Namen gehen auf den für die sowjetische Rockszene typischen Trick zurück, Namen zu wählen, die westlich klingen, aber nicht verboten werden konnten.

Edmund Shklyarsky von der Rockband "Piknik" mit Gitarre auf der Bühne während eines Auftritts
Edmund Shklyarsky musst mit Piknik jahrelang im Untergrund auftretenBild: picture alliance/Photoagency Interpress

In den 1980er-Jahren geriet Piknik jedoch auf die Liste von Bands, denen große öffentlichkeitswirksame Auftritte verwehrt wurden. Ihre Liebe zu Vorbildern wie Led Zeppelin lebten die Musiker und ihr Publikum deshalb in Rockclubs aus, teilweise im Untergrund.

Seit 1982 ist der Sänger und Songwriter Edmund Shklyarsky als Bandleader dabei. Der Sohn eines renommierten Wissenschaftlers und einer Klavierprofessorin legt Shklyarsky großen Wert auf seine polnischen Wurzeln und seinen katholischen Glauben. Seine Inspirationsquellen waren schon in jungen Jahren nicht nur die Rolling Stones und The Animals, sondern auch die russische Avantgarde-Poesie.

Piknik-Mitglieder gelten als Kriegsbefürworter

Edmund Shklyarsky ist nur selten als Interviewpartner zu bekommen und bleibt immer sehr wortkarg. Öffentliche Statements zum Ukraine-Krieg gab es seitens der Band nie. Im Mai 2023 lobte dennoch der russische Schriftsteller und nationalistische Aktivist Sachar Prilepin den Bandleader für seine Haltung: Shklyarsky würde die "Sonderoperation" in der Ukraine aktiv unterstützen, unter anderem mit Geldspenden, so Prilepin. Dies sei die "normale Position eines russischen Mannes und eines russischen Musikers", so Prilepin. 

Eine Aussage, die von den Piknik-Mitgliedern nie dementiert wurde. Allein der Auftritt auf einer renommierten Bühne wie der Crocus City Hall in Moskau ist eindeutig als Loyalitätsbeweis der Band gegenüber der russischen Staatsmacht zu bewerten. Denn gerade von der russischen Rock- und Popszene wurde mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ein klares Bekenntnis verlangt. Musiker und Bands, die sich gegen den Krieg positionierten - darunter russische Stars wie Boris Grebenschikow ("Aquarium"), Juri Schewtschuk ("DDT") oder Zemfira - mussten das Land verlassen und einen Karriereknick hinnehmen. Auch die russische Pop-Primadonna Alla Pugatschowa übt aus dem Ausland scharfe Kritik am Putin-Regime.

Bandfoto der russischen Rockband Piknik mit schwarzen Zylindern
Galt der Anschlag der Band Piknik?Bild: Piknik

Regimetreue Stars hingegen werden mit lukrativen Auftritten und Preisen belohnt. So waren die rund 6200 Karten für das Piknik-Konzerts am 22. März fast ausverkauft, ebenso wie der zweite Auftrittstermin am Samstag. Die Preise lagen zwischen 100 und 300 Euro, die Band trat in Begleitung eines Sinfonieorchesters und mit einer "spektakulären Bühnen- und Lichtshow" auf, so hieß es jedenfalls in der Ankündigung. 

Noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine kam "Piknik" auf die Liste der in der in der Ukraine unerwünschten Künstler. Grund dafür waren wiederholte Auftritte der Gruppe auf der besetzten Halbinsel Krim, unter anderem in Sevastopol. 

Am Tag nach der Tragödie gab es auf die zahlreichen Interview-Nachfragen, auch seitens der DW, nur eine Trauer- und Schockbekundung. Am Sonntag, 24.März, meldete sich Edmund Shklyarsky mit einer Video-Botschaft. "Ich möchte mein Beileid allen Opfern und Angerhörigen dieser schrecklichen wie sinnlosen Tragödie aussprechen", so Edmund Schkljarsky. Es seien allerdings noch keine Worte erfunden worden, die Menschen auferstehen lassen und deren Mitmenschen hätten trösten können.

Welcher Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Auftreten der Piknik-Musiker und den Motiven der Attentäter besteht, bleibt jedoch Spekulation. Auch über den Auftrittsort Crocus City Hall und seine mögliche Rolle als Anschlagsziel kann bislang nur gemutmaßt werden.

Crocus City Hall: Konzerthalle der Superlative

Die Crocus City Hall ist eine hochmoderne Konzerthalle auf dem Gelände eines Ausstellungskomplexes und die unter Musikern wohl gefragteste Bühne Moskaus. Mit einem Fassungsvermögen von 5000 bis 10.000 Zuschauern ist sie um einiges größer als ein klassischer Konzertsaal und nur wenig kleiner als ein Fußballstadion. Kurz: ein alternativloser Ort der Superlative in Moskau.

Blumen als Gedenken an die Opfer der Terrorattacke in der Crocus City Hall werden von Menschen vor einer Umzäunung am Veranstaltungsgelände abgelegt
Gedenken an die Opfer der Terrorattacke in der Crocus City HallBild: Piknik

Das 2009 fertig gestellte "Crocus", wie es kurz genannt wird, hat sich schnell zu einem der wichtigsten Konzertsäle Russlands entwickelt. Rund 20 Kilometer Luftlinie vom Kreml entfernt, ist die Konzertlocation, wenn nicht gerade Stau in den Straßen Moskaus herrscht, vom Stadtzentrum in einer halben Stunde zu erreichen. Schneller geht es nur für die Bewohner der wohlhabenden Vororte im Westen der Stadt, die dort mit Vorliebe die Konzerte besuchen.

Die verkehrstechnisch hervorragende Anbindung könnte für die Terroristen ein Argument gewesen sein, sich die Crocus City Hall für ihren Anschlag auszuwählen. Hinzu kommt, dass die Sicherheitsvorkehrungen am Stadtrand nicht so streng sind wie im Zentrum Moskaus.

Kulturveranstaltungen in Russland abgesagt

Das Konzerthaus gehört zur Unternehmensgruppe des aserbaidschanisch-russischen Baulöwen und Oligarchen Araz Ağalarov und seinem Sohn Emin, Geschäftsmann und Sänger. Bei der Eröffnung wurde deshalb gemunkelt, Araz Ağalarov habe seinem Sohn eine Bühne geschenkt.

Donald Trump zeigt auf im Jahr 2013 der Bühne der "Crocus City Hall" den Daumen hoch, neben ihm: Frau im Glitzerkleid und Schärpe mit Aufschrift "Miss Universe"
Auch Donald Trump stand schon mal auf der Bühne der "Crocus City Hall": mit Miss Universum im Jahr 2013 Bild: imago images/ZUMA Press

In den letzten Jahren hat Ağalarov-Junior seine Popkarriere allerdings auf Eis gelegt und sich vor allem auf die Entwicklung und Vermarktung der Crocus City Hall konzentriert. Im Laufe der Jahre traten hier international angesagte Bands auf: Scorpions, Smokie, Pet Shop Boys, Nazareth, A-ha, aber auch Sting, Elton John, Thomas Anders, Vanessa May und andere. 2013 verirrte sich sogar Donald Trump auf die Bühne - als Special Guest beim Finale der "Miss Universe"-Wahl. Doch diese Zeiten von Weltoffenheit ist schon lange vorbei. 

Ein Blick auf das Programm der Crocus City Hall gibt einen guten Einblick in die Befindlichkeiten der russischen Gesellschaft, die zwischen Realitätsverdrängung und Resignation schwankt: Konzerte regimekonformer Musiker wechseln sich ab mit Unterhaltungs-Blockbustern wie japanischen Trommel-Shows oder Frauen-Stand Up.

Nun wurden nicht nur in der zerstörten Crocus City Hall, sondern in ganz Russland alle Großveranstaltungen abgesagt. Theater, Kinos und Museen blieben über das Wochenende geschlossen.