1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Anna Netrebko in Berlin: Buhrufe und Jubel

Marina Konstantinova
16. September 2023

Bereits im Vorfeld hatte Anna Netrebkos Auftritt am Freitagabend in Berlin für Zündstoff gesorgt. Der Vorwurf: Sie stehe Wladimir Putin nahe. Für ihre Rolle der Lady Macbeth erntete sie frenetischen Applaus und Buhrufe.

https://p.dw.com/p/4WPmc
Anna Netrebko hält Hand mit zwei anderen Personen und steht auf der Bühne und lächelt.
Trotz heftiger Kritik an ihrem Auftritt, durfte Anna Netrebko auch Applaus entgegennehmenBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

"Anna Netrebko ist ein Beispiel für Soft-Power-Politik, wenn Russland die Kultur nutzt, um Fehlinformationen und Zweifel in den europäischen Diskurs zu bringen", sind die Aktivistinnen und Aktivisten der ukrainische Organisation "VITSCHE" überzeugt. Diese hatte Proteste im Zusammenhang mit Anna Netrebkos Auftritt in der Berliner Staatsoper Unter den Linden bereits Anfang September angekündigt.

Die Hauptvorwürfe gegen die österreichisch-russische Sopranistin lauten wie folgt: Sie sei eine Vertraute von Präsident Putin gewesen und habe nach der Annexion der Krim und der Besetzung der Gebiete Donezk und Lugansk Geld für die "Restaurierung des Opernhauses in Donezk" gespendet. Darüber hinaus habe sie den Demonstrierenden zufolge ihre Position zum Krieg und zum Präsidenten der Russischen Föderation immer noch nicht offen geäußert.

Eine Person hält ein Schild hoch, auf dem "No Netrebko" steht.
Die Botschaft der Demonstrierenden ist klar: "No Netrebko" heißt es auf diesem PlakatBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Auftritt auf pro-ukrainischer Bühne "wichtiges Zeichen"

Trotz heftiger Kritik im Vorfeld wird Giuseppe Verdis Oper "Macbeth", in der Anna Netrebko Lady Macbeth spielt, diesen Monat dreimal aufgeführt. Auch eine Internet-Petition, die bereits von etwas mehr als 37.000 Menschen unterzeichnet wurde, offene Briefe ukrainischer Aktivisten und Bedenken lokaler Politiker bewegten die Berliner Oper nicht dazu, das Engagement abzusagen. Am Donnerstag hatte Opern-Intendant Matthias Schulz erklärt, Anna Netrebko vertrete jetzt eine pro-ukrainische Position und habe das Recht auf eine "zweite Chance". "Es ist wichtig, hier differenziert vorzugehen und zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden", so Schulz. Netrebko habe seitdem keine Engagements in Russland angenommen und es gebe auch weiterhin keinerlei Vorhaben für Auftritte in Russland. "Es ist, denke ich, auch ein sehr wichtiges Zeichen, dass Anna Netrebko auf so einer Bühne, die so klar ukrainisch positioniert ist, singt", sagte Schulz in einem Interview. Berlins Bürgermeister Kai Wegner und Berlins Kultursenator Joe Chialo kündigten einen Boykott der Oper an.

Die ukrainische Flagge hängt die Berliner Staatsoper unter den Linden hinunter.
Die ukrainische Fahne schmückt das Opernhaus: "Das ist schön, aber nicht genug", sagte eine DemonstrantinBild: Metodi Popow/dpa/picture alliance

Lautstarker Protest vor dem Opernhaus

Etwa 150 Aktivistinnen und Aktivisten versammelten sich kurz vor der Aufführung am Freitagabend mit ukrainischen Fahnen und Plakaten am Haupteingang des Theatergebäudes. Den Teilnehmenden der Aktion wurde die Hälfte der Fahrbahn zugeteilt. Der Eingang zur Oper war für den sicheren Durchgang der Öffentlichkeit eingezäunt und wurde von der Polizei bewacht. Bei der Kundgebung war Deutsch, Ukrainisch und Englisch zu hören. Slogans wie "No Netrebko!", "Kein Applaus für Propaganda!", "Schande Netrebko!" oder "Russland - ein Terrorstaat!" wurden gerufen.

"Russland nutzt Kultur als Propagandamittel, als Waffe. Anna Netrebko baute ihre gesamte Karriere auf der Loyalität gegenüber den Behörden auf, auf der Unterstützung der Behörden, sie unterstützte den Terror, sie spendete Geld für den Donbass (...). Es ist eine Schande, dass sie jetzt hier singt", empörte sich eine der Aktivistinnen in ihrer energischen Rede.

Kultur und Politik nicht trennbar? 

"Man sagt, Anna Netrebko habe sich vom Krieg distanziert. Aber sie hat einfach gesagt, dass Krieg schlecht ist. Ist das eine Distanz? Das ist nichts", ertönte es von der Bühne vor dem Theater. "Stellen Sie sich das Ausmaß dieses Zynismus vor: In einer Zeit, in der Russland unsere Zivilisten und Soldaten tötet, unsere Kinder vertreibt, in der russische Schiffe die Ausfahrt ukrainischer Getreideschiffe blockieren, in der Russland friedliche Städte beschießt, kamen diese Menschen hierher, um die Kunst zu genießen. Kunst liege außerhalb der Politik, sagen sie. Nein, wir wissen, dass Kultur nicht außerhalb der Politik existiert, warum sollte Russland sonst ukrainische Bücher in den besetzten Gebieten verbrennen?", sagten die Redner. Anders sah es einer der etwa 1400 Opernbesucher: "Kunst und Politik kann man vermischen, kann man aber auch trennen, und ich bin der Meinung, es sollte getrennt werden. Deshalb bin ich auch hier."

Aufgeheizte Stimmung zwischen Kritikern und Operngästen

Das gut gekleidete Publikum, das zur Premiere kam, musste unter den Rufen und Pfiffen der Demonstrierenden einen dafür vorgesehenen Korridor entlanggehen. Einige von ihnen fühlten sich sichtlich unwohl: Einige lachten verlegen, andere winkten ab oder schüttelten missbilligend den Kopf. Die meisten versuchten, schnell durchzukommen, aber es gab Ausnahmen. Eine entschlossene Dame etwa näherte sich wütend dem Zaun und versuchte, mit den Demonstrierenden in Streit zu geraten, aber ihre Stimme ging in einem einstimmigen Ruf "Schande Netrebko!" unter. 

Hin und wieder ging einer der Opernbesucher auf die Polizei zu und zeigte empört auf die Demonstration. Mehrmals verdichteten sich die Wolken: Die Operngäste zeigten obszöne Gesten - die wütenden Schreie der Menschen hinter dem Zaun wurden doppelt so laut.

Menschen hinter einem Zaun halten verschiedene Schilder hoch, die Anna Netrebko kritisieren.
Die Demonstrierenden sehen bei Anna Netrebko keine Distanz zu Wladimir PutinBild: Natalia Smolentceva/DW

Netrebko zwischen Applaus und Buhrufen

Im Opernsaal gab es nach den ersten Arien Netrebkos ein Kraftmessen, zwischen dem Applaus und hartnäckigen Buhrufern. Netrebko konterte die Proteste zweimal mit demonstrativ verschränkten Armen und gewinnendem Lächeln am Bühnenrand. Im Lauf des dreistündigen Abends blieb es jedoch mehr und mehr beim donnernden Applaus für Netrebko, die anderen Solisten, Chor und Orchester unter Bertrand de Billy.

Obwohl die Aktivistinnen und Aktivisten Anna Netrebkos Auftritt nicht abwenden konnten, glaubt die Demonstrantin Olga aus Charkow an die Wirkung ihrer Aktion: "Die Leute, die gekommen sind, um sich die Oper anzuhören und einen so heftigen Protest gesehen haben, werden darüber nachdenken, was passiert."