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Politik

Russland will Blackout in der Ukraine

Lilia Rzheutska | Daria Nynko
20. Oktober 2022

Russland versucht, mit massiven Raketen- und Drohnen-Angriffen auf Energieanlagen die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu treffen. Kiew verhängt zum ersten Mal landesweite Einschränkungen bei der Stromversorgung.

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Dunkle Rauchwolken über Stromleitungen nach dem russischen Angriff auf westukrainische Stadt Lwiw, 10. Oktober
Bild: Pavlo Palamarchuk/ZumaPress/picture alliance

Ukraine: Schläge gegen die Stromversorgung

Kurz vor Beginn der Heizsaison terrorisiert Russland die Ukraine mit Angriffen auf die Energieinfrastruktur. Die russische Armee versucht, dem ukrainischen Energiesektor maximalen Schaden zuzufügen. Die Angriffe mit Raketen und Drohnen zielen auf Kraftwerke und Stromnetze - die gesamte Versorgungskette ist im Visier.

Wegen der jüngsten massiven Angriffe auf ukrainische Städte, die seit dem 10. Oktober andauern, musste die ukrainische Regierung für den 20. Oktober erstmals landesweit eine ganztägige Einschränkung bei der Stromversorgung verhängen. Bei den einzelnen Haushalten soll demnach nicht länger als vier Stunden am Tag der Strom ausfallen. Wenn es in der Ukraine kälter wird, könnte es notwendig werden, noch mehr Strom einzusparen, hieß es seitens des staatlichen Energieunternehmens Ukrenergo.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete am Mittwochabend von neuen Schäden an kritischer Infrastruktur. Durch russische Angriffe seien allein am 19. Oktober drei Energieanlagen zerstört worden.

Früher hatte Selenskyj erklärt, es seien 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke zerstört worden. Dies habe zu massiven Stromausfällen im ganzen Land geführt. Es gebe keinen Raum mehr für Verhandlungen mit Putins Regime.

Dort, wo umgehend der Schaden repariert wurde, griff Russland wieder an. So gingen in Lwiw im Westen der Ukraine die Lichter erneut aus, nachdem das Stromnetz dort am Vortag instand gesetzt worden war. "Der Zynismus besteht darin, dass die gesamte Versorgungskette getroffen wird, einschließlich der Stromverteilungssysteme und der Stromerzeugung. So will der Feind eine Wiederherstellung der Stromversorgung aus anderen Quellen erschweren", erklärt der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko.

Reparaturen rund um die Uhr

"Niemand in Europa hat bisher so etwas bewältigt, was wir in diesem Krieg leisten müssen. Niemand hat bisher solch große Zerstörungen erfahren. Unsere Arbeiter sind rund um die Uhr im Einsatz, um die Netze so schnell wie möglich zu reparieren und alle Verbraucher mit Strom zu versorgen", erklärt der Leiter von Ukrenergo, Wolodymyr Kudryzkyj.

Das Unternehmen geht davon aus, dass an der Planung der Angriffe russische Energieexperten beteiligt sind. "Dies belegen das Ausmaß und die Auswahl der Angriffsziele im ukrainischen Stromnetz. Der Aggressor nimmt sich bewusst Stellen vor, wo er größten Schaden anrichten kann, damit möglichst viele Ukrainer im Dunkeln und Kalten sitzen", so Ukrenergo.

Auch die Regierung in Kiew verspricht, umgehend Reparaturen vorzunehmen, damit die Ukrainer die Folgen der russischen Angriffe nicht zu spüren bekommen. "Jede Region hat einen Anti-Krisen-Reaktionsplan", versicherte Ministerpräsident Denys Schmyhal am 17. Oktober auf Telegram. Das ukrainische Energieministerium teilte seinerseits mit, dass internationale Partner der Ukraine humanitäre Hilfe bei der Instandsetzung des Energiesektors leisten würden.

Verbraucher sollen Strom sparen

Nach massiven Angriffen ist es zwar meist gelungen, die Stromversorgung innerhalb weniger Tage wiederherzustellen, doch die Ukrainer werden aufgefordert, Strom zu sparen. "Bitte reduzieren Sie den Stromverbrauch tagsüber und insbesondere während der abendlichen Spitzenzeiten von 17 bis 23 Uhr. Dies wird helfen, die Stabilität des Energiesystems wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, das die Russen zerstören wollen", betont Energieminister Haluschtschenko.

Dunkle Gebäude ohne Strom im Zentrum von Lwiw, 10. Oktober 2022
Dunkelheit in Lwiw - eine Nacht ohne StromBild: Roman Baluk/Reuters

Regierungschef Schmyhal hatte zuvor erklärt, der Stromverbrauch in der gesamten Ukraine müsse um 25 Prozent reduziert werden. Er appellierte nicht nur an Privatverbraucher, sondern auch an Unternehmen. So sollten beispielsweise Leuchtreklamen und stromfressende Geräte in den Spitzenzeiten ausgeschaltet bleiben.

Und die Bevölkerung folgt den Aufrufen. "In den Abendstunden haben die Ukrainer bewusst die Nutzung von Elektrogeräten eingeschränkt. Die Menschen in Kiew und der Region haben den Verbrauch zusammen um sieben Prozent reduziert. Am stärksten haben die Einwohner der Region Tschernihiw ihren Verbrauch verringert, um fast 20 Prozent", berichtete Ukrenergo am 16. Oktober.

Ukraine stoppt ihren Stromexport

Wegen der Angriffe musste die Ukraine ihren Export von Strom in europäische Länder einstellen. Dies soll dazu beitragen, das eigene System zu stabilisieren. "Es war der Stromexport aus der Ukraine, der Europa half, den Verbrauch russischer Energieressourcen zu reduzieren. Deshalb zerstört Russland nun unser Energiesystem und verhindert so die Möglichkeit, Strom aus der Ukraine zu exportieren", erläutert Energieminister Haluschtschenko.

Am 10. Oktober trafen vier russische Raketen eine Anlage des Kohlekraftwerks Burschtyn in der Region Iwano-Frankiwsk, über die das Stromnetz der Ukraine mit Ungarn, Rumänien und der Slowakei verbunden wird. Von dort wurde der ukrainische Strom in die Europäische Union exportiert. Am 19. Oktober wurde dieses Kohlekraftwerk erneut getroffen. "Leider gab es Zerstörungen, und die sind beträchtlich", hieß es von der Gouverneurin der Region Iwano-Frankiwsk, Switlana Onyschtschuk.

Noch hat die Ukraine die europäischen Länder nicht um Soforthilfe gebeten, um die Energieversorgung zu stabilisieren, die durch Angriffe des russischen Militärs unterbrochen wurde. Wie Ukrenergo mitteilte, hat der ukrainische Betreiber aber jederzeit die Möglichkeit, Nothilfe anzufordern. Es gebe entsprechende Vereinbarungen mit den Betreibern der Netze der benachbarten europäischen Länder.

Dieser Text wurde am 18.10. veröffentlicht und am 20.10. aktualisiert.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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