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Mode, Beauty, Pop: Influencer fliehen aus Afghanistan

Christine Lehnen
23. August 2021

Eine Generation junger Afghaninnen und Afghanen hat in den vergangenen zwanzig Jahren das Internet erobert. Nun fliehen auch sie vor den Taliban.

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Schwarz gekleidete Frau mit Kopftuch sitzt allein auf einer Bank und schaut auf ihr Handy.
Eine junge Frau in Kabul mit SmartphoneBild: WAKIL KOHSAR/AFP/Getty Images

Sie posieren in Ballkleidern vor antiken Säulen, veröffentlichen Fotos mit Popstars und bewerben ihre Produkte auf Englisch im Internet: Auch in Afghanistan hat sich in den vergangenen Jahren eine lebendige Szene aus Influencerinnen und Influencern entwickelt. Darunter finden sich insbesondere junge Frauen, denen die Vertreibung der militant-islamistischen Taliban durch den Militäreinsatz der NATO-Staaten im Jahr 2001 die Teilhabe an Bildung und dem öffentlichen Leben erst ermöglichte.

So gewannen afghanische Popsängerinnen, Modedesigner und Beauty-Blogger eine große Anhängerschaft in den sozialen Medien. Eine von ihnen ist eine Modeschöpferin mit stolzen rund 750.000 Followern auf ihren Social-Media-Kanälen. Da sie in ihrem Land nicht die Mode gefunden hatte, die sie mochte, begann sie, diese selbst zu entwerfen und zu verkaufen. Als Modeikone auf Instagram posiert sie seitdem mal mit, mal ohne Kopftuch, in seidenen Kleidern oder in Strickpullover und Jeans. Ihre Fotos schießt sie in einem Restaurant in Kabul, am Flussufer in Dubai oder in Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans. Die dortige Ruine, einst eine Zitadelle Alexanders des Großen, bot sich bislang als perfekte Instagram-Kulisse an.

Auch die Taliban haben sich digital bewaffnet

Die Bilder könnten genauso gut aus einem Restaurant in Berlin stammen, vom Themseufer in London oder einer antiken Stätte in Athen. Auch die Bildunterschriften - "ihr könnt es alle schaffen" - lesen sich wie die Ermutigungen vieler Influencerinnen, Mode- und Beautybloggerinnen auf der ganzen Welt.

Afghanistan ist aber nicht die ganze Welt. Hier Mode zu gestalten und Frauen zu ermutigen, das zu tragen, was sie möchten, ist keine Banalität. Es kann lebensgefährlich sein, seit die Taliban wieder gewaltsam die Macht ergriffen haben.

Denn auch die militant-islamistische Vereinigung ist längst "digital bewaffnet", sagt Caja Thimm im Telefoninterview mit der DW. "Wir wussten alle, wie gut die Taliban digital unterwegs sind. Auch da findet sich eine junge, technikaffine Generation, die geprägt wird von Menschen, die im Ausland studiert haben oder gar nicht unbedingt Afghanen sind. Sie benutzen Übersetzungssoftware, sprechen europäische Sprachen." Die Professorin für Medienwissenschaften und Spezialistin für Digitale Öffentlichkeit an der Universität Bonn fügt hinzu: "Es muss niemanden verwundern, wenn bei den Taliban mitten in der Wüste ein 5G-Mast steht."

Influencerinnen bleibt oft nur die Flucht

Während afghanische Influencerinnen viel Mut beweisen, würde sich Caja Thimm bei den Kolleginnen in Europa und USA eher Zurückhaltung und mehr Sensibilität wünschen: "Es gefriert einem das Blut in den Adern, wenn man sieht, welche Frauenbilder junge Influencerinnen in Deutschland auf den sozialen Medien kommunizieren. Ihnen ist nicht klar, welche Verantwortung sie als Personen des öffentlichen Lebens haben." Das hat auch Konsequenzen für deren Umgang mit der aktuellen Situation in Afghanistan: Als Beispiel nennt sie den Vorfall einer britischen Influencerin, die kürzlich ein Foto in Burka mit grünen Fingernägeln veröffentlichte und sich damit für Vielfalt aussprach. "Absolut unfassbar. Auf der einen Seite Naivität und eine große Ignoranz."

Eine Naivität, die sich Influencerinnen in und aus Afghanistan nicht leisten könnten. Wie viele Frauen sind auch sie nun bedroht, seitdem die Taliban gewaltsam die Macht an sich gerissen haben. Viele von ihnen versuchen, ins Ausland fliehen. Auch die Modeschöpferin hat das Land inzwischen verlassen. Doch selbst dort könnte sie noch von den Taliban verfolgt werden.

Grenzüberschreitende Repressionen

Diese Form von digitaler Verfolgung im Ausland ist in der Forschung als "transnational repression" (deutsch: grenzüberschreitende Unterdrückung) bekannt. Hierzu forscht der Politikwissenschaftler Marcus Michaelsen an der Freien Universität Brüssel. "Soziale und digitale Medien erlauben es Regimen, Exilaktivisten viel effektiver zu überwachen sowie ihre Netzwerke zu ergründen", berichtet er im DW-Interview. So würden sie Aktivisten beispielsweise mit Shitstorms lahmlegen oder gezielt Spähsoftware auf deren Geräten installieren. Der Iran, Saudi-Arabien, Ruanda - die Liste der Regime, die grenzüberschreitend verfolgt, ist lang. 

Die Repressionen würden besonders häufig Frauen treffen, so zum Beispiel Journalistinnen in Syrien, berichtet Michaelsen weiter. "Außerdem ist digitale Repression auch immer mit Methoden physischer Repression verknüpft", führt der Politikwissenschaftler aus. "Im Fall von Exilaktivisten finden häufig Repressionen gegen die Familie statt, die oft noch im Land ist. Das ist auch in Afghanistan zu erwarten." Jedoch können die Aktivisten durchaus selbst davon betroffen sein, wie im Fall des Bloggers Khashoggi, der in der saudi-arabischen Botschaft in der Türkei ermordet wurde.

Der Westen muss Rückhalt bieten

Ein Problem sei, so Michaelsen, dass diese grenzüberschreitende Unterdrückung noch nicht durch die liberalen Demokratien klar als solche benannt und verurteilt werde. Das gelte auch für Deutschland. Ganz besonders wichtig sei es, Aktivisten, denen die Flucht gelungen sei, auch die nötige Sicherheit und Anerkennung zuteil werden zu lassen. Zum Beispiel dadurch, dass sie nicht um ihr Bleiberecht bangen müssten. "Die Empfangsgesellschaft muss den Exilaktivisten Rückhalt bieten." 

Trotz der Gefahr engagieren sich afghanische Influencerinnen und Influencer zurzeit auch aus dem Exil. Zum Nationalfeiertag am 19. August wurden zum Beispiel Videos von Menschen veröffentlicht, die in Afghanistan die Nationalflagge hissten, die als Protest gegen die Taliban gelesen wird - nicht zuletzt von den Taliban selbst.

Laut Caja Thimm ist Instagram in den vergangenen Jahren immer politischer geworden. Unter dem Hashtag "SaveAfghanistan" ist das in diesen Tagen live zu beobachten. Dort machen gerade auch Influencerinnen auf die Rolle der Frauen bei den Protesten aufmerksam. Die Gefahr für alle, die sich gegen die Taliban positionieren, bleibt groß - ob in Afghanistan oder im Exil.