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Bundestagspräsidium: AfD unerwünscht

11. November 2021

Alle Fraktionen sind im höchsten Gremium des Parlaments vertreten - nur die Rechtspopulisten nicht. Ist das fair – und demokratisch? Mit dieser Frage befasst sich inzwischen sogar das Bundesverfassungsgericht.

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Bildergalerie Regierungsviertel | Deutsche Fahne ist aufgezogen vor dem Reichstagsgebäude
Das Reichstagsgebäude in Berlin, Sitz des Deutschen BundestagesBild: Winfried Rothermel/picture alliance

Bärbel Bas ist seit Ende Oktober 2021 die neue starke Frau im Deutschen Bundestag. Die Sozialdemokratin (SPD) wurde als Nachfolgerin des Christdemokraten Wolfgang Schäuble (CDU) zur Parlamentspräsidentin gewählt. Damit gehört sie zu den fünf höchsten Repräsentanten Deutschlands. Außer ihr sind das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth.

Jeder Fraktion steht theoretisch ein Posten im Bundestagspräsidium zu

Dieses Quintett steht an der Spitze der sogenannten Verfassungsorgane, die Ausdruck der Gewaltenteilung sind: Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Regierung) und Judikative (Rechtsprechung). Gemeinsam bilden sie das Fundament der Demokratie. Die wiederum ist ohne freie Wahlen undenkbar.

Bärbel Bas verdankt ihr herausragendes politisches Amt dem Umstand, dass ihre Partei stärkste politische Kraft im Bundestag ist. Zwar hatte die SPD keinen rechtlichen Anspruch auf den Posten, aber traditionell wird jemand aus den Reihen der größten Fraktion gewählt.

Zu den wichtigsten Aufgaben der Präsidentin gehört es, die Parlamentssitzungen zu leiten. Dabei wird sie von ihren fünf Stellvertretern - vier Frauen und ein Mann - unterstützt. Gemeinsam bilden sie das Bundestagspräsidium. Wie sich das zusammensetzen soll, ist in Paragraf 2 der Geschäftsordnung beschrieben:  

Der Bundestag wählt mit verdeckten Stimmzetteln in besonderen Wahlhandlungen den Präsidenten und seine Stellvertreter für die Dauer der Wahlperiode. Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.

Die Alternative für Deutschland ist im Visier des Verfassungsschutzes

Jahrzehntelang war das auch so - bis 2017 die Alternative für Deutschland (AfD) erstmals in den Bundestag gewählt wurde. Ihre Kandidaten verfehlten jedes Mal die nötige Mehrheit. Der Grund: Die anderen Parteien lehnen jede Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ab, die wegen extremistischer Tendenzen im Visier des Verfassungsschutzes sind. Deshalb wollen SPD, CDU/CSU, Freie Demokraten (FDP), Grüne und Linke niemand aus der AfD in das Bundestagspräsidium wählen.

Aydan Özoğuz, Wolfgang Kubicki, Bärbel Bas, Petra Pau, Yvonne Magwas und Claudia Roth stehen im Bundestag
Gruppenbild ohne AfD: Aydan Özoğuz, Wolfgang Kubicki, Bärbel Bas, Petra Pau, Yvonne Magwas und Claudia Roth Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ein Dilemma, das grundsätzliche Fragen berührt. Zwar hat jede Fraktion ausdrücklich einen Anspruch darauf, im wichtigsten Parlamentsgremium vertreten zu sein, aber die Kandidaten müssen von einer Mehrheit der Abgeordneten gewählt werden. Die sind aber nur ihrem Gewissen verpflichtet.

Der Berliner Verfassungsrechtler Christian Pestalozza interpretiert die Geschäftsordnung des Bundestages bei der Wahl des Präsidiums gegenüber der DW so: "Die Fraktionen haben einen Anspruch auf einen Sitz, aber nicht darauf, dass eine von ihnen bestimmte Person den Sitz erhält."

In der vergangenen Legislaturperiode sind sechs AfD-Kandidaten durchgefallen

Was das in der Praxis bedeuten kann, hat die AfD in der vergangenen Legislatur-Periode erlebt: Sechs Kandidaten - eine Frau, fünf Männer - schickte sie zwischen 2017 und 2021 ins Rennen. Alle scheiterten. Um ihren vermeintlichen Anspruch auf einen Platz im Bundestagspräsidium durchzusetzen, stellte die AfD zwei Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht. Das Ziel: eine schnelle Entscheidung zu ihren Gunsten.

Der erste Antrag stammte von der Fraktion, der zweite vom Abgeordneten Fabian Jacobi. Der ist selbst Jurist und wollte im Alleingang gleich mehrere Kandidaten für das Vizepräsidentenamt vorschlagen - jedoch vergeblich.  Darin sah er seine Rechte als frei gewählter Volksvertreter verletzt.

Karlsruhr | Bundesverfassungsgericht verhandelt zu Wahlvorschlagsrecht - Fabian Jacobi (AfD)
Fabian Jacobi von der AfD während der mündlichen Verhandlung seiner Klage vor dem BundesverfassungsgerichtBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Das Bundesverfassungsgericht lehnte im August beide Eilanträge ab, allerdings nur aus formalen Gründen: Das von der AfD geforderte neue und allgemein gültige Verfahrensrecht für die Wahl des Bundestagspräsidiums könne nicht im Eilverfahren geschaffen werden, hieß es.

Über die Sache selbst soll später befunden werden. Inzwischen fand die mündliche Verhandlung der von Fabian Jacobi eingereichten Klage statt. Die Entscheidung wird wahrscheinlich ein paar Wochen dauern und fällt vielleicht erst 2022.         

Alice Weidel: "Hier werden Millionen von Wählern ausgegrenzt"

Unabhängig vom Ausgang der Verfahren sieht Verfassungsexperte Christian Pestalozza dringenden Handlungsbedarf. Das Plenum des Bundestages könne angesichts der in seiner Geschäftsordnung gegebenen Sitzgarantie "nicht alle  Abgeordneten der vorschlagenden Fraktion ablehnen".

Irgendjemand werde es am Ende akzeptieren und wählen müssen. "Aber bis dahin kann es ein langer Weg werden." In der im September zu Ende gegangenen Legislaturperiode, in der die AfD Oppositionsführerin war, war dieser Weg für sie zu lang.

Der AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann
Will Stellvertreter von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas werden: der AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann Bild: Jens Schicke/imago images

Und es sieht weiterhin schlecht für sie aus. Der von der AfD als Stellvertreter von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nominierte Michael Kaufmann scheiterte ebenfalls. Der kommentierte seine Niederlage mit den Worten, der neue Bundestag sei bei seinem ersten Demokratie-Test "krachend durchgefallen".

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagte, nicht nur ihre Fraktion werde ausgeschlossen. "Hier werden Millionen von Wählern ausgegrenzt, die uns gewählt haben und die wir im Deutschen Bundestag vertreten."

Warum der Linke Bodo Ramelow in Thüringen den AfD-Kandidaten gewählt hat

Der promovierte Ingenieur Kaufmann hat ein Direktmandat für die AfD gewonnen und dafür sein bisheriges Mandat im Thüringer Landtag niedergelegt. Dort war ihm 2020 das gelungen, was er im Bundestag bislang nicht geschafft hat: mit der Unterstützung von Abgeordneten anderer Fraktionen zum Vizepräsidenten des Parlaments gewählt zu werden. Für Kaufmann hatte auch Ministerpräsident Bodo Ramelow votiert, der seit Oktober 2021 außerdem Präsident der Länderkammer (Bundesrat) ist.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke)
In Thüringen wählte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) den AfD-Kandidaten zum Vizepräsidenten des LandtagsBild: Jens-Ulrich Koch/dpa/picture alliance

Mit seinem Ja für einen AfD-Abgeordneten handelte sich der Linken-Politiker viel Kritik ein - nicht nur aus den eigenen Reihen. Ramelow rechtfertigte sein Verhalten mit den "Parlamentsrechten der AfD". Er habe sich "sehr grundsätzlich entschieden, auch mit meiner Stimme den Weg frei zu machen für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss". Ihm gefalle weder die AfD als Partei noch hege er Sympathien für Kaufmann, "aber ich achte die Parlamentsregeln".

Der gescheiterte Michael Kaufmann kandidiert ein zweites Mal

Dieser Argumentation folgt letztlich auch der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza mit Blick auf den Bundestag: "Das Plenum wäre schlecht beraten, wenn es aus Prinzip  und ohne Ansehung der Person die zuerst Vorgeschlagenen ablehnen würde, um deutlich zu machen, dass es mehrheitlich die AfD nicht mag." Zugleich müsse ihm aber zugestanden werden, vorgeschlagene Kandidaten nicht "blind" zu akzeptieren. Das gelte gegenüber allen Fraktionen.

Christian Pestalozza
Verfassungsexperte Christian Pestalozza, emeritierter Rechtswissenschaftler der Freien Universität BerlinBild: DW/M.Fürstenau

Die AfD hat inzwischen angekündigt, dass Michael Kaufmann ein zweites Mal für das Amt eines Stellvertreters im Bundestagspräsidium kandidieren wird. Derweil betont Verfassungsexperte Pestalozza mit Blick auf die schwebenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht: Das Plenum habe alles zu vermeiden, "was die Besetzung - womöglich bis ans Ende der Wahlperiode - ohne Sachgrund verzögert". Ob die Mehrheit im vergangenen Bundestag ihr Wahlrecht "missbraucht" habe, werde nun das Gericht entscheiden.