1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

Enttäuschte Hoffnungen auf Okinawa

Martin Fritz aus Tokio
15. Mai 2022

Auch ein halbes Jahrhundert nach Japans Übernahme von Okinawa leidet die Inselbevölkerung unter der massiven Präsenz des US-Militärs.

https://p.dw.com/p/4BEvf
Japan | Hayako Shimizu Anführerin einer Anti-Basen-Protestgruppe
Protest gegen die US-Basis auf Okinawa Bild: Issei Kato/REUTERS

Nur 15 Minuten nahm sich Japans Premierminister Fumio Kishida am Dienstag Zeit für das Gespräch mit Denny Tamaki, obwohl ihm der Gouverneur der Präfektur Okinawa eine wichtige Denkschrift überreichte. Kurz vor dem 50. Jahrestag der Rückgabe der gleichnamigen Insel an Japan an diesem Sonntag (15. Mai) erinnerte Tamaki den Premier mit einem Paket von Vorschlägen daran, dass der damalige Wunsch der Inselbevölkerung nach einer Verringerung der US-Streitkräfte bis heute nicht erfüllt worden sei. Über die Hälfte der 54.000 US-Soldaten in Japan ist derzeit in Okinawa stationiert, obwohl die Insel nur vier Mal größer als München ist.

Japan | Bauern arbeiten auf einem Feld auf der Insel Miyako
Auf Okinawa leben knapp 1,5 Millionen Menschen - die meisten von ihnen sind Fischer oder LandwirteBild: Issei Kato/REUTERS

Vor fünfzig Jahren, am 15. Mai 1972, hatten die USA die "administrative Kontrolle" über Okinawa an Japan übertragen - 27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Schon damals hofften die Bewohner auf eine Demilitarisierung.

Der damalige Premierminister Eisaku Sato, der 1974 für sein persönliches Engagement für die Friedenspolitik in Asien den Friedensnobelpreis erhielt, wollte sich zunächst der Mehrheitsposition der Inselbewohner anschließen. Doch die USA bezeichneten seine Haltung als "verachtend" und warnten Sato vor einem "möglichen Hindernis für die künftige Kooperation".

Zähneknirschend lenkte der Regierungschef ein, der Okinawa unbedingt für Japan zurückgewinnen wollte, und verkündete in seiner damaligen Rede, die Rolle Okinawas sei "für die Stabilität des Friedens im Fernen Osten äußerst wichtig". Damit war das Schicksal der Insel als fortgesetzte Bastion des US-Militärs besiegelt.

Ein halbes Jahrhundert später haben viele Inselbewohner weiter das Gefühl, dass sie ihr Schicksal nicht selbst bestimmen können. Bei einer Umfrage mehrerer Zeitungen in diesem Monat verlangten 61 Prozent der Befragten, dass die US-Präsenz verringert wird.

Militärübung in Japan I Japanese F 15
Gemeinsame Militärübung der japanischen und US-Streitkräfte (Archiv) Bild: Hitoshi Maeshiro/epa/dpa/picture alliance

"Stationärer Flugzeugträger"

De facto nutzen die USA die Insel als stationären Flugzeugträger, etwa bei ihren Kriegen in Korea, Vietnam und Irak. Allein in Kadena, der größten US-Luftwaffenbasis in Asien, werden jährlich 70.000 Starts und Landungen gezählt. Neben Fluglärm löst das US-Militär durch Verkehrsunfälle, Schlägereien, Einbrüche, Vergewaltigungen und Morde an der Zivilbevölkerung immer wieder Wut und Proteste aus. Die Vergewaltigung eines 11-jährigen Mädchens durch drei US-Marinesoldaten im Jahr 1995 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben.

"Das tragische Schicksal von Okinawa und seiner Bewohner besteht darin, eine Kolonie in einer postkolonialen Zeit zu sein", schrieb der US-Gelehrte Richard Falk und verglich die Situation mit Tibet, Kaschmir, Tschetschenien und Xinjiang.

Die spezielle Historie der Insel kompliziert die Gefühle. Okinawa war Teil des Königreiches Ryukyu (1429-1879) und gehört erst seit 1879 zu Japan. Am Ende des Zweiten Weltkrieges fanden dort die einzigen Schlachten zwischen japanischen Kaisertruppen und den USA auf japanischem Boden ("Operation Iceberg") statt. Der "Taifun aus Stahl" der USA, wie die Schlacht um Okinawa genannt wurde, vernichtete fast alle Siedlungen, 94.000 Insulaner starben. Danach nahm sich das US-Militär mit "Bajonett und Bulldozer", wie die Bewohner es formulierten, die besten Flächen und errichtete seine heute 88 Basen. Während Japan nach dem Vertrag von San Francisco 1952 souverän wurde, blieb Okinawa unter US-Herrschaft.

Japan Okinawa US Militärbasis | Protest
Protest gegen US-Präsenz auf OkinawaBild: Kyodo/picture alliance

Atomwaffen auf Okinawa?

Auch nach der Übergabe der Verwaltungshoheit 1972 blieben die Stützpunkte weiter im Besitz der USA. Zudem liegt ein Schleier über der Frage von Atomwaffen. Angeblich wurden sie nach 1972 aus Okinawa abgezogen. Aber eine Überprüfung ist nicht möglich. Japan hat kein Zugangsrecht zu den Basen, japanische Gesetze gelten dort nicht. Zudem hatte Japans Regierung 1969 in einem Geheimvertrag den USA die Stationierung von Atombomben in Okinawa für den Ernstfall erlaubt, während sie offiziell daran festhält, keine Atomwaffen zu bauen, zu stationieren und in Häfen zu lassen.

Die Zentralregierung in Tokio ordnet bisher die Wünsche der Insulaner strikt der Sicherheitspolitik unter. Als vor drei Jahren 70 Prozent der Wähler bei einem Volksentscheid gegen die Verlegung des US-Stützpunktes Futenma innerhalb der Insel stimmten, ignorierte die Regierung in Tokio das unverbindliche lokale Referendum und setzte die Bauarbeiten zur Erweiterung der Basis in Heneko als neuen Standort für Futenma ungerührt fort.

Japan Okinawa US Militärbasis |
Erweiterung des Stützpunkts HenekoBild: Yusuke Hayasaka/AP Photo/picture alliance

Sicherheitsallianz mit USA

Denn die US-Stützpunkte bilden das Fundament der Sicherheitsallianz mit den USA und gelten als Garantie dafür, dass die USA Japan gegen einen Angreifer verteidigen werden. Zuletzt ist die militärische Bedeutung von Okinawa sogar gewachsen. Gegen die Atom- und Raketenrüstung von Nordkorea und einen Angriff von China auf Taiwan dient Okinawa als unangreifbarer US-Vorposten in Asien. Taiwan liegt nur 600 Kilometer westlich von Okinawa.

In der neuen Indopazifik-Strategie der USA, die Chinas Großmachtstreben eindämmen soll, spielt die Insel eine wichtige Rolle. "Die US-Basen wirken abschreckend auf China, nicht nur hinsichtlich Japans und Taiwans, sondern im ganzen Pazifik", betont der taiwanische Sicherheitsexperte Kuo Yujen. Die tiefe Hoffnung der Insulaner auf weniger Militär wird sich also weiter nicht erfüllen. Die Enttäuschung spürte schon Premier Sato, als er vor 50 Jahren seinem Sekretär gestand: "Ich weiß nicht, ob die Umstände der Rückgabe von Okinawa für Japan gut oder schlecht waren."