20. Deutscher Buchpreis: Wer steht auf der Shortlist?
17. September 2024Früher wurden hier Kaiser gekrönt, heute sind es Frauen und Männer, die gute Bücher schreiben: Am 14. Oktober wird im Kaisersaal des Frankfurter Römer wieder der Deutsche Buchpreis vergeben.
Insgesamt warten - neben Ehre und Ruhm - noch 25.000 Euro Preisgeld auf den Gewinner oder die Gewinnerin. Jedoch gehen die übrigen fünf Autorinnen und Autoren, die auf der diesjährigen Shortlist stehen, nicht leer aus, sondern erhalten jeweils 2500 Euro. Der Deutsche Buchpreis feiert dieses Jahr sein 20. Jubiläum.
Insgesamt wurden 180 Romane aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingereicht. Die Romane bewegen sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Europa, Asien und dem Weltall. Diese sechs haben es auf die Shortlist geschafft:
Martina Hefter: "Hey guten Morgen, wie geht es dir?"
Sie ist Autorin und Tanz-Performerin. Das spiegelt sich in ihren Texten wider: Ob Prosa oder Lyrik, Hefter verbindet sie gerne mit tänzerischen Elementen und testet die Grenzen von Text, Sprache und Körper aus.
Die Göttin und der Gott: Juno und Jupiter. So heißt das Paar in Hefters Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" Die beiden identifizieren sich jedoch weniger als göttlich, sondern eher menschlich. Jupiter ist wegen Multipler Sklerose ans Bett gefesselt, seine Frau Juno pflegt ihn. Zur Ablenkung führt sie ein Doppelleben mit Love-Scammern (Liebesbetrügern) aus dem Internet. Doch Juno ist sich über die modernen Heiratsschwindler sehr wohl bewusst. Für sie ist ihre Internet-Persönlichkeit eine Flucht aus dem Alltag. Doch zu einem der Betrüger baut sich eine unerwartete Verbindung auf, bei der die Trennlinie zwischen Realität und Illusion verschwimmt. Eine Geschichte zwischen menschlichen Sehnsüchten und sozialen Strukturen. Und darüber, wie weit man bereit ist, für die Liebe zu gehen.
Maren Kames – "Hasenprosa"
Auch Kames dehnt gerne die Grenzen von künstlerischen und literarischen Formen aus, experimentiert mit ungewöhnlichen Textformen, erfindet geistreiche Wortschöpfungen und erforscht so neue Narrative.
"Mit ihrem Overkill der literarischen Mittel fängt [Maren Kames] die politische Stimmungslage der Gegenwart [...] gut ein", schreibt Carsten Otte in der Tageszeitung taz über Kames' nominierten Roman "Hasenprosa". Aber worum geht es in darin eigentlich? Schwer zu beschreiben. Der Kritiker David Hugendick schreibt in der "Zeit" , die Geschichte des Romans sei zweitrangig gegenüber dem "Wortwirbel" aus diesem "irren Kunstwerk". Kurz zusammengefasst handelt der 180 Seiten kurze Roman von einer Protagonistin, die gemeinsam mit einem Hasen durch Raum und Zeit düst.
Clemens Meyer - "Die Projektoren"
Mit seinem Roman "Im Stein" stand Clemens Meyer bereits 2013 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und jetzt hat er es wieder geschafft. In seiner rauen Erzählweise beschäftigt sich Meyer in seinen Geschichten oft mit unsicheren Lebensverhältnissen, wilden Träumen und krassen Lebensgeschichten.
Auf 1000 Seiten beschäftigt sich der Roman "Die Projektoren" mit verschiedenen Krisen im Europa des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum steht vor allem die ehemalige Volksrepublik Jugoslawien. Der Roman bewegt sich vom Zweiten Weltkrieg über den Jugoslawienkrieg bis hin zur Gegenwart. Auch der Schriftsteller Karl May, der Erfinder der Romanfiguren Winnetou und Old Shatterhand, scheint einen Einfluss auf "Die Projektoren" gehabt zu haben - denn der Roman führt uns unter anderem an einen Drehort der Winnetou-Verfilmungen, der später zum Schauplatz brutalster Kriegshandlungen wurde.
Ronya Othmann - "Vierundsiebzig"
Ronya Othmann ist Autorin, Journalistin und die Jüngste unter den Nominierten. In ihren Texten beschäftigt sie sich oft mit den Thematiken von Trauma, Flucht, der deutschen Außenpolitik im Nahen Osten und dem Völkermord an den Jesiden im Norden des Irak. "Vierundsiebzig" ist Othmanns zweiter Roman nach ihrem preisgekrönten Erstling "Die Sommer" (2020).
"Ich habe immer gedacht, dass es das Ende ist, wenn der Himmel auf die Erde fällt. Am 3. August 2014 ist der Himmel nicht auf die Erde gefallen, aber trotzdem war es das Ende", mit diesen Worten eröffnet Othmann "Vierundsiebzig". Der Roman dreht sich um den vierundsiebzigsten Massenmord der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) an der jesidischen Bevölkerung. Er bewegt sich zwischen Frontlinien, Wohnzimmern und deutschen Gerichtssälen, "Autobiographie, Biographie, Reiseliteratur und Geschichtsschreibung in Echtzeit - und dennoch ein organisches Ganzes. Ein literarischer Befreiungsschlag", lobt Alexandru Bulucz in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
Markus Thielemann - "Von Norden rollt ein Donner"
Auch Markus Thielemann ist es jetzt mit seinem zweiten Roman gelungen, für den deutschen Buchpreis nominiert zu werden. Thielemann beschäftigt sich vor allem in seinem neuesten Roman mit der Frage von Heimat, völkischen Ideologien und der politischen Vergangenheit, sowie der Gegenwart Deutschlands. "Von Norden rollt ein Donner" ist ein sogenannter "Anti-Heimatroman".
Er spielt in der Lüneburger Heide, einem Ort, der ein idyllisches Heimatgefühl weckt, den seine harmonische Natur prägt und an dem, wie sich herausstellen wird, der Nationalsozialismus seine Spuren hinterlassen hat. Jannis, der 19-jährige Protagonist, lebt in der Heide und arbeitet als Schäfer. Ein Wolf treibt dort sein Unwesen und spaltet die Gesellschaft. Nie taucht er auf, doch alle wollen ihn gesehen haben. Im Dorf beginnt es zu gären - und eine dunkle Vergangenheit wirft ihre Schatten bis in die Gegenwart.
Iris Wolff - "Lichtungen"
"Man kann sich immer entscheiden, welche Geschichten man erzählen will", sagt Iris Wolff. Sie entscheidet sich häufig dazu die Geschichte der Menschen im Vielvölkerstaat Rumänien zu erzählen und der damit verbundenen Geschichte Europas. Viele ihrer Romane spielen in Siebenbürgen, doch sie möchte durch das Verändern von Sprache und den Formen des Erzählens "mehr Welt in die Bücher hineinlassen."
In "Lichtungen" geht es um Lev und Kato, die seit der Kindheit eine besondere Verbindung haben. Gemeinsam wachsen sie im kommunistischen Rumänien auf. Während Lev Jahre später immer noch in Rumänien verweilt, ist Kato schon längst in den Westen aufgebrochen. Die beiden finden und verlieren sich, immer wieder - und die Geschichte wird dabei rückwärts erzählt: Sie reicht von der weltoffenen Gegenwart bis zur Kindheit in Rumänien unter dem Ceaușescu-Regime.
Text: Annika Sost