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Deutscher Buchpreis geht an Kim de l'Horizon

Christine Lehnen
17. Oktober 2022

Wie schreibt man über Menschen, die weder Mann noch Frau sind? Kim de l'Horizon hat es in "Blutbuch" vorgemacht. Bei der Preisverleihung in Frankfurt rasierte sich de l'Horizon eine Glatze - und dankte der Mutter.

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Kim de l'Horizon lacht
Kim de l'Horizon freut sich über den PreisBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Kim de l’Horizon: Blutbuch

Kim de l'Horizon konnte es kaum fassen, den renommierten Deutschen Buchpreis gewonnen zu haben. Die Jury war nach eigenen Worten "provoziert und begeistert" von dem Roman: "Blutbuch" sei für seine "Dringlichkeit und literarische Innovationskraft"  ausgezeichnet worden, begründete sie ihre Entscheidung. "Welche Sprache gibt es für einen Körper, der sich herkömmlichen Geschlechterkategorien entzieht?"

Spontan war Kim de l'Horizon nach der Verkündung im Frankfurter Römer, dem Rathaus der Stadt, ins Publikum gestürmt, um Freunde und Freundinnen zu umarmen. Danach gab es auf der Bühne zuerst nur ein "Wow!", dann eine tränenreiche Danksagung an die eigene Mutter und ein spontan vorgetragenes Lied. 

"Ich dachte eigentlich, ich würde aus ästhetischen Gründen meine Brille nicht anziehen, aber ich tue es jetzt doch." So hatte Kim de l'Horizons Rede in Frankfurt begonnen. Sie endet damit, dass Kim de l'Horizon sich eine Glatze rasierte. Eine Geste, um sich mit Iranerinnen zu solidarisieren - denn nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini hatten sich zahllose Frauen eine Haarsträhne abgeschnitten.

Kim de l'Horizon rasiert sich mit einem Elektrorasierer nach der Auszeichnung den Kopf
Kim de l'Horizon rasiert sich nach der Auszeichnung in Frankfurt die Haare abBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

"Dieser Preis ist nicht nur für mich", sagt Kim de l'Horizon und widmete die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung auch den Frauen im Iran, die zurzeit unter lebensgefährlichen Bedingungen für ihre Menschenrechte demonstrieren. "Ich denke, die Jury hat diesen Text auch ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen gegen den Hass, für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden."

Worum geht es in "Blutbuch"?

"Blutbuch" handelt von der nicht-binären Person Kim. Kim lebt in Zürich, nachdem Kim aus dem kleinen, konservativen Dorf in der Schweiz geflohen ist, in dem Kim aufgewachsen ist. In der Großstadt ist Kim mit dem Leben zufrieden und kann die eigene Identität frei leben.

Als Kims Großmutter an Demenz erkrankt, beginnt für Kim das Nachdenken: Kim spricht die Großmutter im Roman direkt an, beginnt mit einer Auflistung von all den Themen, über die die beiden nie gesprochen haben, unter anderem die fluide Geschlechtsidentität von Kim oder den Rassismus der Großmutter.

Kim de l'Horizon hält Blutbuch in die Kamera
Kim de l'Horizon mit dem preisgekrönten Werk Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Geheimnisse und Schweigen in Familien sind ein so beliebtes wie zeitloses Thema in der Literaturgeschichte. De l’Horizon begegnet dem Thema durch die nicht-binäre Erzählfigur Kim aus einer neuen Perspektive und fügt den vielfältigen Vorwürfen, die man sich in Familien macht, einen weiteren hinzu. Nachdem die Bundesregierung im Juni 2022 Eckpunkte für ein Gesetz zur einfachen Änderung des Geschlechtseintrags vorgestellt hat, kommt "Blutbuch" politisch zum richtigen Zeitpunkt.

Der Preis kurbelt die Verkäufe an

"Blutbuch" ist Kim de l'Horizons Debüt, in dem zehn Jahre Schreibarbeit stecken. Im Klappentext des Romans ist über de l'Horizon zu lesen: "geboren 2666, studiert Hexerei, Transdisziplinarität und textet kollektiv". Mainstream ist von dem jungen Talent also wohl kaum zu erwarten.

Der Deutsche Buchpreis ist einer der wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreise, der die Verkäufe der Preisträgerinnen und Preisträger oft merklich ankurbelt. Außerdem erfahren die ausgezeichneten Bücher auch international viel Aufmerksamkeit, werden in Goethe-Instituten auf der ganzen Welt ausgestellte und als Folge des Preises in andere Sprachen, manchmal sogar ins Englische übersetzt - was immer noch eine Seltenheit ist. Nominiert waren fünf weitere Autorinnen und Autoren: Fatma Aydemir, Kristine Bilkau, Daniela Dröscher, Jan Faktor und Eckhart Nickel. Der Deutsche Buchpreis wird im Rahmen der Frankfurter Buchmesse vergeben. Als Vorbild dient der britische Booker-Preis. Im letzten Jahr gewann die Autorin Antje Rávik-Strubel den Preis für ihren europäischen Roman "Blaue Frau".