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Auf den Spuren Frankreichs mit der Pariser Métro

Kim-Aileen Sterzel
17. April 2022

Unterirdisches Paralleluniversum, geheimnisvolles Wohnzimmer oder einfach nur Transportmittel? Was die Untergrundbahn der französischen Hauptstadt über ihre Fahrgäste erzählt.

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Eingang der Pariser Métrostation "Abbesses" im Jugenstil nit grünem Dach.
Ein typischer Eingang zur Pariser Métro im Jugendstil des französischen Architekten Hector Guimard.Bild: Markus Mainka/CHROMORANGE/picture alliance

"Prochain arrêt: "Charles de Gaulle - Étoile" - Nächster Halt: "Charles de Gaulle - Étoile": Wer in Paris schnell von A nach B gelangen möchte, kommt an der berühmt-berüchtigten Métro nicht vorbei. Charles de Gaulle - Étoile ist eine der bekanntesten Stationen, denn von hier aus gelangt man schnell zum Triumphbogen, einer der Hauptsehenswürdigkeiten. Die Station ist nach dem berühmten  französischen Präsidenten benannt, der den Wiederstand gegen Nazi-Deutschland anführte und 1959 zum ersten Präsidenten der neu ausgerufenen Fünften Republik Frankreichs gewählt wurde.

Egal ob Präsident, Kriegsheld oder Autorin: Viele französische Berühmtheiten wie Victor Hugo haben es bereits in das Streckennetz der Pariser U-Bahn geschafft. Stationsnamen wie Bastille geben den Impuls für eine imaginäre Zeitreise - eine Schnitzeljagd in die Vergangenheit auf dem Weg zur Arbeit oder ins Café. Louise Michel - eine Autorin und Anarchistin aus dem späten 19. Jahrhundert - ist neben Marie Curie, die in einem Atemzug mit ihrem Mann Pierre genannt wird, übrigens die einzige Frau, nach der eine Métrostation benannt wurde. 

Einige Haltepunkte wurden wegen Bauarbeiten oder während eines Krieges stillgelegt, existieren aber weiterhin: Diese Stations fantômes (Geisterstationen) dienen heute teilweise als Drehorte, wie zum Beispiel für den Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" von Jean-Pierre Jeunet. 

Die Weltausstellung 1900

227 Kilometer, 306 Stationen, 16 unabhängige Linien und 4,2 Millionen Menschen pro Tag - das unterirdische Streckennetz der Pariser Métro gehört heute zu den größten der Welt. Die französische U-Bahn war die sechste weltweit, die in Betrieb genommen wurde: Vor Paris verlegte man beispielsweise in London, Budapest und Wien den Verkehr in den Untergrund.

Pünktlich zur Weltausstellung 1900 eröffnete man die erste Linie der Compagnie du chemin de fer métropolitain de Paris mit einer Länge von gerade mal zehn Kilometern. Die charakteristischen Eingangsbauten im Jugendstil entwarf der französische Architekt Hector Guimard.Geplant wurde die heutige Touristenlinie 1 bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts: Bei der Planung zur Weltausstellung 1889 hatte man nämlich festgestellt, dass es bis dato kein ausreichendes Nahverkehrssystems gab.

Eine blaue Monatsfahrkarte und ein Einzelfahrticket der Pariser Métro.
Must have: Mit der Monatskarte "navigo" oder einem Einzelfahrschein ist man schnell am anderen Ende der Stadt.Bild: Lafargue Raphael/ABACA/picture alliance

Mittlerweile ist das Nahverkehrssystem in Paris sehr gut ausgebaut: Die Stationen einer Linie sind in den meisten Fällen kaum weiter als 500 Meter  von einander entfernt. Bei fast allen Métrolinien fährt immer noch ein Zugführer mit, der für den Ein- und Ausstieg der Fahrgäste die Türen öffnet beziehungsweise schließt. Lediglich die Linien 1 und 14 kommen völlig ohne menschliche Hilfe in der Fahrerkabine aus.

Bis zum Jahr 2030 sollen die bestehenden Linien 11 und 14 ausgebaut und die Linien 15, 16, 17, 18 neu als Grand Paris Express mit einem erweiterten Streckennetz bis in die Pariser Vorstädte gebaut werden.

Durch das Fenster einer Métrobahn sieht man den Eiffelturm.
Beliebter Instagram-Spot auf der Fahrt: Die Linie 6 überquert zwischen den Stationen "Bir Hakeim" und "Passy" die Seine und man kann einen einzigartigen Blick auf den Eiffelturm erhaschen.Bild: Thibault Camus/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Métro, boulot, dodo

Das Sinnbild des hektischen Pariser Alltags: Mit der Métro fahren die Pariser zum boulot, zur Arbeit ins Büro und wieder zurück nach Hause zum dodo, zum Schlafen. Die Parisiens und Parisiennes lieben ihre Métro - sie ist mehr als nur ein Beförderungsmittel und gehört im Alltag fest dazu. Die Métrostation, in deren Nähe man wohnt, ist dabei eine Art inoffizielle Visitenkarte der Pariser: Es ist ein Unterschied, ob man bei Trocadéro einsteigt - diese Station liegt nahe dem Eiffelturm in einem wohlhabenden Viertel - oder in Porte de Clignancourt - die befindet sich in einem eher berüchtigten Stadtteil.

Sogar vor Aprilscherzen ist die Pariser Métro nicht geschützt: 2016 benannte die Pariser Verkehrsgesellschaft einige Stationen für einen Tag um. Aus Opéra wurde spontan Apéro - der Moment des Tages, an dem die Franzosen ein Lieblingsgetränk nach Feierabend einnehmen.

Wer der Kunst des Métro-Nutzens mächtig ist, bewegt sich mit einer scheinbar mühelosen Eleganz, beinahe schwebend durch die unterirdische Welt von Paris - immer mit einem Hauch von Avantgarde. Doch diese typische Leichtfüßigkeit in den langen Korridoren will gelernt sein. 

Für Touristen bleibt die Métro häufig eine abenteuerliche Herausforderung: Anfängern eröffnet sich unter den Pariser Straßen scheinbar eine Art Paralleluniversum, gespickt mit Stolpersteinen und Kuriositäten. Problem Nr. 1: Die Menschenmassen. Ganz besonders während der Heure du pointe, der Rush-Hour, gleichen die Korridore der Métro einem Fluss aus menschlichen Körpern, die dazu auch noch genau wissen, wohin sie gehen müssen. Vorsicht: In diesem Gewusel warten darüber hinaus häufig Taschendiebe auf ihr nächstes Opfer.

Das volle Gleis einer Métrostation in Paris.
Während den Stoßzeiten herrscht auf den Bahnsteigen viel Betrieb.Bild: Michel Euler/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Dennoch führt der einfachste Weg, um dieser Situation zu entkommen, geradewegs durch das Getümmel - weg von der Schockstarre an der gefliesten Wand. An einigen Ecken und in einigen Linien spielen Straßenmusiker - und man kann in der Unterwelt sogar in kleinen Lädchen Obst und Kleinkram kaufen.

Das Szenario des Métro-Universums vervollständigt sich im Inneren der Bahn, sozusagen dem geheimnisvollen Wohnzimmer der Pariser. Während man selbst entweder eingequetscht in einer Ecke steht oder versucht, sich krampfhaft an einer Metallstange festzuhalten, sieht man zum Beispiel: Eine Frau, die sich entspannt die Lippen rot anmalt und dabei kein bisschen verwackelt, eine weitere Dame, die lässig an der Tür lehnt und in ihrem Notizbuch aus Leder zeichnet und eine kleine Gruppe Jugendlicher in bester Laune, beladen mit Kartons, Koffern und einer Stehpflanze - ein Umzug geht à la parisienne mit der Métro.

How to Métro - à la parisienne

Eine Métrobahn fährt in einen unterirdischen Bahnhof ein.
Lange warten muss man nicht: Die Bahnen kommen tagsüber ca. alle drei Minuten.Bild: Goldmann/picture alliance

Ein kleiner Crashkurs für Einsteiger: Das charakteristische Ping beim Entwerten des Ticktes an den Schranken ist der Startschuss der Operation Métro und damit des Übergangs in die Pariser Unterwelt. Mit einem selbstbewussten Schritt und einem leichten Scheppern durch die Schleuse - et hop - in die langen Tunnel der Métro. Die durchquert man im Idealfall schnellen Schrittes oder hat von vornherein den Eingang gewählt, der am nächsten an der gewünschten Linie liegt. Immer mit einer Hand auf der Tasche wartet es sich leicht auf den nächsten Zug, der meistens in weniger als drei Minuten anrollt. Wer ein echter Pariser oder eine echte Pariserin sein will, weiß selbstverständlich bei welcher Tür, in welchen Waggon man einsteigen muss, um beim Umstieg direkt zur nächsten Linie weiterlaufen zu können - gelernt ist gelernt!

Im Inneren des Wagens angekommen, hört der Métro-Knigge jedoch nicht auf. Faustregel: Einfach nicht im Weg stehen. Und ganz wichtig: Bei viel Betrieb von den Plätzen direkt neben den Türen aufstehen. Nicht drängeln, nicht schubsen und bei akuter Platzangst: Ruhe bewahren und auf das baldige Öffnen der Sardinenbüchse warten. Die meisten Pariser und Pariserinnen meiden übrigens die Station Chatelêt: Bei diesem Knotenpunkt handelt es sich sozusagen um den Superlativ der Métro, im Herzen von Paris. Hier kreuzen sich fünf Linien. Zu ihnen gelangt man häufig nur nach einem mehrminütigen Fußmarsch - praktischerweise ist die Zahl der Gehminuten meistens auf Schildern an den Wänden zu finden.

Der oben beschriebene Vorgang wiederholt sich nach der Correspondence, dem Umsteigen zwischen zwei Linien, ein zweites Mal. Auch dabei wird selbstverständlich und ohne großes Nachdenken die Tür ausgewählt, die am nächsten an einem der gewünschten Ausgänge der Métrostation liegt. Um das Licht der Freiheit wiederzuerlangen, orientiert man sich an den Sortie-Schildern - Obacht! Mit einem Ein- und Ausgang ist es bei den meisten Métrostationen allerdings nicht getan: Es gibt Exemplare bis zu 19 Ein- und Ausgängen, manchmal in verschiedene Sektoren unterteilt. Eine Fehlkalkulation kann da schon mal zu einem längeren Fußmarsch durch Les Couloirs, die Gänge, führen.

Praktischerweise ist jeder Sortie mit einer Zahl gekennzeichnet. Bref, das Métro-Einmaleins besagt - vier gewinnt: Man nehme die Zahlen des Eingangs, der Linie, der Tür und des Ausgangs - und vergesse sie gleich wieder. Neue Runde, neues Glück und auf in das nächste Abenteuer in den Tunneln der Pariser Unterwelt - auf den Spuren von gestern.