Bolivien: Für Journalismus | Lateinamerika | DW | 23.07.2015
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Lateinamerika

Bolivien: Für Journalismus

Zum Hintergrund: Innovativ, praxisorientiert, multimedial - mit "Pro Periodismo" startete die erste duale Journalistenausbildung Lateinamerikas. Mit engagiertem Nachwuchs, der die Berichterstattung verbessern will.

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"Wenn wir verantwortungsvoll berichten, können wir dazu beitragen, dass sich die Bolivianer für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen."

Das bunte Tuch, mit dem Isabel Vega ihre braunen Haare bändigt, verschafft ihr viel Aufmerksamkeit, als sie den Seminarraum betritt. Mit fröhlichem Hallo und herzlichen Umarmungen begrüßen sich die fünfzehn Auszubildenden in der Journalismus-Stiftung Fundación para el Periodismo (FPP) in La Paz. Sie gehören zum ersten Jahrgang der medienübergreifenden Journalistenausbildung "Pro Periodismo". An diesem Montagmorgen beginnt die vierte von insgesamt neun praktischen Seminareinheiten, diesmal zur multimedialen Kulturberichterstattung.

Die Nachwuchsjournalisten simulieren eine Radioredaktion. Rollen werden verteilt, von Reportern über Moderatoren bis hin zur Chefredakteurin. Intensiv diskutieren sie die Themen für ihre Sendung. "Eine spannende Zusammenarbeit - jeder bringt andere Berufserfahrungen mit", strahlt Isabel Vega, die seit einem Jahr als Videoredakteurin bei der katholischen Nachrichtenagentur Fides arbeitet. Berufserfahrungen sind fester Bestandteil der dualen Ausbildung und sorgen für eine enge Verzahnung von Redaktionsalltag und "Klassenraum". Während der Praxisseminare trainieren bolivianische und deutsche Dozenten zu Themen wie Datenjournalismus, Wahlberichterstattung oder politischem Journalismus, jeweils eine Woche in der Journalismus-Stiftung FPP. Zwischen den einzelnen Modulen arbeiten die Auszubildenden in ihren jeweiligen Redaktionen und können hier ihr neu erlerntes Wissen sofort anwenden. "Die duale Journalistenausbildung hat Pioniercharakter für die gesamte Region, denn auch in anderen lateinamerikanischen Ländern fehlt es an einer praxisorientierten Berufsausbildung", sagt Rodrigo Villarzú, Leiter Lateinamerika der DW Akademie. "Das hat auch die bolivianische Regierung erkannt, die das Langzeitprojekt der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und DW Akademie unterstützt."

Sprung ins kalte Wasser

Die 24-jährige Isabel Vega ist überzeugt davon, dass sie gemeinsam mit den anderen Auszubildenden künftig dazu beitragen kann, die Berichterstattung in Bolivien zu verbessern. "Medien tragen eine große Verantwortung - insbesondere wenn es darum geht, über Menschenrechtsverletzungen zu berichten", sagt die energische Frau. "Dazu brauchen wir Journalisten aber das entsprechende Wissen und Können."

Der Name "Pro Periodismo" ("Für Journalismus") ist Programm, denn Verbesserungen im bolivianischen Journalismus sind dringend nötig, bestätigt auch Renán Estenssoro. Der Vorsitzende der Journalismus-Stiftung FPP ist einer der Initiatoren der dualen Ausbildung. "Seit Jahrzehnten beobachten wir massive Defizite", beklagt Estenssoro. "Informationen werden ohne Quellenangaben verbreitet, Meinungen und Fakten werden vermischt. Nur wenn wir die Ausbildung verbessern, können wir den Journalismus in Bolivien dauerhaft professionalisieren."

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Straßenszene in La Paz

Wer den Beruf erlernen wollte, wurde bislang ins kalte Wasser geworfen: Die Kenntnisse brachte man sich entweder selbst bei oder war auf Hilfe von Kollegen angewiesen. Universitäten bieten zwar ein kommunikationswissenschaftliches Studium an, das jedoch vorwiegend theoretisch ausgerichtet ist. "Bislang fehlte es an einer Einrichtung, die eine qualitativ hochwertige und systematische Ausbildung mit internationalen Standards anbietet. Und die gleichzeitig auch reflektiert, welche Rolle Journalisten in einer Demokratie zukommt", beschreibt Elena Ern, Ländermanagerin für Bolivien der DW Akademie, die Ausgangslage.

Redaktionsvolontariat à la Boliviana

Mit "Pro Periodismo" ist die DW Akademie gemeinsam mit der GIZ angetreten, diese Lücke zu schließen. "Die einjährige Ausbildung ist ein Redaktionsvolontariat à la Boliviana", sagt Elena Ern. Vorbild war zum einen die Redakteursausbildung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, welche auch die Deutsche Welle seit 1964 anbietet. Zum anderen orientiert sich das Curriculum an den Bedürfnissen der bolivianischen Medienlandschaft.

Überzeugt von der neuen Ausbildung sind auch Vertreter staatlicher wie privater Medien. Das ist ungewöhnlich: Die Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung von Evo Morales schlägt sich auch in der Medienlandschaft nieder. Private und staatliche Medien bezichtigen sich gegenseitig des politischen Kampagnenjournalismus. Erstaunlich kompromissbereit zeigen sie sich hingegen bei der Ausbildung der nächsten Journalistengeneration: Beide Seiten unterstützen
das Projekt mit je einem Ausbildungsplatz. "Dadurch verringert 'Pro Periodismo' auch die Spaltung der bolivianischen Medienlandschaft", hebt Elena Ern die Signalwirkung des Projektes hervor.

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Isabel Vega gehört zum ersten Jahrgang der Ausbildung

Verantwortungsvoll berichten

Fünf Tage haben die Auszubildenden Kulturthemen recherchiert - und zwar jenseits von Theater, Museum und Literatur. "Diese sogenannte Hochkultur wird doch nur von einer kleinen Elite wahrgenommen", kritisiert Isabel Vega. Zur Kultur zählten aber auch Werte und Traditionen, ohne deren Kenntnisse die Menschen nicht für ihre Rechte einstehen können. "Wenn wir verantwortungsvoll berichten, können wir dazu beitragen, dass sich die Bolivianer für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen", sagt die 24-Jährige und verweist auf das Interview mit einer Schamanin, das in dieser Woche entstanden ist. Besonders imponiert habe ihr, dass die Schamanin aufgrund ihrer Stellung auch von Männern respektiert werde. "Wenn sie in unserem Interview öffentlich die Gewalt gegen Frauen anprangert, dann ermutigt das nicht nur andere Frauen, sondern zwingt auch Männer, sich mit dem Thema zu beschäftigen."

Interviews, Straßenumfragen und ein moderiertes Streitgespräch - am Ende der Woche haben die Auszubildenden eine unterhaltsame Kultursendung produziert, abgerundet von einer anspruchsvollen Multimediaseite. Isabel Vega ist zufrieden mit dem Ergebnis. Dass ihr Jahrgang der erste von "Pro Periodismo" überhaupt ist, sei kein Hindernis - im Gegenteil: In der Gruppe spüre sie einen ansteckenden Pioniergeist. "Wir sind ein sehr engagiertes Team - alle wollen einen Beitrag zu einem neuen Journalismus in Bolivien leisten. Ich wünsche mir, dass diese neue Qualität der Berichterstattung in unseren Medien und von den Nutzern anerkannt wird."

WWW-Links

  • Datum 23.07.2015
  • Autorin/Autor Mirjam Gehrke
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  • Permalink https://p.dw.com/p/1G3O9
  • Datum 23.07.2015
  • Autorin/Autor Mirjam Gehrke
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