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Politik

Überfüllt, schmutzig - und oft tödlich

Lewis Sanders IV kk
1. Juni 2020

Der Tod eines jungen Filmemachers hat einmal mehr den Blick auf die desaströsen Verhältnisse in ägyptischen Gefängnissen gelenkt. Humanitäre Standards werden dort oftmals ebenso wenig eingehalten wie juristische.

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Symbolbild Ägypten Gefängnis
Ägypten in Gefängnis (Symbolbild)Bild: picture-alliance/AA

Schady Habasch war alles, nur kein Verbrecher. Als aufstrebender Filmemacher mit einem Sinn für ausgreifende Ästhetik genoss Habasch den Nervenkitzel seines Handwerks - bis er aus seinem Leben gerissen und in das Tora-Gefängnis in Kairo geworfen wurde.

2018 wurde er angeklagt, einer terroristischen Organisation beigetreten zu sein und falsche Nachrichten verbreitet zu haben. Kurz zuvor hatte er einen Videoclip für den Song "Balaha" des im Exil lebenden ägyptischen Rockmusikers Ramy Essam gedreht. Das Lied setzte sich kritisch mit Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi auseinander.

Anfang Mai starb Habasch im Alter von 24 Jahren in seiner Zelle. Stundenlang hatten Mitgefangene die Gefängnisbeamten aufgefordert, für medizinische Hilfe zu sorgen. Berichten zufolge klopften sie an die Wände, um die Wachen zum Handeln zu bewegen - vergeblich.

"Desinfektionsmittel getrunken"

Ägyptische Staatsanwälte erklärten später, Habasch sei "versehentlich" an einem Desinfektionsmittel für die Hände gestorben. Er habe es mit Wasser verwechselt und getrunken. Der junge Regisseur war allerdings offensichtlich nicht der einzige Häftling, der in den vergangenen Monaten in dem berüchtigten Gefängnis verstorben ist.

"In Zellenblock 4, der für gewaltlose politische Gefangene vorgesehen ist, war der Tod von Schady Habash bereits der dritte in zehn Monaten", heißt es in einer Erklärung des Kairoer Instituts für Menschenrechtsstudien. Solche Gefangenen lasse man im Gefängnis mitunter bewusst sterben, so das regierungskritische Institut. Die Gefangenen befänden sich "ohne Gerichtsverfahren oder ordnungsgemäße Verfahren" in Haft. Die Bedingungen in den Gefängnissen seien "entsetzlich". Unter anderem würde ihnen bewusst Gesundheitsversorgung vorenthalten.

Würdeloses Schlafen "in Schichten"

Wie viele Menschen genau in ägyptischen Gefängnissen sitzen, ist unbekannt. Die meisten Schätzungen gehen von mehr als 100.000 aus, einschließlich Untersuchungshäftlingen. Das ägyptische Justizsystem platzt aus allen Nähten: Die staatlichen Gefängnisse sind zu 160 Prozent überlastet, die lokalen sogar zu 300 Prozent. Dies führt dazu, dass Gefangene häufig gezwungen sind, auf nackten Betonböden dicht an dicht, teils sogar übereinander zu schlafen. Die Einrichtungen sind schmutzig, zugleich fehlt es an allem, was die Auswirkungen des oft extremen ägyptischen Wetters abmildern könnte.

"Die ägyptischen Gefängnisse sind meist so überfüllt, dass Häftlinge bisweilen nicht gleichzeitig schlafen können, sodass sie in Schichten schlafen müssen", sagt Amr Magdi, Nahostexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). "Es gibt nicht genug Platz, dass sich alle hinlegen können."

"Bewegung war ein Luxus"

Ein Aktivist und Autor, der selbst inhaftiert war, schildert der DW die schlechten Bedingungen und Misshandlungen in ägyptischen Gefängnissen. "In der winzigen Zelle waren wir 70 Leute", so der Autor, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. "Wir saßen abwechselnd auf dem Boden, ohne zu schlafen. Der Rest von uns musste stehen, aber wir konnten uns dabei nicht bewegen. Bewegung war ein Luxus."

Überfüllte Zellen seien aber keineswegs das einzige Problem gewesen, so der ehemalige Gefängnisinsasse. Die Wächter hätten sich im Umgang mit den Gefangenen oft viele Freiheiten herausgenommen. Einmal habe er selbst erlebt, wie mehr als ein Dutzend Kinder unter 16 Jahren, Mädchen und Jungen, während ihrer Haftzeit in einen Verhörraum gebracht worden. "Ich konnte später an ihren Schreien nicht erkennen, ob es Jungen oder Mädchen waren", so der Aktivist.

Ärztliche Versorgung verweigert

Überfüllte Bedingungen und Missbrauch setzen den Gefangenen insbesondere dann zu, wenn zusätzlich der Zugang zu ärztlicher Versorgung verweigert wird, was offenbar immer wieder passiert. Viele Häftlinge mit chronischen Krankheiten können laut Menschenrechtlern nicht mit einer angemessenen Behandlung rechnen. "Es ist sehr schwierig für einen Häftling, durchzusetzen, dass er in ein Krankenhaus gebracht wird", so Amr Magdi von Human Right Watch. "Und selbst wenn dies geschieht, findet sich der Patient nach der Untersuchung im Krankenhaus umgehend in einem Gefängnis wieder - und zwar auch dann, wenn sein Zustand eigentlich einen Krankenhausaufenthalt erfordert."

HRW hat die ägyptische Regierung aufgefordert, gewaltlose politische Gefangene freizulassen. Ebenso plädiert die Menschenrechtsorganisation dafür, weitere Häftlinge zu entlassen - so etwa diejenigen, die nur deshalb noch im Gefängnis sitzen, weil sie armutsbedingt keine Geldstrafen zahlen können. Gerade im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie seien die Bedingungen in den Gefängnissen gesundheitlich höchst riskant.

"Unterdrückt und dennoch laut"

Auch der in Schweden und Finnland lebende Musiker Ramy Essam war bereits im Gefängnis. Die einzige Möglichkeit, seine Hafterlebnisse zu verarbeiten, war für ihn, einen Song zu schreiben. Titel: "Das Gefängnis tötet nicht". Der Track sollte Teil einer neuen Kampagne zur Freilassung von Schady Habasch sein. Die Texte stammten von Habasch selbst und waren vor seinem Tod aus dem Gefängnis geschmuggelt worden.

"Der Song ist eine Erinnerung für uns alle, uns für die Freisetzung politischer Gefangene, Künstler und anderer einzusetzen, deren Menschenrechte verletzt werden", sagte Essam der DW. "Es ist die Stimme von Hunderttausenden, die im Moment dieselbe Erfahrung machen. Es ist eine Stimme, die wir hören müssen. Sie ist unterdrückt - und dennoch so laut."