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Verklagt im Namen des Klimas

Sabrina Kessler New York
13. November 2019

Bröckelnde Gewinne, verunsicherte Investoren und dann auch noch Ärger vor Gericht: Es könnte besser laufen für den Öl-Konzern Exxon Mobil. Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber. Aus New York Sabrina Kessler.

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USA Fracking Bohrstelle Bohrung Colorado
Bild: picture-alliance/dpa/B. Linsley

Eigentlich hätten sie die Schulbank drücken müssen. Doch, dass ein einzelnes Unternehmen so sehr schuld sein soll am Klimawandel und die Öffentlichkeit schamlos darüber belügt, macht die Schüler wütend.

An diesem kalten Novembermorgen stehen sie deshalb vor dem New Yorker Supreme Court, um den Prozess gegen den Klima-Sünder Exxon Mobil zu verfolgen. "Exxon knew. Let them pay", schreien sie im Chor, während sie Papp-Schilder mit der Aufschrift "Lügner" in die Höhe halten.

Schüler-Proteste gegen ExxonMobil vor dem New Yorker Supreme Court
Schüler-Proteste gegen ExxonMobil vor dem New Yorker Supreme CourtBild: Fridays for Future NYC

Es ist einer der ersten großen Klima-Prozesse in den USA, der derzeit in New York City stattfindet. Nicht, weil Exxon Mobil das Klima schädigt. Sondern weil der Konzern die Folgen des Klimawandels jahrzehntelang vor seinen Investoren verharmlost haben soll.

Leticia James, die New Yorker Generalstaatsanwältin, wirft dem größten Öl-Produzenten der USA vor, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimaschutzauflagen in seinen Büchern geschönt zu haben. Bilanzbetrug und Anlegertäuschung lautet die Anklage.

Kein Kommentar

Auf eine Anfrage der DW reagierte Exxon Mobil nicht. Auf der Webseite des Konzerns findet sich eine Stellungnahme aus dem Oktober 2019, in der das Unternehmen die Vorwürfe als falsch bezeichnet und sich missverstanden fühlt. "Die Anschuldigungen des Generalstaatsanwalts von New York  sind unzutreffend." 

Investoren würden durch regelmäßige Bekanntmachungen darüber informiert, wie die Firma mit klimarelevanten Risiken umgehe. "Die Einbringung des Falls durch den Generalstaatsanwalt ist irreführend und wirft gezielt ein falsches Licht auf unsere firmeneigenen Prozesse, die sicherstellen, dass Investitionen gegenwärtige sowie auch potentielle, zukünftige klimabezogene Regulierungen beachten."

Im Jahr 2017 gehörte Exxon Mobil zu einer ganzen Reihe von US-Unternehmen, die für den Verbleib der Vereinigten Staaten im Pariser Klima-Abkommen plädierten - mit Mehrheitsentscheidungen seiner Aktionäre. Die Mehrheit der Aktionäre hatte seinerzeit gefordert, dass der Konzern die Geschäftsplanungen künftig stärker an Klimaschutzzielen ausrichten solle. 

Sieg für Exxon Mobil?

Was lange nach einem klaren Sieg für die US-Staatsanwaltschaft aussah, droht nun allerdings zu einem Desaster für den Staat New York zu werden. Kläglich sind die Vertreter der Anklage daran gescheitert, zu beweisen, dass Exxon seine Anleger mit Absicht getäuscht hat. Vor wenigen Tagen verkündete Staatsanwalt Jonathan Zweig sogar, die Vorwürfe des vorsätzlichen Betrugs fallen zu lassen. Es war einer der Hauptanklagepunkte gegen Exxon Mobil.

Eigentlich wollte der Staat New York beweisen, dass der texanische Öl-Riese seine Investoren und Aktionäre wissentlich getäuscht hat. Exxon Mobil soll dafür ein "langjähriges betrügerisches System" aufgebaut haben, um die wahren Kosten des Klimawandels zu verschleiern. Das alles, um den Aktienkurs zu pushen und Anleger bei Laune zu halten. Ähnlich lauteten damals die Vorwürfe gegen die Tabak-Industrie, die öffentlich das Krebsrisiko leugnete, obwohl sie es besser wusste. Es folgten: Strafen in Milliardenhöhe.

Milliardenschwere Abstammung

Es geht vor Gericht nicht um irgendein Unternehmen, sondern um die Nachfolge des reichsten Mannes der Neuzeit. Die Wurzeln von Exxon Mobil gehen zurück auf John D. Rockefeller, den amerikanischen Öl-Dynasten, der im Jahr 1863 eine der ersten Öl-Raffinerien Amerikas aufbaute. Seine Firma, die Standard Oil Company, wuchs so mächtig, dass der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, sie einige Jahrzehnte später in mehr als dreißig Firmen zerschlug - darunter zwei, aus denen das heutige Exxon Mobil hervorging.

Auch dieser Konzern wiederum entwickelte sich zu einem der größten der Welt: 279 Milliarden US-Dollar Umsatz verzeichnete der Öl-Multi allein vergangenes Jahr. Zum Vergleich: Apple kam 2018 auf 266 Milliarden Dollar. 

ExxonMobil-Logo am Firmensitz in Irving (Texas)
ExxonMobil-Logo am Firmensitz in Irving (Texas)Bild: picture-alliance/dpa/F. Duenzl

Klimafolgen: Exxon Mobil wusste alles?

Der Erfolg hat freilich Nebenwirkungen. Exxon Mobil zählt zu den größten Klimasündern der Welt. Nicht nur werden Wälder gerodet, Gewässer verschmutzt und Böden verunreinigt, um an das schwarze Gold zu kommen.

Mit knapp zwei Prozent trägt der Öl-Riese auch zum weltweiten CO2-Ausstoß bei, wie das Carbon Disclosure Project vorrechnet. 42 Milliarden Tonnen seien so in den letzten 50 Jahren zusammengekommen. "Exxon Mobil ist ein Klima-Krimineller", sagt die Non-Profit-Organisation 350.org, die die Schüler bei ihren Protesten unterstützt.

Wie sehr sie das Weltklima gefährden, wissen die Öl-Konzerne nur zu gut. Seit Jahrzehnten geben sie Studien in Auftrag, um ihren ökologischen Fußabdruck zu messen. Exxon Mobil etwa soll schon seit den 1970er-Jahren von den klimaschädlichen Folgen des Öl-Geschäfts gewusst haben.

Nach außen drangen diese Erkenntnisse allerdings nie durch. "Exxon Mobil führt die Öffentlichkeit über den Zustand der Klimaforschung und ihre Auswirkungen in die Irre", sagen zwei Harvard-Professoren, die die öffentlich zugänglichen und die internen Dokumente der Firma miteinander verglichen haben. Ihr Vorwurf: Exxon Mobil habe die Folgen des Klimawandels jahrelang verharmlost.

Aktionäre stehen dem Unternehmen bei

Der Staat New York wiederum konnte ExxonMobil bislang kein konkretes Vergehen vorwerfen. Kein einziger Aktionär, der vor Gericht aussagte, gab an, getäuscht worden zu sein. Zuvor sagte Ex-Exxon-CEO Rex Tillerson, dass ein Teil der Kosten die wahrscheinlichen Auswirkungen künftiger CO2-Gesetze auf die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen darstellten, also allgemein betrachtet wurden. Unabhängig davon habe man Treibhausgaskosten für bestimmte Investitionen noch einmal projektbezogen bewertet.

Weil die Staatsanwaltschaft nichts gegen ExxonMobil in der Hand hat, könnte jetzt nur noch der sogenannte Martin Act greifen, ein US-Gesetz gegen Wirtschaftskriminalität. Die Anklage müsste dafür beweisen, dass Exxon seinen Investoren zu Unrecht versichert hat, das eigene Geschäft angemessen auf eine dekarbonisierte Zukunft vorzubereiten. Ein Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet.

Lange Karriere bei ExxonMobbil, von 2006 bis 2016 Geschäftsführer: Rex Tillerson, von Februar 2017 bis März 2018 US-Außenminister unter Donald Trump
Lange Karriere bei ExxonMobbil, von 2006 bis 2016 Geschäftsführer: Rex Tillerson, von Februar 2017 bis März 2018 US-Außenminister unter Donald Trump Bild: Getty Images/A. Wong

Gewinne, Gewinne, Gewinne

Exxon Mobils größte Herausforderung ist allerdings eine ganz andere. Ein Blick an die Wall Street verrät: der Energiesektor verliert zunehmend an Bedeutung. Die Branche stellt heute weniger als fünf Prozent des Gesamtmarktwertes aller im S&P 500 indexierten Unternehmen dar. 2014 waren es noch über 15 Prozent.Mit der Angst vor einer möglichen Klima-Krise hat der schrumpfende Anteil wenig zu tun, sagen Analysten. Vielmehr fürchten sich die Investoren vor kurzfristigen Verlusten. "Was in fünf oder zehn Jahren passiert, ist vielen Anlegern egal", sagt etwa Stewart Glickman von CFRA Research. Viel eher wollen sie wissen: "Welche Rendite springt nächstes Jahr für mich raus?"

Die Gier nach Gewinnen macht auch Exxon Mobil zu schaffen. Seit ihrem Allzeithoch vor fünf Jahren ist die Aktie um ein Drittel eingebrochen. Längst ist klar: Mit Kohle, Gas und Öl lässt sich nicht mehr so viel verdienen wie früher.

Ölpreis verharrt auf niedrigem Niveau

Kohle etwa wird zunehmend vom billigeren Erdgas verdrängt. Auch Öl wird mittels Fracking in solchen Mengen, dass der Markt im wörtlichen Sinne geflutet wird. Nicht einmal die militärischen Angriffe auf die saudischen Ölfelder im September haben den kriselnden Ölpreis nachhaltig steigen lassen. 20 Prozent hat er seit Januar verloren.

Die Anfang November veröffentlichen Quartalszahlen zeigen das ganze Ausmaß der Misere. Zwar hat Exxon Mobil die Erwartungen der Analysten bei Umsatz und Erträgen übertroffen.

Allerdings hat sich der Gewinn in den letzten drei Monaten fast halbiert. Nur noch 3,17 Milliarden Dollar hat der Konzern verdient bei insgesamt 65 Milliarden Dollar Umsatz. Allein der Rückgang der Ölpreise hat den Konzern eine halbe Milliarde Dollar gekostet.

Exxon Mobil fehlt der Fortschritt

Für Analysten ist klar: Exxon Mobil braucht neue Wege, um sich wiederzubeleben. "Die Steinzeit ist ja auch nicht zu Ende gegangen, weil die Steine ausgegangen sind", sagt Analyst Glickman. Will heißen: Nicht fehlendes Erdöl wird den Öl-Riesen einen Strich durch die Rechnung machen, sondern die fehlende Profitabilität.

Wettbewerber wie Royal Dutch Shell experimentieren längst mit erneuerbaren Energien, um dem Zeitgeist gerecht zu werden. Exxon Mobil hinkt da Jahre hinterher.

230 Milliarden Dollar für neue Öl-Quellen

Der Konzern hat zwar einen Plan für die Zukunft. Der setzt aber weiterhin stark auf fossile Brennstoffe. Die Förderung von Schieferöl (Fracking) im Westen gehört dazu genauso wie Erdgas-Anlagen in Papua-Neuguinea, Öl-Quellen im südamerikanischen Guyana und die Erschließung neuer Felder in Brasilien und Mosambik.

230 Milliarden Dollar will der Konzern dafür in den kommenden Jahren investieren. Nur ein Bruchteil davon allerdings für umweltfreundliche Technologien. Gerade mal zehn Milliarden Dollar hat der Öl-Riese bislang locker gemacht - in den letzten zwanzig Jahren.

Wie der Prozess in New York auch ausgehen mag: Der Groll der Klima-Schützer und Schüler ist Exxon Mobil sicher. In Massachusetts, zwei Bundesstaaten weiter nördlich, läuft derzeit schon der nächste Prozess gegen den Öl-Produzenten. Dort allerdings nicht nur wegen Anlagebetrugs, sondern auch wegen mangelnder Transparenz gegenüber Verbrauchern. Ein Urteil wird in wenigen Tagen erwartet.

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