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Der Zweite Weltkrieg im Videospiel

Kristina Reymann-Schneider5. Mai 2015

Kriegsspiele sind in. Ein beliebtes Setting: das Dritte Reich. Doch können Games Geschichte erzählen? Und wie fühlt es sich an, als amerikanischer Scharfschütze oder deutscher Bomberpilot aktiv am Krieg teilzunehmen?

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Spielerin spielt das Videospiel "Sniper Elite III"
Bild: DW/K. Reymann-Schneider

Die Wüstenlandschaft ist in kaltes Blau getaucht. Noch liege ich versteckt im Dickicht. Der Himmel ist fast schwarz. Die uniformierten Männer, die in dem dürftig eingerichteten Lager patrouillieren, sind kaum zu erkennen. Langsam robbe ich auf dem staubigen Boden vorwärts. Ein Generator brummt, rattert eine Weile, gibt wieder Ruhe. Ich halte Ausschau nach den Soldaten. Viele sind es nicht, aber sie sind hellhörig. Ich darf nicht auffallen. Ruhig lege ich mein Scharfschützengewehr an und nehme mein Ziel ins Visier. Das Rattern beginnt wieder. Schuss. Der deutsche Offizier stürzt rund 70 Meter von mir entfernt in den Wüstenstaub.

Zweiter Weltkrieg: spielerisch interessant

Als Karl Fairburne - ein muskulöser, unerschrockener Mann des US-amerikanischen Nachrichtendienstes OSS - kämpfe ich im Jahr 1942 im nordafrikanischen Libyen gegen die Achsenmächte. "Sniper Elite 3" ist nur eines von mehr als 500 Videospielen, die in den letzten 35 Jahren erschienen sind und im Zweiten Weltkrieg spielen. Dass ein Großteil der Computerspiele mit historischem Inhalt im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, hat verschiedene Gründe, weiß die Historikerin Angela Schwarz von der Universität Siegen. Sie hat sich die Geschichte in Computerspielen als einen ihrer Forschungsschwerpunkte gewählt. Historische Themen hätten für Spieleentwickler den Vorteil, dass sie nicht erst noch erfunden werden müssen, erklärt sie. Gerade der Zweite Weltkrieg sei in einer breiten Öffentlichkeit recht gut bekannt und biete "als Bewegungskrieg mit großen Raumgewinnen und -verlusten eine spielerisch interessantere Plattform als andere Kriege". Zudem sei die Militärtechnik – mächtige Panzer, Kanonen, Bomber und Raketen – für viele Spieler sehr reizvoll.

Sturzkampfbomber Junkers Ju 87 in der Luft
Deutsche Sturzkampfbomber Junkers Ju 87 wurden in den 1930ern entwickelt und im Zweiten Weltkrieg eingesetztBild: Attribution: Bundesarchiv, Bild 101I-646-5188-17 / Opitz / CC-BY-SA

Der Youtuber Mootality ist einer, der gerne am PC die Simulation "War Thunder" spielt. Der 30-Jährige ist ein paar Jahre jünger als der Durchschnittspieler und gehört zu den 29 Millionen Deutschen, die mehrmals im Monat digitale Spiele spielen. Er mag historische Stoffe. "Fahrzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg sieht man sonst nur im Museum", sagt er. "Es ist interessant, sie mal in Bewegung zu sehen." Vor allem aber gefällt ihm das Teamspiel. Für ihn ist Computerspielen Mannschaftssport.

Gameplay statt Geschichte

Die meisten Spiele verharmlosen den Krieg nicht – auch wenn sie Kriegsverbrechen ausblenden. Gleichzeitig sind Spielern und Entwicklern gerade die Feinheiten wichtig, weil sie die Illusion eines Eintauchens in die Vergangenheit erst ermöglichen. Deshalb werden Waffen, Fahrzeuge und Kriegsschauplätze oft bis ins kleinste Detail am Computer nachgebaut. In den Spielen gehe es aber in der Regel nicht um die Vermittlung von Geschichte, so die Historikerin. Die vergangene Epoche bilde lediglich einen Rahmen für das Spiel und bestimme das Gameplay, also die Möglichkeiten, die der Spieler hat, im Spiel in Aktion zu treten.

Spiele erzeugen dennoch potentiell Geschichtsbilder. Sie können – genauso wie das Geschichtsbuch – selbstverständlich nur einen Ausschnitt abbilden. Doch nicht selten ginge die Verkürzung so weit, dass sie einer Verzerrung der historischen Ereignisse gleichkomme, erklärt Angela Schwarz. Dies wird den meisten Spielern aber durchaus bewusst sein, vermutet die Historikerin. Doch bislang gibt es dazu keine empirischen Studien.

Neugier für vergangene Epochen entfachen

In reinen Shootern sind oft die Deutschen die Feinde, bei Strategiespielen und Simulationen sieht das schon wieder anders aus. Bei "War Thunder" ist es dem Spieler freigestellt, auf welcher Seite er steht. Er kann als deutscher, russischer, amerikanischer, britischer oder japanischer Soldat am virtuellen Weltkrieg teilnehmen und zahlreiche Schlachten aus den frühen 1930er Jahren bis in die 1950er Jahre hinein im Panzer oder als Pilot nachspielen.

Britische Soldaten feuern in der Schlacht von El Alamein im Jahr 1942 Kanonen ab
Britische Soldaten in der Schlacht von El Alamein im Jahr 1942Bild: picture alliance/Heritage Images

Ziel sei es, Spielern die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten auf realistischen Flugzeugen und Landfahrzeugen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts unter Beweis zu stellen, erklärt Michael Praschak, Online Marketing Manager bei Gaijin Entertainment. Dabei gehe es nicht um Gewalt, sondern um eine wirklichkeitsnahe Darstellung von Technik und physikalischen Eigenheiten. Die Simulation erzähle keine Geschichte und wolle nicht belehren. Aber sie versuche, für die Spieler Anreize zu schaffen, sich mit der historischen Periode auseinanderzusetzen, sagt Michael Praschak. "Dazu gehören beispielsweise Artikel, in denen wir Fahrzeuge und ihre Verwendung im Spiel beschreiben und auch Hintergrundwissen zur technischen Entwicklung und zum historischen Einsatz vermitteln."

Zurück in die Wüste

Schlägt das Spiel also bald das Geschichtsbuch? Nein. Aber Spiele können neugierig machen auf Geschichte, meint Historikerin Angela Schwarz.

Screenshot des Computerspiels "War Thunder"
Unterwegs als Pilot: Spieler in "War Thunder"Bild: Gaijin Entertainment

Ich lese nun tatsächlich nach. 1942 kämpfte das Deutsche Afrikakorps unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel gemeinsam mit den verbündeten italienischen Truppen in Libyen gegen die Alliierten. Mussolini drohte seine Kolonie in Nordafrika zu verlieren und hatte Hitler um Unterstützung gebeten. Hitler wollte eine Schwächung Italiens um jeden Preis verhindern und hatte möglicherweise den Plan, den Kriegsgegner Großbritannien zu lähmen, indem er ihm den Zugang zu libyschem Öl erschwerte. Rommel eroberte im Sommer die libysche Hafenstadt Tobruk und rückte vor bis ins ägyptische El Alamein. Aber auf die schnellen Erfolge folgte im Mai 1943 die Kapitulation bei Tunis.

Zurück ins virtuelle Jahr 1942: Ich krieche durch den Sand der Gaberoun-Oase im Westen Libyens und versuche, mich durch die feindlichen Stellungen zu schleichen. Doch jemand hat mich gesehen. Der Bildschirm wird rot. Ich bin tot. Nach kurzer Ladezeit liege ich wieder neben einem Generator, schaue durch das Fernglas und markiere per Tastendruck meine Feinde: deutsche Soldaten. Ein seltsames Gefühl. Mein Opa wurde damals auch eingezogen. Die Brüder meiner Oma sind nie aus dem Krieg heimgekehrt. Plötzlich kann ich diese Tatsache nicht mehr ausblenden. Dürfen Kriegsspiele eigentlich Spaß machen? Ich habe genug davon und lege den Controller weg.