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Zwei Tage mit Diego Maradona

25. November 2020

Diego Maradona spielte zu einer Zeit, in der Fußball noch nicht globalisiert war - der Ruf des Argentiniers dagegen schon. Den Dribbelkünstler live zu erleben, war etwas Besonderes: eine persönliche Hommage.

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Diego Maradona | Statue in Buenos Aires
Bild: Mario De Fina/NurPhoto/picture alliance

Ein leichter Nebel umspielte den kühlen Boden des Weserstadions. Es war der 6. Dezember und die Kälte kroch mir langsam an den Beinen hoch. Aber es war schließlich Diego Maradona, der sich recht nah - rund eineinhalb Stunden Fahrzeit mit dem Auto - der Heimat zeigte. Der SSC Neapel war im UEFA-Cup zu Gast bei Werder Bremen. Für solch einen Spieler, dem Idol so vieler Kinder und Jugendlicher mit so großen (Fußball-) Träumen, war kein Weg zu weit und keine Temperatur zu niedrig. Ich musste unbedingt dabei sein.

Im Jahr 1989, in Zeiten also, in denen nicht jedes Spiel auf dem Globus auf irgendeinem Pay-TV-Sender live übertragen wurde und die Champions League nicht Jahr für Jahr dieselben Teams quer durch Europa schickt, waren das für mich und alle anderen Fußballfans noch ganz außergewöhnliche Abende. Informationen über Maradona konnte man eigentlich nur durch überregionale Zeitungen oder den "Kicker" erhalten. Wenn man Glück hatte, gab es mal in der Sportreportage des ZDF einen Bericht über den italienischen Fußball und dessen Stars. Das war alles. Der Fußball war noch nicht globalisiert - Maradonas Ruf dagegen schon.

Uli Borowka lässt Träume zerplatzen

Und eigentlich müsste ich Uli Borowka böse sein. Der beinharte Verteidiger nahm sich den argentinischen Künstler während der 90 Minuten an diesem kühlen Abend so richtig vor. Er hechelte Maradona hinterher, störte ihn bei jeder Ballannahme, fuhr ihm erbarmungslos in die Knochen. Wer sich an viele Foulspiele und die Härte im Profi-Fußball aus diesen Zeiten erinnert, den dürfte es noch heute schaudern. Maradona resignierte irgendwann, Werder siegte mit 5:1 und zog in die nächste Runde ein.    

Eigentlich hatte Maradona seine außergewöhnlichen Fähigkeiten am Ball nur während des Aufwärmens zeigen können. Während sich seine Kollegen seriös warmliefen, jonglierte Maradona lieber mit dem Ball, als wäre es das Einfachste auf dieser Welt. Der Ball war sein Freund, die Kugel machte genau das, was er wollte. Es sah alles so leicht und einfach aus. Auch wenn diese Flugbahnen gar nicht möglich erschienen - das musste einfach jeder erkennen und ihn dafür lieben. Die Augen wohl aller Besucher im Stadion richteten sich schon vor dem Spiel nur auf ihn.

DW-Redakteur Jörg Strohschein
DW-Redakteur Jörg Strohschein

Fiebern mit Argentinien

Alle hatte diesen "El Pibe de Oro" (den Goldjungen) ja schließlich bei der WM 1986 in Mexiko am Fernseher verfolgen können, wie er dieses Turnier nahezu im Alleingang für sein Land entschied. Seine Mitspieler waren eigentlich nur Staffage. Ich fieberte nicht mit Argentinien, aber mit diesem Wunderknaben mit. Seinen Treffer im Viertelfinale gegen England zum 2:0, als er federleicht und mit einer mitschwingenden Arroganz fast die gesamte Mannschaft der "Three Lions" düpierte, ist bis heute für mich das spektakulärste Tor der Fußballgeschichte.

Maradona spielte danach immer wieder mal in meinem Leben eine Rolle. Bei der WM 1990 etwa, als sich Maradona der deutschen Elf  im Finale geschlagen geben musste. Er hatte große Zeiten im Europapokal, machte Schlagzeilen, als er in Neapel mit der Camorra anbandelte. Aber irgendwann trennten sich unsere Wege. Bis es im Sommer 2006, im Gelsenkirchener Stadion beim WM-Spiel zwischen Argentinien und Serbien/Montenegro, ein Wiedersehen gab. Maradona, schon deutlich schwerer und vom freudigen Leben gezeichnet, aber immer noch mit dieser Aura ausgestattet, feierte das 6:0 der Gauchos als echter Fan auf der Tribüne so enthusiastisch, als hätte es bereits den WM-Titel bedeutet. Ich freute mich mit ihm, ich gönnte ihm diese Begeisterung. Argentinien schied dann allerdings im Viertelfinale gegen Deutschland aus.

Menschliche Schwächen überdeckt

Maradonas Eskapaden, seine Partys, seine Extrovertiertheit, seine Unkontrolliertheit, mit denen er außerhalb des Fußballs irgendwann nur noch von sich reden machte, konnte ich ignorieren. Ich bin einfach nur froh, ihn live spielen gesehen zu haben. Meine Erinnerung an diesen Ausnahmespieler überdeckten stets die menschlichen Schwächen, die Maradona selbst gar nicht verstecken wollte. Maradona wird jetzt woanders mit dem Ball jonglieren. Und die Anderen werden wieder staunen. So wie ich damals im Weserstadion.