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Zum 80. Geburtstag Hartmut Langes

Jochen Kürten
31. März 2017

Hartmut Lange machte sich zunächst mit Theaterstücken einen Namen. Seit vielen Jahren wird er aber vor allem für seine Novellen gerühmt. Sie erzählen vom Abgrund des Lebens.

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Hartmut Lange
Hartmut Lange auf einer Aufnahme aus dem Jahre 2011Bild: laif/Hans-Christian Plambeck

"Und nun überkam ihn inmitten dieser Einöde, das Haar, die Schultern waren ihm eingeschneit, die Hunde lagen zu seinen Füßen, eine grenzenlose Wehmut darüber, dass alles, was er sah und fühlte, sich selbst eingeschlossen, ein vergebliches, unwiederbringliches Bemühen war."

Der, von dem hier die Rede ist, ist der Schriftsteller Heinrich von Kleist. Der kurze Absatz schildert die Geistesverfassung des Dichters kurz vor dessen Selbstmord. Die letzten Stunden vor dem Suizid, den Kleist an einem nebeligen Novembermorgen des Jahres 1811 am kleinen Wannsee gemeinsam mit Henriette Vogel beging, stehen im Mittelpunkt der Novelle "Im November" - einer von fünf kurzen Erzählungen in dem 1984 erschienenen Band "Die Waldsteinsonate".

Fünf Novellen über unerhörte Begebenheiten

Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Hartmut Lange (31.3.) hat der Schweizer Diogenes-Verlag das Büchlein wieder aufgelegt. Eine gute Wahl, stehen die fünf Novellen doch beispielhaft für das erzählerische Werk dieses Autors. Kurze Erzählungen, die sich meist um ein eigenartiges, überraschendes und unvorhergesehenes Ereignis drehen - das ist die Spezialität dieses Autors in den letzten Jahren. Er habe die Form der Novelle wieder in der deutschsprachigen Literatur etabliert, schrieb ein Kritiker.

Buchcover Hartmut Lange Die Waldsteinsonate
Bild: Diogenes

Goethe definierte das Merkmal der Novelle einst als "eine sich ereignete unerhörte Begebenheit". Darum geht es auch Lange in seinen Erzählungen. Und vielleicht ist es auch nicht ganz falsch zu vermuten, dass sich auch im Leben Hartmut Langes Ende der 1970er Jahre eine "unerhörte Begebenheit" zugetragen hat, die einen tiefen Einschnitt in seinem künstlerischen Schaffen nach sich zog.

1937 in Berlin-Spandau als Sohn eines Metzgers geboren, wuchs Lange während des Zweiten Weltkriegs im polnischen Posen auf, wurde nach Kriegsende von den Sowjets nach Ost-Berlin umgesiedelt. Ende der 1950er Jahre studierte der junge Mann an der Filmhochschule in Babelsberg, arbeitete als Dramaturg am Theater und begann Stücke für die Bühne zu schreiben. Doch mit diesen stieß er schnell an die Grenzen sozialistischer Toleranz, aufgeführt wurden sie zum Teil erst Jahre später im Westen.

Flucht aus der DDR

Eine Ferienreise nach Jugoslawien nutze Lange vier Jahre nach dem Bau der Mauer um sich aus der DDR abzusetzen. Nach einem ersten Aufenthalt in München ließ sich Hartmut Lange dann in West-Berlin nieder - wo er an verschiedenen Theatern Arbeit fand, als Dramaturg, Regisseur und Autor. Als ehemaliger DDR-Bürger ließ ihn das Leben im Sozialismus aber nicht los, viele seiner Stücke beschäftigten sich mit den Tücken des "real existierenden Sozialismus". Da sich der Theaterautor Lange ideologisch aber auch nicht mit den westlichen und kapitalistischen Leitlinien anfreunden konnte, geriet er zwischen viele Stühle, seine Arbeiten wurden oft kontrovers diskutiert.

Hartmut Lange Schriftsteller
Arbeitete zunächst als Theaterautor und DramaturgBild: picture-alliance/dpa/E.Elsner

Vielleicht war es auch diese künstlerische Phase, die Ende der 1970er Jahre zu einem seelischen Zusammenbruch führte. Die Psyche habe "plötzlich zugemacht" beschrieb Lange später in einem Interview mit der Zeitschrift "Der Spiegel" diese Zeit, in der er länger unter massiven Seh- und Hörstörungen litt. Was folgte, war eine radikale Änderung seiner schriftstellerischen Ausrichtung.

Danach schrieb er seinen einzigen Roman "Die Selbstverbrennung", der den Fall des evangelischen DDR-Pfarrers Oskar Brüsewitz aufgriff. Der hatte sich 1976 selbst verbrannt. Im Jahr darauf veröffentlichte Hartmut Lange sein "Tagebuchs eines Melancholikers", das Einblick gab in die Geistesverfassung des Schriftstellers. Von nun an konzentrierte sich Hartmut Lange auf das Verfassen von Novellen, die in den folgenden Jahren in schöner Regelmäßigkeit die Leser erreichten.

Die Protagonisten werden mit erstaunlichen Dingen konfrontiert

"Das Konzert", "Die Ermüdung", "Die Stechpalme, "Das Streichquartett" hießen einige dieser Texte und Novellensammlungen. Oft ging es in ihnen um den Zusammenprall von Realität und Fiktion: Männern im schon fortgeschrittenen Alter passieren dort unerhörte Dinge, nicht selten werden sie von kaum zu erklärenden Phänomenen heimgesucht. "Aus dem vernunftgläubigen marxistisch-realistischen Dramatiker wurde ein Erzähler, bei dem die metaphysischen Farben intensiver wurden, ohne dass dabei seine Sprache zu raunen begann", umschrieb ein Kritiker diesen "neuen" Hartmut Lange.

Buchcover Hartmut Lange Die Selbstverbrennung
Bild: Diogenes

Suchte man Hartmut Lange in seiner Berliner Wohnung auf, um mit ihm über eines seiner neuen Bücher zu sprechen, traf man auf einen freundlichen, nachdenklichen Menschen. Seine Frau servierte Tee und Gebäck und man begann zu verstehen, was diesen Autor umtrieb. Es war nichts weniger als die große Frage nach jeglichem Sinn menschlicher Existenz, um die es Lange in seinen Novellen ging.

Meister der musikalisch-rhythmischen Sprache

Doch fernab jeder metaphysischen Schwere lesen sich seine Bücher immer auch leicht und luftig. Sie lassen den Leser zwar mit vielen Fragen zurück, doch was könnte die Literatur schöneres bieten, als dass ein gewichtiges Thema in einer schönen, musikalisch-rhythmischen Sprache dargeboten wird. So werden auch die an sich so unerträglich traurigen Gedanken eines Heinrich von Kleist kurz vor dessen Selbstmord zu einem melancholischen Stück Literatur, das lange nachhallt. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch Hartmut Lange zum 80. Geburtstag und bitte, bitte noch ein paar Novellen in den kommenden Jahren!

Die jüngste Veröffentlichung, der Novellenband "Die Waldsteinsonate" liegt, wie die anderen Bücher Hartmut Langes auch, beim Schweizer Diogenes-Verlag vor.