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Pakistan: Zivile Fluthelfer retten das Land vor dem Chaos

25. September 2010

Pakistans Regierung sähe es am liebsten, wenn die Fluthilfe aus dem Ausland nur über sie abgewickelt würde. Doch dann wäre die Lage noch chaotischer als zurzeit, sagt DW-Reporter Thomas Bärthlein.

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Dorf Alam Khan Chachar, Jamshoro, Sindh (Foto: Thomas Bärthlein)
Ihre Häuser sind zerstört, die Menschen aus Jamshoro sind auf Hilfe angewiesenBild: DW

Die Litanei an Beschwerden ist lang: kein Wasser, zu wenig Essen für die Kinder. Was die Frauen in der Zeltstadt Gulshan-e-Shahbaz in Jamshoro bei Hyderabad beklagen, hört man zurzeit in vielen Lagern für Flutopfer in Pakistan. Die Hilfsmaßnahmen der Regierung würden einfach nicht reichen. Häufig werden Polizisten geschickt, um die Hilfsgüter verteilen, denn diese können sich gegen die aufgebrachten Menschen am besten wehren.

Freiwillige organisieren Hilfe

Menschen in einem Notlager (Foto: DW)
Ohne Dokumente kommt man nicht in staatliche LagerBild: DW

Aber man sieht auch ganz andere Szenen. Die Krankenstation in demselben Lager hat reichlich Medizin zur Verfügung, es herrscht kein Gedränge, alle werden in Ruhe versorgt und müssen nichts dafür bezahlen. Die Helfer hier sind Akademiker, die die Regierung unterstützen. Sie haben Spenden gesammelt, Arzneimittel gekauft und arbeiten umsonst. Obwohl es Magen-Darm-Infektionen gibt und die Lage der Schwangeren problematisch ist, scheint die Situation unter Kontrolle. Schwierigere Fälle werden in ein Krankenhaus verlegt, das der Oppositions-Politiker Imran Khan, ein ehemaliger Cricket-Star, gerade erst aus Spendengeldern in der Nähe errichtet hat.

Ohne Privatinitiativen würde Chaos herrschen

Unter den Helfern ist auch die pensionierte College-Rektorin Syeda Basheer Chandio. "Eins ist klar - wenn die Zivilgesellschaft nicht einspringen würde, würde es den Leuten hier richtig schlecht gehen." Überall in Pakistan hat die Katastrophe örtliche Nichtregierungsorganisationen und Privatinitiativen auf den Plan gerufen. Berühmte Fernsehmoderatoren sammeln Geld in ihren Shows. Aber auch einfache Bürger wie Yasir und Shahzad, zwei junge Ingenieure aus Hyderabad, engagieren sich seit Wochen. Die Regierung helfe den Leuten schon, meint Shahzad. "Wir können nicht sagen, dass die Regierung nichts tut. Aber bei diesen gewaltigen Auswirkungen in Pakistan weiß die Regierung ja selbst nicht, was sie tun soll. Deswegen sind junge Leute wie wir eingesprungen und unterstützen die Regierung mit privaten Nichtregierungsorganisationen. Alleine kann die Regierung nichts ausrichten."

Essenschlange in einem Lager in Nowshera (Foto: Thomas Bärthlein)
Helfer versuchen das Chaos zu regeln: Essenschlange in einem Lager in NowsheraBild: DW

Was die beiden auf die Beine gestellt haben, kann sich sehen lassen: Im Rohbau eines Stadions sind 450 Menschen untergebracht. Jede Familie hat Strom und einen Ventilator gegen die Hitze. Und abends gibt es Fernsehen für alle. Saiful, einer der Bewohner des Lagers, ist entsprechend begeistert: "Die Essens-Versorgung ist gut. Medizin gibt es reichlich, Wasser auch. Es fehlt uns an nichts!"

Flutopfer sollen in ihre Dörfer zurück

Die knappe Versorgung der staatlichen Lager hat offenbar auch damit zu tun, dass die Behörden die Flutopfer dazu bringen wollen, möglichst schnell in ihre Dörfer zurückzukehren. Aber viele können das noch nicht. In der Mittelschule des Dorfs Khanote haben die Behörden für die einquartierten Flüchtlinge sukzessive erst die Essens- und dann die Wasserversorgung eingestellt. "Niemand hört auf uns", sagt Yusuf Raza, einer der Betroffenen. "Heute hatten wir schon vor, aus Protest die Straße zu blockieren. Dann hat jemand gesagt, wir sind arme Leute, wer weiß, was für Probleme wir kriegen, wenn wir die Straße blockieren. Aber was können wir schon machen?"

Korruption und politisches Kalkül

Überflutetes Gebiet in Pakistan (Foto: AP)
Südpakistan zwei Monate nach Beginn der FlutBild: AP

Die Zentral- und Provinzregierungen versuchen, die Fluthilfe parteipolitisch auszuschlachten; auch Korruption ist weit verbreitet. Punhl Sario ist Koordinator einer lokalen Nichtregierungsorganisation, die unter Bauern und Arbeitern tätig ist. Er weist darauf hin, dass es in Pakistan keine demokratischen Strukturen auf kommunaler Ebene gibt, die die Bürokratie vor Ort kontrollieren könnten: "Seit zwei Jahren sind Wahlen fällig, aber sie haben nicht stattgefunden." Das sei schon unter der Pakistan People Party so gewesen. Aber auch unter Nawaz Sharif. "Wenn eine demokratische Regierung an der Macht ist, gibt es keine Kommunalwahlen. Aber wenn das Militär die Macht übernimmt, dann gibt es Kommunalwahlen. Das ist die verkehrte Welt unserer Demokratie!"

Unter diesen Umständen sollten ausländische Helfer ihre Partner in Pakistan sorgsam auswählen, meint Sario: "Sie sollten mit gewählten Repräsentanten hier zusammenarbeiten, und nicht mit der Bürokratie oder der Armee. Dann wird es weniger Korruption beim Wiederaufbau geben, auch wenn sie ganz nicht zu verhindern ist." Die UN und die internationale Gemeinschaft müssten an der Basis mit der Zivilgesellschaft kooperieren, so Sario.

Die internationale Gemeinschaft wird voraussichtlich Milliarden in den Wiederaufbau Pakistans nach den Überschwemmungen investieren. Da lohnt es sich, genauer darüber nachzudenken, wo und wie das Geld am effizientesten eingesetzt werden kann.

Autor: Thomas Bärthlein

Redaktion: Miriam Klaussner