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Die Stunde der islamistischen Hilfsorganisationen

16. September 2010

Islamistische Bewegungen mit gutem Draht zum Militär sind derzeit sehr präsent in ihrem Engagement für die pakistanischen Flutopfer. Dabei kombinieren sie erfolgreich soziales Engagement mit ideologischer Mobilisierung.

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Stand der Al-Khidmat Foundation im Zentrum von Lahore (Foto: Thomas Bärthlein / DW)
Stand der Al-Khidmat Foundation im Zentrum von LahoreBild: DW

Mit Megafonen stehen sie im Zentrum von Lahore und fordern Passanten zu Geld- und Sachspenden für die Flutopfer auf. Bei dieser Aktion von Freiwilligen, die hier mit lauter Stimme um Unterstützung werben, handelt es sich um einen Spendenaufruf der Jamaat-e-Islami.

Die Jamaat-e-Islami ist eine Kader-Partei mit 25.000 ideologisch geschulten Mitgliedern, aber gleichzeitig auch eine Massenbewegung mit 4,5 Millionen registrierten Unterstützern in Pakistan. Ihre Ideologie ist älter als der Staat selbst. Die Partei steht zur parlamentarischen Demokratie, betrachtet aber Allah als den höchsten Souverän. "Wir glauben, dass wir Pakistan unter einem islamischen System und ehrlicher Führung ändern können. Die Jamaat-e-Islami hat beides", erklärt der stellvertretende Generalsekretär Farid Ahmed Piracha. Und fügt selbstbewusst hinzu: "Wir sind stark im Glauben und im Predigen islamischer Prinzipien. Und wir haben eine Lösung für alle Probleme."

Die Al-Khidmat Foundation

Ahsan Ali Syed, Generalsekretär der Al-Khidmat Foundation (Foto: DW/ Thomas Bärthlein)
Ahsan Ali Syed, Generalsekretär der Al-Khidmat FoundationBild: DW

Das Hauptquartier der Partei, Mansurah in Lahore, ist eine kleine Stadt für sich. Die Jamaat-e-Islami unterhält eine Reihe von Tochterorganisationen, unter anderem einen Studentenverband, eine Gewerkschaft und ein Wohlfahrtswerk, die Al-Khidmat Foundation. "Khidmat" heißt "Dienst" an den Bedürftigen. Er sei stolz darauf, der größten Freiwilligenorganisation Pakistans anzugehören, sagt Ihsan Ullah Waqas - er ist für die Koordination der Fluthilfe zuständig. "Von Kalam, wo die Flut begann, bis Karachi: In jeder kleinen oder größeren Stadt haben wir registrierte Freiwillige. Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass wir, nach der Armee, über das größte Netzwerk an Nothilfe-Aktivitäten in ganz Pakistan verfügen.“

Zentrale der Jamaat-e-Islami in Lahore (Foto: DW/ Thomas Bärthlein
Zentrale der Jamaat-e-Islami in LahoreBild: DW

Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend: 24.000 freiwillige Helfer arbeiten in fast 1000 Lagern der Al-Khidmat Foundation für die Flutopfer. Die Al-Khidmat Foundation ist organisatorisch völlig unabhängig von der Partei Jamaat-e-Islami, betont ihr Generalsekretär Ahsan Ali Syed. Der 65-jährige hat sich kürzlich als Geschäftsmann zur Ruhe gesetzt, um sich ehrenamtlich der Arbeit für das Hilfswerk zu widmen. Wobei ihm wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass er mit der politischen Seite der Jamaat-e-Islami nichts zu tun hat, denn damit könne er sich nicht identifizieren. "Ich finde es auch nicht richtig, dass man Politik mit Religion vermischt. Darum gefällt mir diese politische Seite von Jamaat-e-Islami nicht so ganz. Aber diese Arbeit mache ich sehr gern." Die professionelle Arbeit der Al-Khidmat Foundation im sozialen Sektor findet auch in Zeiten, in denen keine Katastrophenhilfe geleistet werden muss, statt. Die Stiftung betreibt Krankenhäuser, Rettungswagen und Schulen in ganz Pakistan.

Die Jamaat ud-Dawa

Auch die andere große islamistische Hilfsorganisation Pakistans, die Falah-e-Insaniyat Foundation (FIF) ist in diesem Bereich aktiv. Hinter dieser Foundation steht die Jamaat ud-Dawa - eine von der UN als terroristisch eingestufte Organisation, die unter dem Namen FIF humanitäre Hilfe leistet. "Wir betreiben 2500 bis 3000 Krankenstationen und etwa 150 Schulen im ganzen Land", erläutert Hafiz Khalid Waleed, der Koordinator der Jamaat ud-Dawa für politische Angelegenheiten. In den Schulen würde den Kindern beigebracht, was ein Muslim sei und wie sie gute Muslime und gute Menschen werden könnten.

Essen im Flutopfer-Lager der FIF in Nowshera (Foto: DW/ Thomas Bärthlein)
Essen im Flutopfer-Lager der FIF in NowsheraBild: DW

Verglichen mit Jamaat-e-Islami und der Al-Khidmat Foundation sind die Aktivitäten der Jamaat ud-Dawa und der FIF ausgesprochen undurchsichtig: Das beginnt schon beim Namen der Organisation, der in den vergangenen Jahren mehrmals gewechselt hat, seitdem Indien die ursprüngliche Lashkar-e-Tayyaba terroristischer Aktivitäten bezichtigte. Klare Angaben über Mitglieder-Zahlen sind nicht zu bekommen. Und das ebenfalls in Lahore gelegene Hauptquartier der Gruppierung gleicht einer Festung mit Barrikaden und Polizei-Bewachung.

Sozialarbeit oder religiöse Bekehrung?

Hafiz Khalid Waleed deutet an, dass Jamaat ud-Dawa Gefahr aus Indien drohe. Er ist der Schwiegersohn des Anführers der Bewegung, Hafiz Saeed. Ihn hält Indien für den Drahtzieher der Anschläge von Mumbai 2008 und fordert seine Auslieferung. Pakistanische Gerichte haben aber trotz UN-Resolution eine Schließung der Organisation verhindert. Und so tritt Jamaat ud-Dawa in Pakistan nach wie vor relativ offen auf, genau wie die FIF in den Flutgebieten. Bei diesen Einsätzen - so Hafiz Khalid Waleed - würde die FIF auch versuchen, die Flutopfer von ihrer Version des Islam zu überzeugen. "Um ein guter Mensch zu sein, muss ein Muslim nach seiner Religion leben. Gott sei Dank predigen wir zu Ihnen, und das zeigt auch Wirkung. Sie werden bekehrt." Auch das sei für die Organisation Teil der Sozialarbeit.

Offiziell distanziert sich Jamaat ud-Dawa von den Anschlägen in Mumbai, aber die Gruppierung unterstützt offen den so genannten "Jihad" gegen die NATO-Truppen in Afghanistan sowie gegen die indischen Streitkräfte in Kaschmir. Das tut übrigens auch die Jamaat-e-Islami. Beiden Gruppen werden enge Beziehungen zum pakistanischen Militär nachgesagt, das seit Jahrzehnten islamistische Gruppen unterstützt hat, um seine innen- und außenpolitischen Interessen zu pflegen.

Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass Jamaat-e-Islami eine lange eigenständige Geschichte hat, während Jamaat ud-Dawa pakistanischen und internationalen Beobachtern als reine Kreation der Sicherheitskräfte gilt, die vor allem durch militante Aktionen gegen Indien von sich reden macht. Beide Gruppierungen lehnen einen Kampf gegen den pakistanischen Staat entschieden ab, was sie wiederum klar von den pakistanischen Taliban abgrenzt, die zwar auch vielfach von der Armee gefördert wurden, sich inzwischen aber gegen sie gewandt haben.

Autor: Thomas Bärthlein
Redaktion: Mechthild Brockamp / Esther Broders