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Reise

Zehn Refugien der Ruhe

Ille Simon mit kna
11. November 2016

Friedhofsspaziergänge gehören zum touristischen Angebot in vielen Städten. Gräber von Prominenten und Grabstätten der Vergangenheit erzählen spannende Geschichten von Leben und Tod.

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Stahnsdorfer Friedhof
Bild: DW/A. Termeche

Ruhe finden oder den Hauch der Geschichte spüren - die Gründe, warum Touristen zwischen Sehenswürdigkeiten auch mal einen Friedhof ansteuern, sind vielfältig. 

Der Wiener Zentralfriedhof, der Highgate Cemetery in London oder der größte Parkfriedhof der Welt in Hamburg-Ohlsdorf: Sie tauchen in den Hitlisten der beliebtesten Grabstätten immer wieder auf. Hier haben Berühmtheiten und historische Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe gefunden. Jahrhundertealte Architektur zieht Besucher aus aller Welt offenbar ebenso an wie eine melancholisch-herbstliche Stimmung. Manche Friedhöfe werden auf Online-Portalen gar als Naherholungsgebiet beworben.

Deutschland Friedhof Ohlsdorf in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Mitten im Leben vom Tod umfangen

Diese Faszination ist nach Einschätzung von Experten jedoch mehr als ein Tourismus-Trend. Der Friedhof habe "kunst- und kulturhistorisch eine unbestreitbare Bedeutung", sagt der Geschäftsführer des Kuratoriums Deutscher Bestattungskultur, Oliver Wirthmann. "Kultur beginnt dort, wo Menschen ihre Toten bestatten."

Diesen kulturellen Wert würdigt auch die Unesco: Mehrere Friedhöfe gehören zum Weltkulturerbe, etwa der schwedische Waldfriedhof Skogskyrkogarden oder der Lytschakiwski-Friedhof in Lviv (Lemberg) in der Ukraine. Auch deutsche Friedhöfe haben sich bereits beworben, etwa der Jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee; der Jüdische Friedhof Hamburg-Altona könnte 2017 nominiert werden.

Eine Initiative strebt zudem die Aufnahme der deutschen Friedhofskultur auf die Liste des Immateriellen Welterbes an. Friedhöfe seien identitätsstiftend, heißt es in ihrem Antrag an die Weltkulturorganisation.

Zudem sind Friedhöfe die größten Skulpturenparks in Deutschland, wie der Verband Gedenkkultur kürzlich mitteilte. Viele einzigartige, individuelle Stein- oder Bronzearbeiten auf Friedhöfen brauchten den Vergleich mit Museums-Stücken nicht zu scheuen, erklärt Verbandssprecher Tobias Pehle. Im Gegensatz zum Museum sei dieser Kulturraum allen täglich kostenfrei zugänglich.

BG Friedhöfe
Bild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Spirituelle Begegungen

Ob Mozart auf dem Sankt Marxer Friedhof in Wien oder Jim Morrison auf dem Pariser Père Lachaise: Von der Pilgerreise zu Promi-Ruhestätten lasse sich durchaus etwas für den Umgang mit "normalen" Gräbern lernen, meint Wirthmann. So könnten Menschen auch das Grab eines Angehörigen als Begegnungsort für die eigene Familie wiederentdecken.

Von physischer Nähe zu einem Verstorbenen erhofften sich die Menschen immer auch eine spirituelle Nähe, erklärt der Sprecher der Deutschen Friedhofsgesellschaft, Wilhelm Brandt. Bei berühmten Gräbern gehe es den Besuchern häufig darum, eine Art "Hauch der Geschichte" zu spüren: Wer das Grab von John F. Kennedy besuche, habe ähnliche Motive wie jemand, der die Originalmöbel des 1963 ermordeten US-Präsidenten im Museum betrachte.

"Früher kam hinzu, dass Friedhöfe immer auch ein Stück Stadtgeschichte abgebildet haben", so Brandt - also eine Art eigenes touristisches Potenzial hatten. Der "Freundeskreis Melaten" bewirbt den gleichnamigen berühmten Friedhof in der Domstadt auch heute noch mit dem Slogan "Lebendige Geschichte in Köln".

BG Friedhöfe
Bild: picture-alliance/ZB/J. Woitas

Das Gedenken an Politiker und Künstler verändere sich unterdessen genauso wie die Bestattungskultur insgesamt, sagt Brandt. "Es verlagert sich ins Digitale: So wie Angehörige online Trauerseiten gestalten und virtuelle Kerzen anzünden, gibt es auch immer mehr Gedenkseiten für Promis."

Pehle beobachtet zugleich einen Trend zurück zu traditionellen Bestattungsformen. Für viele Menschen sei die Frage nach würdevollem und feierlichem Gedenken ähnlich zentral wie die Gestaltung von Hochzeiten. Diese "neue Bürgerlichkeit" sei "eine Entwicklung, die der Friedhofskultur eher nützt als schadet".