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"Wir brauchen einen gemeinsamen digitalen Markt"

Zulfikar Abbany / hf18. Februar 2015

In der Offline-Welt gibt es in Europa einen Binnenmarkt. Wie aber sieht es im digitalen Bereich aus? DW sprach mit Andrus Ansip, dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission für den digitalen Binnenmarkt.

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Symbolbild Hackerangriff (Foto: Sergey Nivens - Fotolia.com)
Bild: Sergey Nivens - Fotolia.com

DW: Herr Ansip, seit November 2014 sind Sie Teil der EU-Kommission und verantwortlich für den digitalen Binnenmarkt. Was haben Sie sich für dieses Amt vorgenommen?

Andrus Ansip: Wir müssen einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt schaffen. Wir waren in der Lage, einen solchen Binnenmarkt für die physische Welt zu schaffen, aber für die digitale Welt gibt es ihn noch nicht. Es gibt ihn in Europa für freien Personenverkehr, Kapital, Dienstleistungen, Waren - damit aber eben nur in der Offline-Welt und leider noch nicht Online. In der Online-Welt haben wir es mit einer Zerstückelung des Marktes zu tun: Es gibt 28 verschiedene Vorschriften, die sich mit digitalen Themen beschäftigt, und diese 28 Bestimmungen sorgen für Barrieren zwischen den Mitgliedstaaten.

Sie meinen die Vorschriften der 28 EU-Mitgliedsstaaten…

Genau. Wir haben 28 Vorschriften zu Datenschutz. Wir haben 28 verschiedene Regelungen, die sich mit Verbraucherschutz, Kleinunternehmen, Familienunternehmen oder kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigen. Es ist unmöglich, zu verstehen, wie genau diese unterschiedlichen Vorschriften miteinander funktionieren.

Aber für viele Menschen ist die Idee eines digitalen Binnenmarkts, der so einen riesigen Bereich wie die ganze EU mit einbezieht, ein sehr chaotisches Vorhaben. Was können Sie mit einbringen als ehemaliger Ministerpräsident von Estland - dem Land, das dafür bekannt ist, fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens digitalisiert zu haben?

Nun, wir müssen diesen Binnenmarkt - der in der Europäischen Union noch gar nicht existiert - erschaffen. Das was in der Offline-Welt möglich ist, sollte auch in der Online-Welt möglich sein. Zum Beispiel können Sie Waren in einem beliebigen Geschäft kaufen, und keine würde kommen und sagen: 'das hier, ist nichts für Dich…'

Sie beziehen sich auf das Sperren von Dienstleistungen mit "Geoblocking" ...

Ja, in der Online-Welt werden wir immer wieder mit Geoblocking und Weiterleitungen konfrontiert -ziemlich unbequem. Wir müssen die Schaffung eines Telekommunikations-Binnenmarktes fortsetzen. Wir sind zwar schon dabei, aber wir müssen die Roaming-Zuschläge abschaffen.

Es gibt eine Reihe von Geschäftsmodellen in der Online-Welt, die spezifisch für die Technikindustrie sind, und die nicht in der physischen Welt existieren. Wenn ich zum Beispiel, eine Banane im Supermarkt kaufe, wird der Supermarkt nicht versuchen, mir ein Bananen-Abonnement zu verkaufen oder ich werde keine Rechnung erhalten, die darauf basiert, wie schnell oder langsam ich die Banane esse. Aber solche Konzepte existieren online. Da müssen wir für jede Kleinigkeit bezahlen.

Wie ist es möglich, dass sich so ein Konzept durchsetzen konnte?

Andrus Ansip (Foto: DW/Z.Abbany).
"Was in der Offline-Welt möglich ist, sollte auch in der Online-Welt möglich sein", sagt Andrus Ansip zum BinnenmarktBild: DW/Z.Abbany

Die Übertragbarkeit von Inhalten ist ein weiteres Thema. Denn wenn Sie zu Beispiel ihren Mobilfunkbetreiber oder ihr Mobiltelefon wechseln möchten, lassen sich in vielen Fällen die Apps nicht mitnehmen. Das ist nicht fair, wenn Sie für Inhalte zu Hause bezahlen, und sie dann unter Umständen im Ausland gar nicht darauf zugreifen können. Aber das ist Realität in der Europäischen Union. Das ist eine "lose-lose-Situation". Wenn ich keinen Zugriff auf meine legal gekauften Inhalte haben kann, ist es das letzte Mal, dass ich dafür bezahle.

Also sollten die Verbraucher mit den Füßen abstimmen - und schlichtweg keine Dienste mehr nutzen, die sie nicht mögen oder für die Gebühren fällig werden?

Was ich sagen will ist, dass wir das Urheberrecht überarbeiten müssen. Ich möchte den Inhalt genießen- und die Urheber bekommen auch mein Geld dafür. Dadurch wird der Markt immer größer. Wir müssen die Situation ändern, in der Anbieter mein Geld nicht annehmen, auch wenn ich bereit bin, doppelt so viel zu bezahlen. Und das bedeutet, dass Tausende oder Millionen von Menschen VPNs [virtuelles privates Netzwerk] nutzen, und sie dadurch den Urhebern nicht für diese Inhalte zahlen.

Sie meinen,dass Menschen VPNs nutzen, um geo-blockierte Inhalte zu umgehen. Wenn sie zu Beispiel eine Show aus den USA sehen wollen, aber in Europa sind, verwenden sie einfach ein VPN, um die Einschränkung zu umgehen.

Genau. Wenn Sie gewohnt sind, dafür zu zahlen, um ein Fußballspiel oder eine TV-Serie zu Hause zu sehen und dann reisen Sie ins Ausland, dann sagen die Anbieter plötzlich: 'Nein, es ist für Sie gesperrt'. In dem Fall ist es für Sie die einfachste Sache, ein VPN zu verwenden. Und Urheber und Rechteinhaber verlieren Geld.

Neulich haben Sie getwittert, was Sie als "nützliche Erinnerung" für den Vorstandsvorsitzenden von Alcatel bezeichneten: ein größeres Leistungsspektrum, um mit dem Daten-"Tsunami" umzugehen. Wenn man das mit Datenschutz vergleicht, was ist wichtiger für Europa?

Beides ist wichtig. Wir müssen die Daten unserer Bürger schützen. Wir müssen die Privatsphäre jedes einzelnen schützen.Vertrauen ist ein Muss ist. Wenn die Leute Internet-basierten Leistungen nicht trauen können, werden sie sie auch nicht nutzen. Wir brauchen eine stärkere Zusammenarbeit beim Leistungsspektrum der einzelnen Mitgliedstaaten. Dieses Spektrum ist eine natürliche Ressource, und es ist Sache der Mitgliedstaaten, mit ihren natürlichen Ressourcen umzugehen. Aber mehr Koordination auf der Ebene der Europäischen Union ist auf jeden Fall erforderlich, etwa aufgrund des Internets der Dinge. Stellen Sie sich vor, sie fahren über die Grenze hinweg und Ihr Auto bleibt plötzlich stehen! Wir müssen auch Lösungen mit unseren Nachbarländern finden, die außerhalb der Europäischen Union liegen.

Das sind alles Fragen, mit denen sich die Europäische Kommission seit vielen Jahren beschäftigt. Seit mindestens 2012 ist die Rede von neuen Datenschutzrichtlinien, und 2015 wurde einst als das Jahr vorgesehen, in dem sie umgesetzt werden. Wird sich in diesem Jahr etwas tun?

Ich hoffe es. Bei der Erstellung dieser digitalen Binnenmarkt-Strategie müssen wir uns auf Aktivitäten konzentrieren, mit denen wir glauben, dieses Ziel zu erreichen. Zum Beispiel in dem Land, das ich am besten kenne, Estland, haben wir seit 2007 das "Nur einmal"-Prinzip. Das gab einen richtigen Schub bei der Zusammenarbeitsfähigkeit - unsere relativ kleinen Datenbanken haben begonnen, Informationen quer zu verweisen. Es war auch ein Schub für die digitale Signatur. In den ersten sechs Jahren gab es eine Million digitale Signaturen, aber jetzt werden eine Million pro Woche vergeben! Und das vor allem, weil wir dieses Prinzip auf der Gesetzesebene umgesetzt haben.

Andrus Ansip war von 2005 bis 2014 Ministerpräsident der Republik Estland. Seit dem 1. November 2014 ist er Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmarkt.

Das Interview führte Zulfikar Abbany.