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Politik

Wie mächtig sind die ukrainischen Oligarchen noch?

25. Februar 2023

Die Weg in die EU führt für die Ukraine auch über den Kampf gegen Korruption und den Einfluss der Oligarchen. Der Krieg vernichtet derzeit ihr Vermögen, ein Gesetz schränkt sie bereits ein. Doch Experten warnen.

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Portrait von Rinat Achmetow
Rinat Achmetow ist nach wie vor der reichste Mann der UkraineBild: Daniel Naupold/dpa/picture alliance

Bei einem Besuch in Brüssel am 9. Februar sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, Kiew gehe davon aus, dass die Verhandlungen über einen EU-Beitritt seines Landes noch in diesem Jahr beginnen werden. Die Europäische Union betont, der Weg der Ukraine in die Staatengemeinschaft hänge von Reformen ab, unter anderem auch im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Zudem müsse der Einfluss der Oligarchen auf die ukrainische Politik verringert werden. Das 2021 verabschiedete sogenannte "Anti-Oligarchen-Gesetz", das genau diese Forderung erfüllen soll, wird derzeit von der Venedig-Kommission des Europarates geprüft. Sie wird ihr Ergebnis voraussichtlich im März vorlegen.

"Anti-Oligarchen-Gesetz" zeigt Wirkung

Laut dem Gesetz gelten in der Ukraine Personen als Oligarchen, die drei der vier folgenden Kriterien erfüllen: wenn sie ein Vermögen von rund 80 Millionen Dollar haben, politischen Einfluss ausüben, Kontrolle über Medien besitzen oder ein Monopol in einem Wirtschaftsbereich haben. Wer im Oligarchenregister vermerkt wird, darf keine Parteien finanzieren, sich nicht an großen Privatisierungen beteiligen und muss eine spezielle Einkommenserklärung abgeben.

Portrait von Petro Poroschenko
Offiziell hat Petro Poroschenko die Kontrolle über seine Fernsehsender verlorenBild: Johannes Simon/Getty Images

Bisher drehte sich die ukrainische Politik in einem Teufelskreis politischer Korruption: Oligarchen finanzierten - meist verdeckt - politische Parteien, um über die wohlgesonnenen Politiker Gesetze oder Vorschriften zu beeinflussen, die ihren Profit maximieren würden. So war es beispielsweise lukrativer sich dafür einzusetzen, dass Abgaben an den Staat, etwa für Rohstoffabbau oder die Nutzung der Infrastruktur, niedrig bleiben, als in die Modernisierung von Industrieunternehmen zu investieren.

Inzwischen zeigt das "Anti-Oligarchen-Gesetz" Wirkung. So gab im vergangenen Sommer der Milliardär Rinat Achmetow als erster Oligarch die Sendelizenzen für seine Mediengruppe ab. Auch der Anführer der Partei "Europäische Solidarität", der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko, verlor offiziell die Kontrolle über seine Fernsehsender. Und der Milliardär Wadim Nowinskij legte sein Abgeordnetenmandat nieder.

Achmetow verliert viele seiner Vermögenswerte

Mit der Zerstörung der ukrainischen Industrie in Folge von Russlands Krieg gegen die Ukraine schmilzt zudem der Reichtum der Oligarchen. Das unabhängige "Center for Economic Strategy" (CES) in Kiew bezifferte in einer Ende 2022 veröffentlichten Studie die Verluste der Oligarchen bei industriellen Vermögenswerten auf 4,5 Milliarden Dollar. Den größten Schaden erlitt Achmetow. Durch die russische Eroberung von Mariupol verlor seine Metinvest-Holding das wichtige Asow-Stahlwerk und ein weiteres Kombinat.

Luftaufnahme des weitgehend zerstörten Asow-Stahlwerk in Mariupol
Das weitgehend zerstörte Asow-Stahlwerk in MariupolBild: Pavel Klimov/REUTERS

Den Wert der Industrieanlagen schätzt das CES auf mehr als 3,5 Milliarden Dollar. Darüber hinaus steht Achmetows Kokerei in Awdijiwka nahe Donezk aufgrund von Schäden durch russische Attacken still; ihr Wert wird auf 150 Millionen Dollar taxiert. Durch gezielte russische Raketenangriffe wurden auch viele Anlagen von Achmetows Energieunternehmen, insbesondere Wärmekraftwerke, zerstört.

Experten der Zeitschrift "Forbes Ukraine" schätzen Achmetows Verluste in Folge des Krieges auf mehr als neun Milliarden Dollar. Dennoch gilt er mit einem Vermögen von vier Milliarden Dollar weiterhin als reichster Ukrainer. Laut "Forbes" erlitt Wadim Nowinskij, Achmetows Juniorpartner in der Metinvest-Holding, Verluste in Höhe von zwei Milliarden Dollar. Sein Vermögen vor dem Krieg wird auf drei Milliarden Dollar geschätzt.

Kolomojskyj ohne ukrainischen Pass und Ölraffinerie

Auch das Vermögen des bis vor kurzem einflussreichen Oligarchen Ihor Kolomojskyj ist stark geschrumpft. Russische Angriffe zerstörten im vergangenen Jahr sein wichtigstes Unternehmen, die Ölraffinerie in Krementschuk. Das CES schätzt den Schaden auf mehr als 400 Millionen Dollar. Kolomojskyj kontrollierte mit seinem Partner Hennadij Boholjubow einen bedeutenden Teil des ukrainischen Kraftstoff-Marktes. Sie besaßen das größte Tankstellennetz des Landes.

Portrait von Ihor Kolomojskyj
Ihor Kolomojskyj ist mit vielen Strafverfahren konfrontiertBild: Photoshot/picture alliance

Über seinen politischen Einfluss war es Kolomojskyj über viele Jahre gelungen, das Management des Staatsunternehmens Ukrnafta zu kontrollieren, an dem er nur eine Minderheitsbeteiligung besaß. Die Kontrolle über das größte Ölförderunternehmen des Landes, über die größte Raffinerie und das größte Tankstellennetz sicherte ihm hohe Gewinne.

Die Raffinerie ist nun zerstört, seine Anteile an Ukrnafta und der Ölraffinerie Ukrtatnafta hat für die Zeit des Kriegsrechts der Staat übernommen. Inzwischen wurde dem Oligarchen, der auch einen israelischen und zyprischen Pass besitzt, die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen, da in der Ukraine nur eine Staatsbürgerschaft erlaubt ist. Gegen ihn laufen Strafverfahren wegen mutmaßlichen Betrugs bei Ukrnafta in Milliardenhöhe.

Auch Firtasch büßt Großteil seines Vermögens ein

Dmytro Firtasch ist ein weiterer Oligarch, gegen den Ermittlungen laufen und der sich seit Jahren in Österreich aufhält. Auch er ist für seinen großen Einfluss auf die ukrainische Politik bekannt. Im zurückliegenden Kriegsjahr verlor er ebenfalls einen großen Teil seines Vermögens. So wurde durch die Kampfhandlungen das Düngemittelwerk Asot im von Russland besetzten Sewerodonezk erheblich beschädigt. Die Verluste schätzt das CES auf 69 Millionen Dollar.

Dmytro Firtasch in einem Wiener Gericht
Dmytro Firtasch in einem Gerichtssaal in WienBild: picture-alliance/AP Photo/R. Zak

Aufgrund von Firtaschs Schulden in Höhe von 1,5 Milliarden Hrywnja (ungefähr 40 Millionen Dollar), die für die Nutzung staatlicher Gasnetze aufgelaufen sind, hat die ukrainische Regierung im vergangenen Jahr zudem seine 20 regionalen Gasversorgungsunternehmen unter die Verwaltung des staatlichen Energiekonzerns Naftohas Ukrajiny gestellt. Im Jahr 2022 schaffte es Firtasch laut "Forbes" nicht mehr unter die Top 20 der reichsten Ukrainer. Ein Jahr zuvor war sein Vermögen noch mit rund 400 Millionen Dollar veranschlagt worden.

CES-Experte: Einfluss der Oligarchen noch nicht beseitigt

Die Oligarchen haben wesentliche Ressourcen verloren, um die ukrainische Politik beeinflussen zu können, meint CES-Experte Dmytro Horjunow: "Investitionen in die Politik werden weniger relevant". Er hofft, dass das "Anti-Oligarchen-Gesetz" Großunternehmer dazu zwingen wird, auf eigene Medien und eine Rolle in der Politik zu verzichten. Gleichzeitig betont Horjunow: Um den Einfluss der Oligarchen auf die ukrainische Politik vollständig zu beseitigen, sei noch zu wenig getan worden. "Solange sie Vermögen haben, werden sie alles tun, um es zu schützen oder zu mehren", so Horjunow.

Die Oligarchen verteidigen ihre Interessen traditionell über das Justizsystem, so das CES. Seit 2014 hat die ukrainische Antimonopolbehörde wegen Missbrauchs einer Monopolstellung Bußgelder in Höhe von mehr als 200 Millionen Dollar gegen Unternehmen von Achmetow sowie in Höhe von mehreren zehn Millionen Dollar gegen Firmen von Kolomojskyj und Firtasch verhängt. Alle diese Bußgelder haben die Betroffenen vor Gericht angefochten und bisher haben sie noch nichts gezahlt, so das CES.

Politische Einflussnahme sichert höhere Gewinne

Horjunow glaubt, dass zur wichtigsten politischen Lobbyarbeit von Achmetow in Zukunft die Frage der Abgabe für die Eisenerzförderung gehören wird: "Achmetow hat immer noch zwei große Bergbau- und Verarbeitungsanlagen, die Berichten zufolge 2021 mehrere Milliarden Dollar Nettogewinn gebracht haben." Die Rechnung sei einfach, meint Horjunow: Je niedriger die Abgabe, desto höher der Gewinn des reichsten Ukrainers.

Vor diesem Hintergrund erregt eine brisante politische Entscheidung in Kiew aktuell Aufsehen. Ende Januar nahm das ukrainische Parlament in erster Lesung einen Gesetzentwurf an, der von Abgeordneten der regierenden Partei "Diener des Volkes" eingebracht worden war. Er sieht für die Dauer des Kriegsrechts eine Reduzierung der Eisenerz-Förderabgabe vor - ganz im Sinne Achmetows. Wie Danylo Hetmanzew, Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Finanz- und Steuerpolitik, vor ukrainischen Journalisten zugab, sieht der Internationale Währungsfonds (IWF), einer der wichtigsten Geldgeber der Ukraine, diesen Gesetzentwurf sehr kritisch.

Auch Ihor Feschtschenko von der Bewegung "Tschesno" (Ehrlich) spricht von einer "großen Verlockung" für Achmetow, die staatliche Regulierung der Wirtschaft im Land weiter zu beeinflussen. Nach Angaben von "Tschesno" hatte Achmetow früher regelmäßig Politikern Zugang zu Sendungen seiner TV-Kanäle verschafft, die sich dann beispielsweise für Eisenbahntarife einsetzten, die dem Oligarchen zugutekamen.

Ausländische Investoren als Hoffnungsträger

Trotz des formellen Verzichts einiger Oligarchen auf eigene Medien bezweifelt Feschtschenko, dass sich das Big Business nach Kriegsende aus Wahlen heraushalten wird. "Ich denke, das erste, was wir seitens der Oligarchen sehen werden, ist, dass sie neue TV-Kanäle und zugleich mit ihnen verbundene politische Parteien schaffen", so Feschtschenko. Er betont, um den Fluss intransparenter Gelder für Wahlkampagnen zu blockieren, müsse das Gesetz über politische Parteien umgesetzt werden.

Die CES-Experten hoffen, dass im Zuge der europäischen Integration anstelle der Oligarchen große Investoren aus der EU in die Ukraine kommen werden. Gleichzeitig fordern sie die internationalen Finanzinstitutionen auf, die Hilfe, auf die Kiew inzwischen extrem angewiesen ist, mit Fortschritten bei der Entoligarchisierung zu verknüpfen und Unternehmen zu unterstützen, die den Oligarchen Konkurrenz machen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk