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Wie können wir eine Insekten-Apokalypse vermeiden?

Katharina Wecker
1. März 2019

Vielleicht sind kleine Krabbeltiere nicht unsere Lieblinge, aber wenn Insekten innerhalb eines Jahrhunderts verschwinden würden, wie einige Wissenschaftler voraussagen, hätte das fatale Konsequenzen für uns Menschen.

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Regenbremse
Bild: picture-alliance/blickwinkel/M. Lenke

Wir schenken Insekten meistens wenig Beachtung, es sei denn, sie beißen, stechen oder nerven uns sonst wie. In letzter Zeit jedoch wird so mancher nostalgisch beim Gedanken an die kleinen Tiere.

Die Menschen merken, dass es immer weniger gibt. Sie erinnern sich an unbeabsichtigt verschluckte, winzige Fliegen, während sie durch die Natur radelten. Oder an die Frontscheiben ihrer Autos nach einer langen Reise, die mit toten Insekten übersät waren. Oder an Motten, die bei weit geöffnetem Fenster ins Licht flogen.

Diese Beobachtungen decken sich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Einer aktuellen Studie zufolge, die in dem Fachjournal Biological Conservation erschien, fliegen Insekten geradezu ihrem Aussterben entgegen.

Mehr als 40 Prozent der Arten nimmt ab und ein Drittel ist gefährdet, so die Analyse. Weltweit verlieren wir jedes Jahr 2,5 Prozent der Insektenbiomasse. Und wenn die Zahlen in diesem Tempo weiter nach unten gehen, könnte es sein, dass es in 100 Jahren keine Insekten mehr gibt.

Infografik: Insekten in Gefahr

Die Resultate sind „schockierend“, sagt Francisco Sanchez-Bayo, Umweltwissenschaftler an der Universität Sydney und Co-Autor der Studie. Und es könnte „katastrophale Konsequenzen“ haben.

„Das Wort katastrophal passt, denn das Verschwinden der Insekten hätte zur Folge, dass unzählige Wirbeltiere, die von den Insekten abhängig sind, verhungern. Das wäre der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme“, sagt er gegenüber der DW.

Insekten spielen eine wichtige Rolle bei der Produktion unserer Nahrungsmittel, als Bestäuber tragen sie wesentlich zur Vermehrung von Pflanzen bei. Und sie sind selbst Nahrung für alle möglichen anderen Tiere. Ohne Insekten würden  Amphibien und Vögel verhungern und Fische bekämen nicht mehr genügend Futter. Die sechsbeinigen Helfer beseitigen außerdem Tierkadaver und zersetzen Pflanzenabfall. Ohne sie würde es das Leben, so wie wir es kennen, nicht mehr geben.

Ist es zu spät, die Apokalypse zu vermeiden? Es gibt drei wesentliche Aspekte als Ursachen für die aktuelle Entwicklung und als mögliche Lösungsansätze.

Intensive Landwirtschaft nimmt keine Rücksicht auf Insekten

Die Analysen besagen, dass der größte Rückgang der Insektenbiomasse in den letzten 30 Jahren stattgefunden hat. Für Sanchez-Bayo ist das ein direktes Resultat der Intensivierung der Landwirtschaft.

Die grüne Revolution der 1950er und 1960er änderte die Art und Weise, wie Bauern ihre Felder bestellten. Brachflächen wurden abgeschafft, Monokulturen entwickelt und künstliche Düngemittel eingeführt, um den Schwund der Nährstoffe in der Erde zu vermeiden.

Insektizide und Herbizide wurden üblich als Mittel der Schädlings- und Unkrautkontrolle. Und Bäume und Sträucher mussten weichen, um mehr Ackerfläche zu schaffen.

Infografik: Ursachen für das Insektensterben

Die Maßnahmen steigerten zwar die  Ernteerträge, gleichzeitig gingen damit die Lebensräume der Insekten verloren und chemische Rückstände verseuchten die umliegenden Gewässer.

Sanchez-Bayo fordert ein Umdenken in der Landwirtschaft. Ein möglicher Weg könnte das als “Integrated Pest Management” (IPM) bekannte Verfahren sein, das traditionelle landwirtschaftliche Praktiken mit moderner Technologie kombiniert.

„IPM setzt auf natürliche Mittel bei der Schädlings- und Unkrautkontrolle, eine wechselnde Fruchtfolge, um die Artenvielfalt nützlicher Insekten zu maximieren und den Nährstoffschwund zu vermeiden und Pestizide werden ausschließlich als letztes Mittel eingesetzt, um Schädlings- und Unkrautbefall zu kontrollieren,“ sagt Sanchez-Bayo der DW und führt als Vorbild das Internationale Reisforschungsinstitut auf den Philippinen an. Das habe den Gebrauch von Insektiziden um 93 Prozent reduziert - ohne Ernteverluste. 

Schmetterling im Sonnenuntergang
Monokulturen stellen nur wenig Nahrung für Schmetterlinge und andere Insekten bereitBild: picture-alliance/Arco Images GmbH/F. Rauschenbach

Der Klimawandel könnte ein großes Insektensterben auslösen

In Europa wurde die intensive Landwirtschaft als Hauptverursacher für den Rückgang der Insekten ausgemacht. In anderen Teilen der Welt sind Klimawandel und Abholzung verantwortlich, sagen Wissenschaftler.

Sogar in den unberührten Tropen, wo es weit und breit weder Düngemittel, noch Pestizide oder Insektizide gibt, sinkt die Zahl der Insekten stetig.

In Puerto Ricos Regenwald Luquillo gibt es heute zum Beispiel bis zu 60 Mal weniger Insekten als noch in den 1970er Jahren. Im selben Zeitraum stieg die Temperatur im Wald um 2 Grad Celsius. Die Zahl der Echsen, Frösche und Vögel, die Insekten fressen, hat im selben Maß abgenommen.

Berechnungen von Wissenschaftlern des Tyndall Centre for Climate Change Research zeigen den Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und dem Überleben der Insekten deutlich.

Ihren Prognosen zufolge würden, sollten wir die globale Erwärmung um 3,2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreichen, was auf Basis des aktuell eingeschlagenen Weges des Pariser Klimaabkommens wahrscheinlich ist, 49 Prozent der Insekten die Hälfte ihres angestammten Lebensraumes verlieren.

Wenn wir die Erwärmung auf 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzen würden, wären es immer noch 18 Prozent, die die Hälfte ihres Lebensraumes verlieren. In einem 1,5 Grad Celsius Szenario würde die Zahl auf 6 Prozent sinken.

Infografik: Auswirkungen der Erderwärmung auf die Artenvielfalt

Rachel Warren, Hauptautorin der Studie, sagt, es ist durchaus möglich, dass der Artenschwund sogar noch größer als vorhergesagt sein könnte, da sie in ihren Berechnungen Faktoren wie etwa die intensive Landwirtschaft nicht mit einbezogen haben.

„Es besteht kein Zweifel daran, dass viel Druck auf den Insekten lastet und wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommen nicht erreichen sollten, wird dieser Druck noch weiter steigen“, sagt Warren der DW. Sie fügt hinzu, dass es nicht nur wichtig ist, das 1,5 Prozent Ziel zu erreichen, sondern auch, wie wir es erreichen.

„Die Verfügbarkeit von Lebensraum ist einer der Hauptfaktoren für den Verlust der Insekten. Wenn wir zu viel Land für den Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung verwenden, ist das schlecht für die Biodiversität“, erklärt sie. „Alles was wir tun können, um die Nachfrage nach Energie und Land zu reduzieren, wie weniger Strom zu nutzen und weniger rotes Fleisch zu essen, wäre gut.“


Urbanisierung: Kaum wilde Gärten in unseren Städten

Außerdem spielen große Städte und Betonlandschaften eine signifikante Rolle in Bezug auf die Anzahl von Insekten. Ein wichtiger Faktor, weil zwei Drittel der globalen Bevölkerung bis 2050 vermutlich in urbanen Gebieten leben wird.

Dicht bebaute Siedlungen und Straßen aus Beton berauben Bienen und Käfer ihres natürlichen Lebensraums und die Lichtverschmutzung führt nachtaktive Insekten in die Irre.

Wildblumenwiese
Wildblumen dienen als Nahrungsquelle und Nisthabitat für viele InsektenBild: Fotolia/hjschneider

Wissenschaftler rufen daher Regierungen auf, mehr grüne Flächen in den Städten zu schaffen. Parks und Gärten sollten verwildern und Blumen neben den Straßen und Verkehrsinseln gepflanzt werden.

Eine Studie der Universität Basel in der Schweiz hat belegt, dass naturnahe Gärten mit Totholz, Kompost, ungemähter Grasfläche und einheimischen Blumen die Biodiversität von fliegenden und Boden bewohnenden Insekten stark steigert und die negative Effekte der Urbanisierung kompensieren kann.

Je wilder und diverser die Gärten, desto mehr Insekten konnten die Wissenschaftler zählen, einschließlich seltener Tausendfüßler, die es sonst nirgends in der Schweiz gab.

Brigitte Braschler, Biologin an der Universität Basel und Co-Autorin der Studie, erforscht ihr ganzes Leben lang Insekten und sagt, obwohl der Rückgang der Biodiversität „sehr stark“ ist, ist es nicht zu spät, die Entwicklung  zu stoppen.

„Die Öffentlichkeit wacht auf, erkennt das Problem und möchte handeln. Einige Arten sind bereits verloren, aber ich bin zuversichtlich, dass wir den Rückgang stoppen oder wenigstens verlangsamen können,“ sagt Braschler der DW.