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Wie "Kommunisten" Spaniens Wirtschaft verändern

Stefanie Claudia Müller
23. Dezember 2021

Seit einem Jahr bekleiden Mitglieder der Kommunistischen Partei in Spanien Ministerämter. Kritiker fürchteten, das könnte der spanischen Wirtschaft schaden. Hat es das?

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Ganz Spanien erneut zum Corona-Risikogebiet erklärt
Bild: Joan Mateu/AP Photo/picture alliance

Die Unternehmerwelt fürchtete sie, die neuen spanischen "Kommunisten" (Unidas Podemos), die seit Januar 2020 im Land zusammen mit den Sozialdemokraten (PSOE) regieren. Die Mitglieder der neuen Linkskoalition Unidas Podemos möchten die parlamentarische Monarchie Spanien zu einer Republik umformen; sie glauben nicht an Gott, sondern an Marx. Den König Juan Carlos I würden sie am liebsten einbuchten, wegen seiner Millionen in der Schweiz, den Gründer von Inditex, Amancio Ortega, kritisieren sie aufs Schärfste wegen seiner Steuertricks und für Katalonien wünschen sie sich ein Referendum.

Viele Kritiker hatten im Vorfeld befürchtet, die Minister aus den Reihen von Unidas Podemos könnten der spanischen Wirtschaft schaden. Diese Sorgen haben sich bislang nicht bestätigt. Die Nationalbank Banco de España rechnet für dieses Jahr mit einem Wachstum von 4,5 Prozent und die Arbeitslosigkeit ist derzeit mit 14,5 Prozent für spanische Verhältnisse auf einem Tiefstand. Trotz Pandemie und des Einbruchs beim Tourismus verzeichnet Spanien zudem in diesem Jahr weiter einen Handelsbilanz-Überschuss, wie die Daten des staatlichen Statistikamts INE zeigen. Die Steuereinnahmen sind sogar höher als im Jahr 2019.

Premier Pedro Sanchez muss kommunistische Minister akzeptieren

Seit 2020 bildet der sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez mit der linkspopulistischen Partei Unidas Podemos eine Regierung. Tatsächlich sind nur zwei der Minister Mitglied der Kommunistischen Partei: der Verbraucherschutzminister Alberto Garzón und die Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Als Gegengewicht ernannte Sánchez Nadia Calviño zur Wirtschaftsministerin, eine international angesehene Ökonomin.

Sánchez größter Widersacher, Pablo Iglesias gab bereits im Frühjahr dieses Jahres sein Amt ab. Seitdem hat die 50jährige charismatische Díaz das Zepter für ihre Partei in der Hand. Ihre gerade stattgefundene Audienz beim Papst ist wohl der ungewöhnlichste Schritt, den sie bisher vollzogen hat. Sie habe mit ihm über die Prekarität des spanischen Arbeitsmarktes gesprochen, sagt sie. Von der Opposition wird sie dafür belächelt und kritisiert, unter anderem, weil sie für den Besuch den Staatsjet benutzt hat.

Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Diaz besucht den Papst
Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Diaz besucht den PapstBild: Vatican Media/Catholic Press Photo/IPA/abaca/picture alliance

"Kommunistischer" Einfluss auf die Wirtschaft

Dank des Drucks von Unidas Podemos wurde der spanische Brutto-Mindestlohn von rund 860 Euro auf 1125 Euro angehoben. Selbst der konservative Ökonom Javier Morillas Gómez, Mitglied des Verwaltungsrates des gerade neu aufgestellten spanischen Rechnungshofs, muss eingestehen, dass die aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklung und Dialogfähigkeit der Regierung "überraschend" ist.

Für den an der Europäischen Universität (Universidad Europea) lehrenden Ökonom José Manuel Corrales spielt die kommunistische Ideologie bei der aktuellen Wirtschaftspolitik de facto kaum eine Rolle, auch wenn Unidas Podemos, die Opposition und spanischen Medien immer wieder darauf anspielen. "Spanien hatte bei der Sozialversorgung sowie den Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten viel aufzuholen", sagt er. Daher würden Viele die jetzigen Veränderungen in der Sozial- und Verbraucherpolitik als marxistisch einstufen.

Spanien Alberto Garzon, Verbraucherschutzminister
Mitglied in der Kommunisitischen Partei und Verbraucherschutzminister: Alberto GarzonBild: Carlos Alvarez/Getty Images

"Die Schrecken der Pandemie, der Klimawandel, die enorme Instabilität der ersten spanischen Koalitions-Regierung durch die knappe Mehrheit im Parlament und die 140 Milliarden Euro-Hilfen aus Brüssel haben jedoch geholfen, nach anfänglichen Schwierigkeiten wichtige Kompromisse für das Land zu finden," so Corrales. Anders als bei der Krise 2012 habe Spanien jetzt die Möglichkeit, wirtschaftliche Veränderungen in einem breiten gesellschaftlichen Konsens zu verabschieden und nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszutragen.

Ideologische Verkrustungen lösen sich auch beiden Seiten langsam auf

Antonio Garamendi, Chef des Unternehmerverbandes CEOE, galt bis vor einem halben Jahr als einer der schärfsten Gegner der linken Koalitionsregierung. Den von Díaz etablierten "Tisch zum sozialen Dialog" hat er mehrmals verlassen. Aber im Sommer brach auch er ein Tabu und äußerte sich positiv über die Begnadigung der inhaftierten katalanischen Separatisten. Wenn es zur Befriedung der Region beitrüge, sei es eine gute Sache.

Garamandi wurde dafür von den Konservativen scharf gerügt. Die Regierung jedoch verstand seine Geste. So konnte ein konstruktiver Dialog aufgenommen werden. Es wurde ein Ausbildungspakt geschlossen und gerade verhandelt Garamendi mit Díaz und den Gewerkschaften über eine Arbeitsmarktreform. Er will verhindern, dass die von der konservativen Vorgänger-Regierung eingeführten Lockerungen bei Arbeitsverträgen komplett aufgehoben werden.

Dass Díaz es kurz vor Weihnachen doch noch geschafft hat, die Arbeitgeber und Gewerkschaften auf einen Nenner zu bringen, wird von den Medien fast durchweg als Erfolg interpretiert. Zeitverträge wird es nach der Einigung zwar weiter geben, aber sie werden stärker kontrolliert werden und sind sie nur noch für bestimmte Situationen und Branchen erlaubt. Die Ausbildungsverträge wurden gestärkt. Spaniens Unternehmen hatten in der Vergangenheit starken Gebrauch von befristeten Arbeitsverhältnisssen gemacht und prekären Löhnen, was das Land in der EU zum Spitzenreiter bei Zeitverträgen gemacht hat gemäss Eurostat-Daten.

Änderungen auf dem Immobilienmarkt 

Auf Druck von Unidas Podemos wurden in diesem Jahr auch dem in Teilen wild ausufernden spanischen Immobilien- und Mietgeschäft ein Riegel vorgeschoben mit einem neuen Wohnungsgesetz. Das sorgte im konservativen Lager für scharfe Kritik, auch wenn es eigentlich nur eine Anpassung an in Europa bereits ähnliche geltende Regeln ist. Die Linksregierung führte zum Beispiel eine Mietspiegel ein. Einen solchen Mietspiegel gibt es auch in Deutschland, er beschränkt Mieterhöhungen. Darüber hinaus wird nun eine höhere Grundsteuer für leerstehende Immobilien erhoben und der soziale Wohnungsbau stärker gefördert.

Alle diese Veränderungen sind auch EU-Forderungen, die gebunden sind an die Auszahlung der Next Generation Fonds aus Brüssel, immerhin 70 Milliarden Euro in Direkthilfen und 70 Milliarden Euro in Krediten. Es würden deswegen vor allem die "Kommunisten" der aktuellen Regierung sein, die Sánchez daran erinnern werden, dass auch im nächsten Jahr noch viel zu tun ist, um Spanien sozialwirtschaftlich mit Ländern wie Deutschland auf einen Nenner zu bringen, glaubt Corrales.

Infografik Spanien: Stärkstes Wachstum in der Eurozone DE