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Politik

Gaspreisbremse - wer darf unter den Abwehrschirm?

4. Oktober 2022

200 Milliarden Euro will der Bund bereitstellen, um die Gaspreise für die Verbraucher zu senken. Doch wie soll das in der Praxis funktionieren? Darüber rätselt ganz Deutschland.

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Beratungen von Bund und Ländern - Pressekonferenz
Bundeskanzler Olaf Scholz erläutert in Berlin die Ergebnisse der Bund-Länder-GesprächeBild: Political-Moments/IMAGO

Die Stimme ist noch ein bisschen heiser, aber ansonsten ist Olaf Scholz nach seiner Corona-Infektion wieder genesen. So konnte er auch das Treffen mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der 16 Bundesländer nachholen, das eigentlich schon vor einer Woche stattfinden sollte. Die Länder haben erheblichen Klärungsbedarf und das nicht nur wegen der geplanten Gaspreisbremse.

200 Milliarden Euro will es sich der Bund kosten lassen, die Preise zu drücken. Von einem Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskriegs spricht die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin. Die Ministerpräsidenten finden diese Idee grundsätzlich gut. In ihren Städten, Gemeinden und Regionen sehen sie jeden Tag, was die hohen Energiepreise bei den Bürgern und Unternehmen anrichten und sie stehen vor Ort massiv unter Druck.

Mehr Tempo machen

Deswegen sind sie ungehalten darüber, dass es nach wie vor keine Auskunft gibt, wie genau die Gaspreisbremse funktionieren soll. Die eingesetzte Expertenkommission sucht weiter nach einem gangbaren Weg. "Die arbeiten daran, auch am Wochenende", sagte der Kanzler, der davon ausgeht, dass "nächste Woche erste Ergebnisse" vorliegen. Darauf werde die Bundesregierung dann "sofort" reagieren. "Es soll jedem klar werden, wie seine Entlastung ganz konkret aussieht."

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der Pressekonferenz nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Er sitzt auf einem schwarzen Stuhl und hat seine Arme auf die Tischplatte vor ihm aufgelegt. Die Handflächen zeigen nach oben. Im Hintergrund ist der Ausschnitt eines Wandgemäldes mit schwarzen Linien, einer grauen und einer gelben Fläche zu sehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte nicht viel Neues zu berichtenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Das beschwichtigt nicht jeden. "Krise braucht Verlässlichkeit, Krise braucht Klarheit", hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) vor dem Treffen im Kanzleramt gesagt und mit Blick auf den Abwehrschirm von "einer Wundertüte" gesprochen. "Keiner weiß genau, was drin ist, aber alle freuen sich schon mal." Nach dem Treffen sagte Wüst enttäuscht: "Was drinsteckt, da sind wir heute nicht schlauer geworden."

Länder sollen auch zahlen

Kaum Fortschritt gab es auch beim Streit zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung der weiteren Entlastungspakete für Bürger und Unternehmen, die insgesamt rund 95 Milliarden Euro kosten sollen. Der Bund werde rund die Hälfte davon übernehmen und zusammen mit dem Abwehrschirm bis zu 250 Milliarden Euro stemmen, so Scholz. "Das ist schon eine ordentliche Nummer, die der Bund da macht."

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, sitzen an einem langen Tisch   im Kanzleramt in einigem Abstand nebeneinander. Zwischen ihnen ist ein Monitor aufgestellt, auf dem Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen ist, der aus einer Wohnung im Kanzleramt zugeschaltet wurde
Am 29. September stellten Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Monitor) und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, das 200 Milliarden Euro Paket vorBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Für die Länder heißt das, dass sie 45 Milliarden Euro stemmen sollen und das wollen sie nicht einfach so hinnehmen. Einige haben bereits mit einer Blockade im Bundesrat, der Kammer der Länder, gedroht. Die von der SPD regierten Bundesländer wollen so weit aber nicht gehen. Die Erwartung der Bürger sei, dass sich die Politik in dieser Situation nicht streite, beschwichtigte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und gab sich zuversichtlich, dass der "Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Kommunen" gelingen werde.

Alle brauchen mehr Geld

Doch auch Weil sieht noch genug Klärungsbedarf, da auf Länder und Kommunen absehbar weitere Kosten zukommen. Da ist zum einen die unklare Finanzierung der Krankenhäuser, die durch die Corona-Pandemie finanziell ausgezehrt sind und mit einer miserablen Personallage kämpfen. Jetzt stehen sie zudem vor der Frage, wie sie ihre Energierechnungen bezahlen sollen.

Belastungen drohen auch bei der Frage, wie der öffentliche Personennahverkehr in Zukunft finanziert werden soll. Das 9-Euro-Ticket, mit dem man von Juni bis August durch die ganze Republik fahren konnte, hat bei den Bürgern Begehrlichkeiten geweckt. Nun wird überlegt, wie ein Nachfolgeticket aussehen könnte.

Weniger Einnahmen, aber mehr Investitionen

Für neun Euro wird es wohl kein Monatsticket mehr geben, aber Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) fordert, dass Mobilität nicht mehr als einen Euro pro Tag kosten soll. Für die Finanzierung von Bussen und Bahnen würde das nicht ausreichen, der Staat müsste also einspringen. Dazu kommen dringend notwendige Investitionen in den Ausbau des Nahverkehrs in den ländlichen Regionen. Wer soll das alles bezahlen?

Menschen stehen gedrängt an, um in einen Zug einzusteigen. Sie sind sommerlich gekleidet, einige tragen einen Mund-Nasen-Schutz. Der Zug ist rot, die Türen sind geöffnet.
Das 9-Euro-Ticket lockte bundesweit Millionen Menschen in die NahverkehrszügeBild: picture alliance/dpa

Hohe Kosten entstehen auch wegen der ständig steigenden Flüchtlingszahlen. "Wenn jetzt der Winter kommt, wenn Kälte und Nässe in die zerstörten Häuser in der Ukraine eindringen, dann werden weitere Menschen zu uns kommen", so der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wüst. In vielen Städten und Gemeinden sind die regulären Unterkünfte bereits voll, vielerorts werden schon wieder Turnhallen und andere Notquartiere belegt.

Kanzler Olaf Scholz versprach in der Ministerpräsidentenkonferenz, dass bis Ende des Jahres geklärt werde, wie der Bund die Länder finanziell unterstützen könne.

Ärger in Brüssel wegen deutschem Alleingang

Klärungsbedarf ergibt sich für die Bundesregierung nun auch noch auf europäischer Ebene. Dort machen sich die Deutschen mit ihrer geplanten Gaspreisbremse wenig Freunde. "Während Deutschland es sich leisten kann, 200 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten zu leihen, können es einige andere EU-Mitgliedstaaten nicht", schrieb EU-Industriekommissar Thierry Breton auf Twitter und kündigte eine Prüfung des Vorhabens durch die Europäische Kommission an.

In allen 27 EU-Ländern müssten gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet sein, daher müsse man dringend nachdenken, wie man ärmeren Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten könne, ihre Industrien und Unternehmen zu unterstützen. Eine Forderung, die beim Bundeskanzler auf wenig Gegenliebe stößt. "Kommissar Breton schaut sich ja sicherlich um, auch dort, wo er herkommt, und weiß deshalb, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, nicht singulär sind, sondern auch woanders ergriffen werden, im Übrigen auch mit gutem Recht", kommentierte Scholz in Berlin.