1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie gefährlich sind soziale Medien für Kinder?

13. Dezember 2023

Soziale Medien machen Kinder depressiv und abhängig? So einfach ist das nicht. Wie gefährlich WhatsApp, TikTok oder Instagram sein können, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine große Rolle spielen die Eltern.

https://p.dw.com/p/4a3ga
Mädchen mit Smartphone
Je jünger Kinder sind, desto weniger sind sie in der Lage ihre Smartphone-Nutzung zu kontrollieren.Bild: Addictive Stock/Shotshop/picture alliance

Die Bildschirmzeit meines Sohnes ist unser liebstes Streitthema: zu viel, zu oft, sage ich. Geht voll klar, sagt er. Schließlich habe er einiges zu tun: Der eigene Podcast muss aufgenommen, geschnitten und veröffentlicht werden. Die Zuhörerschaft will betreut und die Statistiken wollen beobachtet werden.

Zusammen mit Nachrichten, die er liest und schreibt und den Videos, die er anschaut, kommt der Zwölfjährige auf eine ordentliche Menge an Zeit, die er auf das Display seines Smartphones starrt. 

Je mehr Zeit am Smartphone, desto schlimmer, denke ich. "Das ist ein Mythos", sagt Adrian Meier, Kommunikationswissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in einem Pressebriefing des Science Media Center.

Welche Auswirkungen soziale Medien auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hätten, sei in erster Linie davon abhängig, welche Persönlichkeit da vor dem Bildschirm sitzt und was genau sie sich ansieht, so Meier.

Auch wenn das Risiko, dass die kindliche Psyche durch soziale Medien leidet, laut Meier ein sehr individuelles ist, listet der Kommunikationswissenschaftler einige potentielle Gefahren auf, die "mehr oder weniger wissenschaftlich belegt sind". An vielen Stellen fehle es nach wie vor an Forschungsdaten.

Gefahr durch sozialen Vergleich und FOMO

Eindeutig belegt sei jedoch das Risiko, durch den sogenannten sozialen Vergleich mit anderen auf Social Media schlecht abzuschneiden. Im perfekt gefilterten Instagram- und TikTok-Universum wirkt das Leben der anderen schnell aufregender, die Körper schöner, der ganze Mensch erfolgreicher.

"Das kann einen motivierenden und inspirierenden Effekt haben", sagt Meier. Bei einem Teenager mit starken Selbstzweifeln kann das vermeintlich traumhafte Leben der anderen jedoch das negative Selbstbild verstärken. Depressionen und Ängste können eine Folge sein. 

TikTok auf dem Smartphone
Kinder brauchen die Unterstützung ihrer Eltern, um einen guten Umgang mit sozialen Medien zu lernen. Bild: Robin Utrecht/picture alliance

"Schönheitsvorstellungen können außerdem zu Essstörungen führen", weiß Isabell Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe Internetbezogene Störungen und Computerspielsucht am Universitätsklinikum Tübingen aus ihrer praktischen Arbeit mit Jugendlichen in Krisensituationen. 

Die Angst, etwas zu verpassen (Fear Of Missing Out, FOMO), dadurch den Anschluss zu verlieren und isoliert zu sein, könne Kindern ebenfalls stark zusetzen, sagt Meier. Wer dem Chat der Klassen-WhatsApp-Gruppe nicht aufmerksam genug folgt oder keinen Plan von der neuesten TikTok-Challenge hat, kann schnell ins Abseits geraten.

Mangelnde Selbstkontrolle bei Kindern

Eine weitere Gefahr besteht laut Meier in einer völlig unkontrollierten Nutzung des Smartphones und der sozialen Medien, wenn sie dazu führt, dass andere Aufgaben vernachlässigt werden. Das können Schularbeiten, aber auch Hobbys und Freunde sein. Und Kinder, die ihr Smartphone noch vor dem Einschlafen nutzen dürften, liefen Gefahr, unter permanentem Schlafmangel zu leiden, so Meier.

Diese unkontrollierte Nutzung habe etwas mit dem sich noch entwickelnden Gehirn der Kinder und Jugendlichen zu tun, erklärt Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und dritter Experte des Pressebriefings. "Je jünger die Nutzer und Nutzerinnen, desto anfälliger sind sie für eine exzessive Nutzung." 

Aus diesem Grund sind alle drei Forschenden besorgt über die Tatsache, dass schon Grundschulkinder Smartphones und Social Media-Accounts besitzen. Das Gehirn reife noch bis zu einem Alter von Mitte 20, so Montag. Bis dahin sei das mit der Selbstkontrolle so eine Sache.

Mein Sohn hat sein Smartphone mit dem Wechsel in die weiterführende Schule bekommen - so, wie die meisten seiner Klassenkameraden. Er sollte nicht als Außenseiter starten. Auch Isabel Brandhorst ist der Meinung, früher oder später führe kein Weg am Smartphone vorbei. Sie betont aber, Kinder sollten in den unendlichen Weiten der sozialen Medien nicht alleine gelassen werden. "Kinder brauchen Eltern als Support."

Eltern als Vorbild am Smartphone

"Ganz viele Eltern setzen sich mit dem Thema nicht so auseinander wie sie es eigentlich müssten, um ihre Kinder gut begleiten zu können", sagt Brandhorst. Darauf zu vertrauen, das Kind wissen schon, dass es sich Abends nicht zu lange bei WhatsApp oder TikTok aufhalten sollte, um genug Schlaf zu bekommen, ist eher Wunschdenken. "Die allermeisten Kinder sind mit dieser Verantwortung überfordert", sagt die Psychologin.

Ich liege also nicht falsch damit, die Bildschirmzeit meines Sohnes zu begrenzen - auch wenn er das anders sieht. Bisher habe ich ihm außerdem nicht erlaubt, sich bei TikTok oder Instagram anzumelden, doch auch das wird natürlich kommen. Ein gutes Vorbild für den Umgang mit diesen Socialmedia-Plattformen kann ich für mein Kind allerdings jetzt schon sein. "Eltern können ihren Kindern zeigen wie sie selbstbewusst und überlegt soziale Medien nutzen", sagt Brandhorst. "Dadurch lernen Kinder."

Werden wir immer narzisstischer?

Ein Problem sei es, wenn Eltern ihre Nutzung selbst nicht im Griff hätten: Die Interaktion mit dem Kind wird unterbrochen, sobald das Display aufleuchtet. "Eltern können unbewusst auch ein sehr negatives Vorbild sein", sagt Brandhorst.

Mit zunehmendem Alter der Kinder erzeugen Regeln und Verbote eher Widerstand, anstatt den gewünschten Effekt zu haben. Deshalb plädiert Brandhorst dafür, etwaige Sorgen über den Smartphone-Konsum des Nachwuchses in einem ruhigen Moment aus der Ich-Perspektive zu äußern: 'Ich habe beobachtet, wieviel mehr Zeit am Smartphone du verbringst als früher und das macht mir Sorgen.' "Das öffnet die Tür für einen Dialog", meint Brandhorst.

Alle drei Forschenden betonen jedoch, für Jugendliche sei es vollkommen normal, bestimmte Dinge phasenweise sehr exzessiv zu tun. Deshalb sei es wichtig, normales Alltagsverhalten nicht zu pathologisieren. Nach wie vor mangelt es an Forschungsdaten, Leitlinien und der Einigung auf bestimmte Kriterien, die eine problematische Nutzung klar definieren würden.

"Eltern sollten auf ihr Bauchgefühl hören", sagt Isabel Brandhorst und mit dem Kind im Gespräch bleiben. Wenn mein Sohn dann in zwei Jahren 14 ist, darf er auf Plattformen wie TikTok unterwegs sein, so lautet unsere Vereinbarung. Ich schätze, das Smartphone wird unser liebstes Streitthema bleiben.

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.