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Wie Deutschland gut ins neue Jahr kommen will

Kay-Alexander Scholz
21. Dezember 2021

Lockdown zu Weihnachten? Nein! Dafür aber Party-Verbot an Silvester, Notfallpläne und Impfen auch an Feiertagen. Bund und Länder haben einen neuen Corona-Plan verabredet. Doch es gibt Zweifler.

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Covid-19 Impfung Symbolbild
Bild: Joel Saget/AFP/Getty Images

Weihnachten ist das wichtigste Fest in Deutschland. Trotz der drohenden Gefahr einer neuen Pandemie-Welle durch Omikron soll es keine neuen einschneidenden Schutzmaßnahmen über die Festtage geben. Also keinen Blitz-Lockdown wie zum Beispiel in den Niederlanden. Darauf haben sich der Bundeskanzler und die Spitzen der Bundesländer in einer kurzfristig digital einberufenen sogenannten Ministerpräsidentenkonferenz geeinigt.

Doch danach soll es weitere Kontaktbeschränkungen geben. Ab dem 28. Dezember müssen überall Clubs und Diskotheken schließen - in manchen Bundesländern sind diese allerdings schon jetzt geschlossen. Fußballspiele in Stadien dürfen nur noch ohne Publikum stattfinden.

Der Jahreswechsel soll dann möglichst ruhig verlaufen. Ein sogenanntes Böller-Verbot gilt bereits, also keine Raketen und andere Pyrotechnik auf den Straßen und Plätzen. Auch dürfen diese Artikel nicht verkauft werden. Es gilt zudem ein Versammlungsverbot im Freien. Private Silvester-Parties sind nur mit zehn Personen erlaubt. Bei Ungeimpften dürfen es sogar nur zwei weitere Personen neben dem eigenen Haushalt sein.

Der neue Kanzler Olaf Scholz appellierte bei der Pressekonferenz nach dem Treffen an die Deutschen, mit Vorsicht und Rücksicht in die Feiertage zu gehen. Allerdings soll in dieser Zeit so viel wie möglich weiter geimpft werden. Vor allem die Booster-Impfungen laufen aktuell sehr gut - sie sollen, wenn möglich, nicht abgebremst werden. Der kürzlich bekannt gewordene Mangel an Impfstoffen scheint kein Thema mehr zu sein. Wöchentlich sollen nun bis Ende Januar zehn Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, was den Bedarf decken sollte.

Vierte Welle ebbt gerade ab

Bund und Länder sehen derzeit noch keine Notwendigkeit, härtere Maßnahmen zu ergreifen. Als einen Grund nannte Scholz, dass die aktuelle Pandemie-Politik Erfolge zeige.

Infografik COVID-19 Todesfälle 7-Tage Inzidenz DE

Noch klingt in Deutschland gerade die Delta-Welle ab. Die Zahl der Neuansteckungen geht zurück, allerdings von einem sehr hohen Niveau. Die Inzidenz liegt bei knapp unter 300. Die Zahl der Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen liegt noch unter den Rekordwerten der vorherigen Wellen. Bundesweit ist durchschnittlich jedes fünfte Intensivbett mit einem Fall belegt.

In den vergangenen Wochen hatten Bund und Länder eine ganze Reihe von auch strikten Maßnahmen - wie 3G am Arbeitsplatz - auf den Weg gebracht, die zum Abbremsen der Infektionsdynamik beigetragen haben. Die Ausgangslage ist also anders als in Ländern wie Dänemark oder Großbritannien, wo es weniger Schutzmaßnahmen gab - und möglicherweise deshalb die Infektionszahlen aktuell explodieren.

Doch es gibt auch andere Ansichten. Mitten in die Beratungen platze die Nachricht aus dem für Pandemie-Fragen zuständigen Robert-Koch-Institut (RKI), das sofortige "maximale Kontaktbeschränkungen", das Schließen von Restaurants und ein Verbot von Reisen forderte. Verschiedene Modelle für Omikron sagen sechsstellige Infektionszahlen pro Tag voraus. Die EU-Kommission rechnet damit, dass Omikron im Januar Delta verdrängt haben wird.

Die Forderungen des RKI konnte Scholz nicht so recht erklären. Regierung und RKI hatten in der Pandemie bislang immer eng aufeinander Bezug genommen.

RKI wollte härtere Maßnahmen

So ganz ließ sich der Dissens am Folgetag in der allwöchentlichen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und dem RKI-Präsidenten Lothar Wieler nicht auflösen. In der Sache verteidigte Wieler das Vorgehen seines Instituts. Der Expertenrat habe nur eine Analyse geliefert. Zu den Aufhaben des RKI gehöre es, daraus Empfehlungen für die Politik zu entwickeln - so wie geschehen. Einen Widerspruch zwischen Expertenrat, dem Weiler auch angehört, und den RKI-Empfehlungen sehe er nicht.

Allerdings seien die Empfehlungen nicht rechtzeitig mit dem Minister besprochen worden, kritisierte Lauterbach. An der Kommunikation müsse noch gearbeitet werden. Eine Zensur der wissenschaftlichen Arbeit aber werde es in seinem Ministerium nicht geben.

Expertenrat empfiehlt - Politik entscheidet

Auch scheint es mit der Einigkeit unter den Bundesländern nicht weit her zu sein, wie die relativ kurze Ministerpräsidentenkonferenz zunächst vermuten ließ. Zwei Bundesländer mit hohen Infektionszahlen - Sachsen und Baden-Württemberg - kritisierten die Beschlüsse als nicht weit genug gehend.

Die neue Regierungskoalition im Bund aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen hatte sich zum Ziel gesetzt, "vor die Pandemie-Welle" zu kommen". Also nicht - wie zuletzt - erst wieder zu reagieren, wenn die Zahlen hoch sind. Diesem Ziel dienen auch einige organisatorische Änderungen. So wurde ein neuer, breitangelegter wissenschaftlicher Expertenrat eingerichtet. Kurzfristig lieferte der eine Stellungnahme zu Omikron. Diese sei Grundlage der jetzigen politischen Entscheidung gewesen, erklärte Scholz.

Doch auch der Expertenrat hatte mehr Alarm geschlagen, als die jetzigen Entscheidungen vermuten lassen. Die aktuell empfundene Entspannung der Lage sei nicht gerechtfertigt, heißt es vom Expertenrat. Omikron infiziere "in kürzester Zeit deutlich mehr Menschen und bezieht auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein". Dies könne zu einer explosionsartigen Verbreitung führen.

"Kritische Infrastruktur" ist vorgewarnt

Worin Rat und Regierung übereinstimmen: Die Modellierungen zeigten eine "neue Qualität der Pandemie". Es könnten gleichzeitig sehr viele erkrankt oder in Quarantäne sein. Damit käme neben der Situation in den Krankenhäuser eine weitere Herausforderung auf Deutschland zu - nämlich eine bislang nicht da gewesene Belastung der öffentlichen Infrastruktur. Heißt auf Polizei, Feuerwehr, Strom- und Wasserversorgung und Medien - plus die privat organisierten Bereiche Logistik, Güter- und Versorgungsverkehr.

Es müssten "in den kommenden Tagen" Vorkehrungen für die ersten Monate des Jahres 2022 getroffen werden, heißt es in der Stellungnahme, "und zwar auf politischer und organisatorischer Ebene des Bundes, der Länder, der Städte und Gemeinden". Es gelte frühzeitig Bundeswehr und Hilfsorganisationen einzubinden.

Deutschland Logistiklager
Notfallpläne sollen vor leeren Lagern schützenBild: Gregor Fischer/dpa/picture alliance

Die Ministerpräsidentenkonferenz hat diese Forderung ausdrücklich unterstrichen. In den vergangenen Pandemie-Wellen war der Staat handlungsfähig geblieben. Bis auf wenige Ausnahmen kam es zu keinen Versorgungsengpässen. All das werde, so der Expertenrat, nun aber auf eine neue Probe gestellt.

Notfallpläne werden überarbeitet

Der Alarm zeigt Wirkung. Erste Meldungen über Notfallpläne gibt es bereits - ein Gesamtüberblick ist naturgemäß schwer zu bekommen.

Schild Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn schmiedet NotfallpläneBild: Christoph Hardt/Future Image/imago images

Beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt es ein Lage- und Meldezentrum, das unter anderem auch für die Verlegung von Intensivpatienten bei Engpässen in den Krankenhäusern hilft. Damit das Zentrum immer besetzt bleiben kann, könne man im Fall der Fälle auf Verstärkungskräfte aus anderen Bereichen zurückgreifen, so ein Sprecher.

Die aktuellen Pandemie-Pläne aller Ebenen der Bundesregierung und Bundesbehörden würden überprüft, hieß es auf der Regierungspressekonferenz in Berlin.

Die deutsche Logistik-Branche denkt über die Wiederaufnahme eines Notfall-Paktes nach, den es bereits im Frühjahr 2020 gab. Damals sprangen Spediteure ein, um Supermärkte zu versorgen. Weil viele LKW-Fahrer aus Osteuropa ausgefallen waren.

Nächste Bund-Länder-Runde am 7. Januar

Ob die Strategie der Bundesregierung - maßvolle Verschärfung der Schutzmaßnahmen und landesweite Vorbereitung auf den Ernstfall bei Schonung der Weihnachtstage - gegen eine schnelle fünfte Pandemiewelle ausreichen wird, werden die kommenden Tage zeigen.

Die nächste Bund-Länder-Runde ist für den 7. Januar angesetzt - also erst in zwei Wochen. Das sei zu spät, hieß es warnend aus Sachsen. Auch im Bundestag gibt es derzeit - bis auf einzelne Stimmen - keine Anzeichen dafür, die Weihnachtsruhe zu unterbrechen. Regulär findet die nächste Sitzung am 10. Januar statt. Sondersitzungen sind bislang nicht geplant.