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Gesellschaft

Werbung mit lesbischem Paar spaltet Russland

Juri Rescheto
7. Juli 2021

Eine Lebensmittelfirma wirbt mit einem Foto von zwei lesbischen Frauen. Es soll ein Statement für Toleranz sein. Nach wütenden Reaktionen im Netz zieht das Unternehmen das Foto wieder zurück und hat selbst den Schaden.

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Russland Werbekampagne Supermarktkette Vkusvill
Die LGBTQ-Aktivistin Yuma (li.), hier auf einem Foto aus ihrem privaten Instragram-AccountBild: Instagram

Es begann mit einem Paukenschlag. Eine mittelgroße russische Lebensmittelkette namens VkusVill, die sich von den Supermarktgiganten durch die Bio-Qualität ihrer regionalen Produkte absetzt, startete am letzten Juni-Tag eine neue Werbekampagne. Titel: Rezepte des Familienglücks.

Darin wurden neben gesund aussehenden, glücklich lächelnden heterosexuellen Paaren mit Kindern auch zwei junge Frauen abgebildet, die offen lesbisch sind. Zwei Veganerinnen, die genauso wie die heterosexuellen Modelle auf den Fotos lächeln und glücklich und gesund wirken. Die Botschaft war klar: Unsere Kunden sind zwar unterschiedlich, wie auch unsere Produkte, aber sie alle sind mit uns und unseren Produkten glücklich. Wir sind eine tolerante VkusVill-Community, Vorreiter im Kampf nicht nur für eine gesunde Ernährung, sondern auch um die Anerkennung alternativer Lebensweisen. Und das in einem Land, das allgemein als konservativ und homophob gilt. Die Boschaft saß!

Prompt reagierte das Netz mit einer Vielzahl von Kommentaren: von Begeisterung bis Hass war alles dabei. Liberale Kundinnen und Kunden feierten die VkusVill-PR-Leute und die beiden Frauen für ihren Mut. Denn in Russland ist die so genannte "Homosexuellen-Propaganda" unter Minderjährigen gesetzlich verboten. Dem haben aber die Macher der Kampagne vorgebeugt und das entsprechende Foto mit dem Vermerk «18+» versehen - als Warnung an alle, die jünger als achtzehn Jahre alt sind.

Russland | Moskau | VkusVill
Die Lebensmittelkette VkusVill wollte alles richtig machen - und hat jetzt den Schaden Bild: DW

Außerdem fehlte im Bild jeglicher Hinweis auf eine Regenbogenfahne, die als Symbol der LGBTQ-Bewegung weltweit gilt und für viele Menschen in Russland darum ein rotes Tuch ist. Trotzdem ließen auch andere, weniger begeisterte Kommentare nicht lange auf sich warten. Die Protagonistinnen der Werbekampagne und ihre Verantwortlichen wurden kritisiert, es gab Hasskommentare und Boykottaufrufe, es kam zu Drohnungen im Netz.

VkusVill wurde das zu viel. Drei Tage nach der Veröffentlichung des umstrittenen Fotos zog das Unternehmen die Notbremse. Die lächelnden lesbischen Frauen verschwanden. Ihr Foto wurde nachträglich aus der Werbekampagne gelöscht. Die Geschäftsleitung wandte sich mit einem Schreiben an die Kunden. VkusVill bedauerte darin, "die Gefühle einer großen Zahl von Kunden, Mitarbeitern und Partnern verletzt zu haben". Die betreffende Publikation sei ein Fehler gewesen, der auf die "Unprofessionalität einiger Mitarbeiter" zurückzuführen sei. Wieder kochte das Netz. Und auf einmal war VkusVill bei beiden unten durch: den Traditionalisten und den Liberalen zugleich.

Der Moskauer Student Artjom Timonow kaufte gern bei VkusVill ein. Gegenüber der DW betont er: "Die haben schon eine gute Qualität der Produkte. Und eigentlich war es ein ziemlich cooler Laden, der auf eine gewisse soziale Verantwortung setzte." Aber nach dem Hin und Her um das lesbische Pärchen ist VkusVill für Artjom erledigt. "Die haben versucht, den Konflikt zu de-politisieren, den sie selbst verursacht hatten. Stattdessen haben sie ihn aber noch mehr politisiert. Ihr Zielpublikum ist doch jung, aktiv und geht fröhlich durch das Leben. Sie legen Wert auf ethische, moralische Botschaften. Damit machen sie das alles jetzt kaputt."

Russland | Moskau | VkusVill | Student Artjom Timonow
Student Artjom Timonow will von VkusVill nichts mehr wissenBild: DW

Aus Protest auf die VkusVill-Reaktion hat Artjom seine eigene ironische Anti-Werbekampagne gestartet: Auf Bauzäune in Moskau klebt er Schilder mit Slogans, die bekannte VkusVill-Werbebotschaften paraphrasieren: "VkusVill: gesunde Ernährung für eine ungesunde Gesellschaft", "«VkussVill, vezeiht uns, wir sind leider intolerant" und schließlich "VkusVill: wir liefern frische Produkte nur für gesunde Familien".

Die DW hat das Unternehmen um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort lautete, es sei alles bereits im veröffentlichten Statement gesagt worden. Die beiden Frauen waren für ein DW-Interview nicht zu erreichen. Ihr Telefon ist vorübergehend ausgeschaltet.

Wie hoch der Imageschaden für VkusVill wirklich ist, lässt sich noch nicht sagen. In Moskau betreibt die Kette 1200 Filialen. Keine von ihnen wurde bisher boykottiert. Für den Marketing-Experten Igor Berezin von der Marketing Holding "Romir" ist klar, dass russische Unternehmer sich nach den heftigen Reaktionen im Netz eingeschüchtert fühlen.

Der offizielle Diskurs brandmarkt Homosexualität als einen durch westliche Propaganda aufgezwungenen fremden Wert. Dagegen kommt eine einzelne noch so gut gemeinte Werbekampagne nicht an. "Wahrscheinlich bekamen sie nicht wegen der zu erwartenden Reaktion der Kunden Angst, sondern vielmehr vor einer möglichen Reaktion der Traditionshüter."

VkusVill plant einen Gang an die US-Börse. Spätestens dann könnte der Skandal um zwei lesbische Frauen, die nicht mehr glücklich auf dem VkusVill-Foto lächeln, zum Image-Problem der russischen Bio-Lebensmittelkette werden.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga