Neue Risiken
14. April 2011Rund drei Jahre liegt nun der Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zurück, und viele Beobachter glauben, sie sei bereits ausgestanden. Ein Trugschluss, sagen die beiden Organisationen der Vereinten Nationen, IWF und Weltbank, im Vorfeld ihrer Frühjahrstagung. Unruhen im Nahen Osten und Nordafrika, Überhitzungsgefahren in den Schwellenländern, Schuldenprobleme in den Industrieländern, Inflationsgefahren und steigende Nahrungsmittelpreise - das alles zeige, dass die Welt noch lange nicht in Ordnung sei.
Weltbank-Präsident Robert Zoellick warnte vor allem vor einer möglichen Wiederholung der Nahrungsmittelkrise des Jahres 2008: "Die Preise liegen zurzeit 36 Prozent über dem Niveau des Vorjahres und damit sehr nahe an den Spitzenwerten des Jahres 2008. Seit Juni vergangenen Jahres sind 44 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gefallen. Sie müssen mit weniger als eineinviertel Dollar am Tag auskommen. Wenn der Nahrungsmittel-Preisindex noch einmal um zehn Prozent steigt, dann schätzen wir, werden weitere zehn Millionen Menschen unter die Armutsgrenze fallen."
Viele Ursachen
Ein Index-Anstieg von 30 Prozent würde weitere 34 Millionen Menschen in die Armut treiben, die Gesamtzahl stiege dann auf 1,2 Milliarden Menschen. Für diese Preisexplosionen gebe es viele Gründe, sagt Zoellick: Missernten aufgrund extremer Wetterbedingungen, die zunehmende Produktion von Biotreibstoffen, die mit der Lebensmittelproduktion konkurriert, zu geringe Vorratshaltung, veränderte Ernährungsgewohnheiten und schließlich die Spekulation. Opfer seien aber immer die ärmsten Länder der Welt. Und die könnten nicht warten.
"Wir haben vor unserem Hauptgebäude eine Hungeruhr aufgestellt", sagt Zoellick. "Sie zeigt, dass fast eine Milliarde Menschen unterernährt sind. Diese Zahl steigt um 68 Menschen pro Minute, also mehr als einer pro Sekunde. Wir müssen uns anstrengen, wenn wir nicht eine ganze Generation verlieren wollen." Er sei deshalb froh, dass Frankreich das Thema Nahrungsmittelpreise zum Top-Thema seiner G20-Präsidentschaft gemacht habe. Auch IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn warnte davor, die Wirtschafts- und Finanzkrise bereits abzuhaken und wieder zum Tagesgeschäft überzugehen.
Nicht selbstzufrieden werden
"Wir dürfen nicht in Selbstzufriedenheit verfallen, wir sind immer noch in der Krise", so Strauss-Kahn weiter. Dies betreffe nicht nur die Euro-Schuldenkrise. Zahlreiche Probleme wie die hohe Staatsverschuldung und der weltweit ungleiche Konjunkturaufschwung seien nach wie vor nicht gelöst. Zwar erhole sich die Weltwirtschaft, aber diese Erholung sei mit zu wenig neuen Arbeitsplätzen verbunden.
"Wir brauchen Jobs, Jobs, Jobs. Wenn sich eine wirtschaftliche Erholung nur in makro-ökonomischen Zahlen ausdrückt, aber nicht bei den Menschen ankommt, dann ist das schlecht." Strauss-Kahn nannte als Beispiele Ägypten und Tunesien. "Dort waren die volkswirtschaftlichen Zahlen ganz ordentlich, aber die Menschen dort haben nicht das Gefühl, dass sich etwas ändert", sagte der IWF-Chef.
Autor: Rolf Wenkel, Washington
Redaktion: Nicole Scherschun