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Weckrufe zum Ramadan

Naomi Conrad, Kairo12. Juli 2015

In Kairo ziehen Weckrufer ihre Runde. Sie wecken im Ramadan die Muslime rechtzeitig vor Tagesanbruch, damit die sich vor den langen Stunden des Fastens noch einmal stärken können. Aus Kairo Naomi Conrad.

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Der Mesaharati (Weckrufer) Issam Mahmoud Mohammed auf seinem nächtlichen Zug (Foto: Naomi Conrad)
Bild: DW/Scholz/Kriesch

Eine holprige Rikscha-Fahrt entfernt vom Basar von Helwan, einer Industriestadt im Süden Kairos, liegt die Wohnung von Mohammed Issam Mahmud Mohammed, einem freundlichen Mann Mitte 40. In seinem winzigen Wohnzimmer zeigt er, in einen langen, weißen Umhang gekleidet, stolz auf ein rissiges goldgerahmtes Foto seines Vaters. Der ernst aussehende Mann auf dem Foto nahm ihn, seinen ältesten Sohn, einst mit, wenn er im Fastenmonat Ramadan auf seinem Esel durch die Straßen ritt, Gebete sprach, auf eine Trommel schlug und die Gläubigen für das Suhur weckte, das letzte Mahl vor dem Sonnenaufgang, mit dem die Fastenzeit beginnt.

Als sein Vater vor 15 Jahren starb, übernahm Mohammed das traditionsreiche Amt des Mesaharati. Dessen Aufgabe ist es, die Menschen während des Ramadan rechtzeitig vor Sonnenaufgang zu wecken. Der Beruf des Mesaharati ist seit Jahrhunderten in Ägypten ebenso verbreitet wie in Marokko, Irak und Syrien, vor allem in ländlichen Gebieten.

Comeback einer Tradition

In den ägyptischen Städten hingegen befand sich das Berufsbild in den vergangenen Jahren eher auf dem Rückzug: Denn die meisten Leute dort verlassen sich lieber auf ihr Mobiltelefon als auf den Weckrufer. Andere bleiben zusammen mit Familie und Freunden ohnehin die gesamte Nacht wach und vertreiben sich auf diese Weise die kühlen Sommernächte.

Doch seit einiger Zeit erlebt die Tradition des Mesaharati ein Comeback - nicht zuletzt dank der aufgewühlten politischen Situation, wie Khalid Abulial, Direktor des Zentrums für Folklorestudien an der Universität Kairo, erklärt: "In Zeiten des Konflikts besinnen sich die Menschen immer auf ihre Ursprünge", sagt er im DW-Interview. Denn das gebe ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Identität.

Khalid Abulial, Professor für Folklore an der Universität von Kairo (Foto: Naomi Conrad)
Folklore-Forscher Abulial: "Besinnung auf die Ursprünge"Bild: DW/N. Conrad

Tiefere Bedeutung des Mesharati

Für Mohammed gibt es noch einen weiteren Grund für die Renaissance des öffentlichen Weckrufers: "Der Ramadan ohne Mesaharati ist fade, ihm fehlt die angemessene Spiritualität."

Deshalb habe er noch nicht eine Nacht versäumt, sagt Mohammed im Gespräch mit der DW. Selbst wenn er krank sei, reite er auf seinem Esel durch die Straßen. "Viele Leute verlassen sich darauf, dass ich sie wecke. Ich fühle mich ihnen gegenüber verantwortlich."

Der Beruf sichert Mohammed auch einen Teil seines Einkommens. Er habe nur die Grundschule absolviert und arbeite seitdem als Tagelöhner, um seinen Frau und sieben Kinder zu ernähren, berichtet er. In einer gut laufenden Nacht im Ramadan verdiene er zwischen drei und vier Euro - Spenden der Nachbarn, die ihm auf diese Weise danken.

Konservative Gesellschaft

Auch Mohammeds Enkelin Rahma, ein neugieriges Mädchen von vier Jahren, steigt in ihrem gelben Kleid auf den Esel und greift mit der Hand nach der Trommel. Ob auch sie eines Tages den Beruf des Großvaters ergreifen will? Ja, nickt sie und lächelt über das ganze Gesicht. Mohammed schüttelt den Kopf. Er hofft, dass der älteste Sohn in seine Fußstapfen tritt. Dass Rahma den Beruf übernimmt, würde er nicht zulassen. "In der hiesigen Kultur könnten die Leute sie belästigen."

Ägypten ist nach wie vor eine konservative Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in der Mesaharati-Tradition wider: Er rufe nicht die Namen von Frauen aus, berichtet Mohammed, sondern nur die ihrer Männer und Kinder. Frauennamen auszurufen entspreche nicht der Tradition. Auf Nachfrage räumt er aber ein, dass es dennoch verheiratete Frauen gibt, die ihn darum bitten. "Einige Frauen mögen es, wenn ich ihren Namen ausrufe." Allerdings tue er das nur, wenn er die Einwilligung ihrer Ehemänner habe, sagt Mohammed.

Issam Mahmoud Mohammed (Foto: Naomi Conrad)
Weckrufer Mohammed: "Viele verlassen sich darauf, dass ich sie wecke"Bild: DW/N. Conrad

"Wir lieben es, wenn er seine Runde dreht"

Ein Blick auf die bunte Plastikuhr an der Wand sagt Mohammed, dass es fast Mitternacht ist - Zeit aufzubrechen. Drei bis vier Stunden wird er für seine Runde brauchen.

Ein Schwarm lachender Kinder umringt seinen Esel. Zusammen ziehen sie los, die schmutzige, mit Girlanden behangenen Straßen entlang. Mohammed ruft die Namen aus und schlägt in regelmäßigem Abstand auf seine Trommel, während sich sein Esel den Weg um die Schlaglöcher bahnt. Ein Dutzend Kinder folgt ihm - wie dem Rattenfänger aus einem arabischen Märchen.

"Ohne ihn wäre der Ramadan anders", sagt ein älterer Mann. Er sei schon wach gewesen, habe aber auf Mohammeds Rufe gewartet, bevor er das Haus verlasse. "Wir lieben es, wenn er seine Runde dreht."