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Was würde die globale Entflechtung kosten?

Andreas Rostek-Buetti
5. August 2021

Mit der Coronakrise wird in Europa der Ruf nach einer "strategischen Autonomie" bei Gütern und Knowhow lauter. Die EU-Kommission plant entsprechend. Jetzt sagen Ökonomen aus Kiel: Das könnte sehr, sehr teuer werden.

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China, Shanghai - Yangshan Deep Water Port
Bild: Reuters/A. Song

Da war zuerst die Erfahrung mit dem Mangel an Schutzmasken. Dann fehlten Maschinen, um die Impfstoffproduktion hochzufahren. Jetzt mangelt es allenthalben an Chips, und nicht nur die europäische Autoproduktion leidet. Die Pandemie und mit ihr die Krise in vielen Wirtschaftsbereichen haben es offen gelegt: Europa ist in einem Maße abhängig von Zulieferungen vor allem aus China - aber eigentlich aus allen Teilen der Welt - dass diese Abhängigkeit zur Gefahr werden kann. Dann nämlich, wenn die Lieferungen stocken. Ob wegen schlichtem Mangel oder wegen politischer Verwerfungen.

Kein Wunder, dass die deutsche Regierung längst beherztes Handeln fordert und unter anderem den Ausbau einer europäischen Chipproduktion vorantreiben will. Die EU-Kommission hat die vielstimmigen Forderungen im Frühjahr in einen Plan gegossen, bei dem es genau darum geht - um die "strategische Autonomie". Die "neue Doktrin einer offenen strategischen Autonomie" fasste die Neue Zürcher Zeitung seinerzeit so zusammen: "Offen sein, so weit es geht, und autonom sein, wenn es nötig ist."

"Protektionistische Bremse"

Klingt gut und ausgewogen, und wer wollte widersprechen. Allerdings merkte das konservative Blatt aus Zürich gleich an: "Der globale Handel und die weltweite Arbeitsteilung haben in den vergangenen Jahrzehnten der Welt zu einem enormen Wohlstandsschub verholfen." Käme es hier zu Einschränkungen, würde das "diesen Wohlstandsschub zwangsläufig protektionistisch bremsen".

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"Wohlstandsschub durch weltweite Arbeitsteilung"Bild: ZDF

Forscher des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel haben jetzt eine Studie vorgelegt, mit der sie die Kosten der Autonomie berechnen wollten. Sie formulieren als Ergebnis: "Ein Abkoppeln der EU von internationalen Lieferketten oder auch nur von China würde die EU-Staaten hunderte Milliarden Euro kosten." Das würden entsprechende Simulationen zeigen.

Die Autoren der IfW-Studie haben gerechnet, welche Folgen es hätte, wenn die EU Handelsbarrieren verdoppeln würde, um die heimische Produktion zu fördern. Es geht also nicht um neue Zölle, sondern etwa um eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge, Steuervorteile oder andere Subventionen für EU-Anbieter. Umgekehrt werden Importquoten oder -verbote für ausgewählte Güter simuliert.

Würde die EU einseitig solche Schritte ergreifen, um sich vom Rest der Welt zu entkoppeln, "würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jedes Jahr verglichen zum Basisjahr 2019 preisbereinigt rund 580 Milliarden Euro oder 3,5 Prozent geringer ausfallen als ohne die Eingriffe", fassen die Ökonomen zusammen. Bei erwartbaren Gegenmaßnahmen von Europas Handelspartnern, nähme der Verlust noch zu und "wüchse auf rund 870 Milliarden Euro oder 5,3 Prozent des BIP". 

"Warenverkehr widerstandsfähiger machen"

Auch wenn die Kieler Forscher Handelsbarrieren und dergleichen verwerfen, so sehen sie doch Handlungsbedarf, "um die Wirtschaft der EU gegen Krisen im internationalen Warenverkehr widerstandsfähiger zu machen". Hilfreicher wäre da, schreibt das IfW, "das Lieferantennetz breiter aufzustellen, Recycling zu fördern und die Lagerhaltung zu verbessern".

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Mangel bei weltweiter Arbeitsteilung - Chipproduktion, hier in SachsenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Die Sorgen um die Folgen von Versuchen, die Lieferketten neu auszurichten und die Produktion wieder nach Europa zurückzuverlagern, teilen die Kieler Volkswirte mit europäischen Unternehmern, die im Branchenverband ERT organisiert sind. "Die Betonung der strategischen Autonomie könnte zu Protektionismus führen", warnte ein Vertreter des Verbands unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Wir sind alarmiert."

Damit verschwindet das Problem der stockenden Lieferungen von wesentlichen Gütern in die Europäischen Union allerdings nicht. Und egal, ob Daimler oder Siemens, ob Volkswagen oder Fiat, überall fehlen in den Fabriken die Chips, Aufträge bleiben liegen, und auch so kommt es zu teuren Nebenwirkungen: Kosten, die sich als geringerer Umsatz und geringerer Gewinn niederschlagen.