1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Europas Mikrochip-Dilemma

Jo Harper
29. April 2021

In der EU gehen die Halbleiter aus. Sie fehlen bei der Künstlichen Intelligenz, in Autos oder medizinischen Geräten. Mit geballter Kraft soll das Problem gelöst werden. Kann das gelingen?

https://p.dw.com/p/3skW7
Chiphersteller Globalfoundries in Dresden
Bild: picture-alliance/dpa

Europa schmiedet an einer Chip-Allianz. Vor allem Europas Binnenmarktkommissar Thierry Breton drückt aufs Tempo. Das Ziel ist klar: Europa will die Lücke zur Konkurrenz aus den USA und vor allem Asien schließen. Schon im März kündigte die EU an, die Produktion von Mikrochips bis 2030 zu verdoppeln. Ein Fünftel der Mikrochips weltweit sollen dann aus der EU kommen.

Die Ankündigung war aus der Not geboren. Zuvor hatten Chip-Lieferengpässe mehrere Industrien empfindlich getroffen - darunter auch die Autoindustrie. Laut dem Informationsdienstleister IHS-Market sind deshalb im ersten Quartal 2021 rund fünf Prozent weniger Autos produziert worden als noch im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Der ehrgeizige europäische Plan mit dem Namen "Digitaler Kompass" sieht Investitionen von 140 Milliarden Euro in den nächsten zwei bis drei Jahren vor. Nachdem europäische Firmen die Produktion der winzigen 5-, 3- und 2-Nanometer-Chips in die USA und Asien ausgelagert haben, sollen diese wieder verstärkt in Europa produziert werden.

Kommt das europäische Chipwunder?

Allen voran Thierry Breton und die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, kündigten das Vorhaben an. Weitere Details der Pläne sollen nach Gesprächen mit den weltweit führenden Chipherstellern folgen - darunter Intel, Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) und Samsung Electronics.

EU-Kommission Margrethe Vestager und Thierry Breton
Wollen die Chipproduktion in der EU nach vorne bringen: Margrethe Vestager und Thierry BretonBild: Olivier HOSLET/AFP

Es wird gemunkelt, dass die Pläne der EU die Gründung eines neuen Unternehmens oder eine Partnerschaft mit TSMC oder Samsung beinhalten. Breton möchte, dass ein führender Chiphersteller ein großes Werk in der EU ansiedelt. Eine solche Eurofab könnte Berichten zufolge in Frankreich, Deutschland oder Polen entstehen.

Auch der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier blieb nicht untätig. Schon Anfang des Jahres schrieb er einen Brief an Taiwans Regierung und bat um Hilfe bei der Chipversorgung. Sein Brief zielte zwar nur darauf ab, kurzfristige Engpässe aufzufangen - es zeigt aber auch das Dilemma, vor dem die EU steht.

Das brachte auch die Tech-Reporterin von Bloomberg, Natalia Drozdiak, auf den Punkt: "Die Entwöhnung Europas von der Chip-Technologie aus den USA und Asien, verspricht extrem schwierig zu werden. Vor allem, weil die EU möglicherweise Hilfe von Unternehmen aus diesen Regionen braucht, um die eigene Produktion anzukurbeln."

Der USA-China-Konflikt und die Kollateralschäden

Die EU will nicht ins Kreuzfeuer eines Handelskriegs zwischen China und den USA im Technologiebereich geraten. Dieser ist bereits im Gange: Schon die Trump-Administration wollte Pekings Zugang zu Technologien verringern. Peking reagierte, indem es einheimischen Chiphersteller förderte. So macht es nun auch Joe Biden - 37 Milliarden US-Dollar sollen in die US-Chipindustrie fließen. Die Mittel sind Teil seines geplanten Mega-Infrastrukturpakets, das mehr als zwei Billionen US-Dollar kosten soll.

Die Macht der Mikrochips

"Die Industrie hat sich in Südkorea und Taiwan konzentriert, während Europa sich auf die Grundlagenforschung, aber auch auf spezifische Anwendungen des Chipdesigns, etwa für die Automobilindustrie, konzentrierte", so Mathieu Duchatel, Leiter des Asienprogramms am Montaigne-Institut, gegenüber DW.

Der Abstieg der EU-Firmen

Im Jahr 2012 produzierte Europas Chipindustrie noch 70 Prozent ihrer Bauteile in der EU. Im vergangenen Jahr war es nur knapp die Hälfte, so der Elektronik-Branchenverband ZVEI. Insgesamt kommen nur noch neun Prozent aller Chips weltweit aus europäischen Fabriken. Unter den zehn führenden Halbleiterherstellern der Welt befindet sich nur noch ein Europäer - NXP Semiconductors. Doch auch das Unternehmen aus den Niederlanden könnte schon bald in US-Hand sein, denn der Rivale Qualcomm plant eine Übernahme.

Vor zwei Jahrzehnten war Europa dank seiner starken Unterhaltungselektronik-Industrie mit Mobiltelefonen der ersten Generation von Nokia, Ericsson und Siemens weltweit führend. Doch als der Ruhm der Geräte verblasste, verlagerte sich auch die Chip-Produktion weitgehend nach Asien. Dort werden mittlerweile auch die meisten Chips verkauft - rund 60 Prozent weltweiten Umsatzes wird in Asien generiert.

"Standorte außerhalb Europas haben derzeit klare Vorteile. Zum einen wegen der Lieferketten und günstigeren Arbeitskräften, zum anderen wegen der Abnehmer unserer Technologien", so Andreas Gerstenmayer, Vorstandsvorsitzender von Austria Technologie & Systemtechnik, kurz AT&S, gegenüber der DW.

Taiwan High Tech | High-Tech/Halbleiter-Ingenieure
Taiwan produziert ein Fünftel der Mikrochips weltweitBild: Tao-Chuan Yeh/AFP/Getty Images

Der Aufbau eines großen, hochmodernen Werks kann laut einem Bericht der US-amerikanischen Semiconductor Industry Association (SIA) rund 20 Milliarden Dollar kosten und Jahre benötigen, bis es Gewinn abwirft: "Industriepolitik ist neu für die EU - das ganze System ist auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet", sagt der Asien-Experte Duchatel. "Gleichzeitig haben China, die USA, Taiwan und Südkorea die Absicht, die Chipfertigung zu beschleunigen."

Taiwan produziert 20 Prozent aller Halbleiter weltweit, Südkorea 15 und Singapur sieben. Die Unternehmen TSMC und Südkoreas Samsung dominieren den Markt. Allein TSMC plant, in den nächsten drei Jahren 100 Milliarden Dollar zu investieren, um die Kapazität zu erweitern. Samsung plant, die halbleiterbezogenen Investitionen um ein Fünftel aufzustocken auf 31 Milliarden Dollar in diesem Jahr.

Große Probleme sind in Sicht

Ein großes Werk in Europa zu errichten, könnte sich am Ende als strategischer Fehler erweisen, da dem Kontinent ein starker Markt fehlt. "In der Umsetzung ist das ein sehr anspruchsvolles und ehrgeiziges Projekt", so Gerstenmayer. "Vor allem, weil es in Europa keine wirklich großen Endnutzer im High-End-Bereich gibt, wie Google, Apple oder Amazon, und damit die treibende Kraft fehlt. Wir stehen hier erst am Anfang der Reise."

Immerhin deutet sich für den Mobilitätssektor eine leichte Entspannung an, wen ab September in Dresden die neue Halbleiterfabrik von Bosch an den Start gehen wird. 

Mark Liu, Vorstandsvorsitzender von TSMC, sagte, dass es zu Überkapazitäten führen würde, wenn Europa die Halbleiter-Lieferkette nachbauen würde. Auf einer Pressekonferenz am 21. März bezeichnete er die Pläne der EU als "wirtschaftlich unrealistisch". Liu sagte, dass ein Teil der aktuellen Chip-Lieferknappheit auf Doppelbuchungen zurückzuführen sei. Diese seien durch die Unsicherheit im Jahr 2020 und durch Last-Minute-Bestellungen entstanden. Smartphone-Hersteller hätten versucht, Lücken zu füllen. Diese sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass die USA den Chip-Großhändler Huawei auf ihre schwarze Liste gesetzt hätten.

Ursachensuche nach Engpässen

Auch ein Bericht der ING-Bank beleuchtet die Verwechslungsgefahr von kurzfristigen Versorgungsproblemen und notwendigen strukturellen Veränderungen:  Die Engpässe von Chips seien aufgrund des Nachfragesprungs im Zusammenhang mit COVID-19 ausgelöst worden - vor allem weil mehr für Unterhaltungselektronik ausgegeben würde - so der Bericht im April. Die starke Nachfrage nach Homeoffice-Geräten und die schneller als erwartete Erholung in anderen Sektoren seien ebenfalls "nicht hilfreich", so der Bericht.

Hinzu kommen auch noch die neuen 5G-Mobilfunknetze. Das treibt die Nachfrage nach kompatiblen Smartphones. Auch die Schließung eines Werks in Texas wegen extremer Kälte und in Japan nach einem Brand haben die Lage verschärft.

Die EU steht mit ihren Plänen für die Chiproduktion also vor großen Herausforderungen. Diese fängt offensichtlich schon vor der Produktion an: nämlich bei der Ursachen-Suche nach den Engpässen.

Aus dem Englischen adaptiert von Nicolas Martin