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Was ist eine Rezession?

Karl Zawadzky26. Oktober 2001

Zum unscharfen Umgang mit einem vielbenutzten Begriff

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Ein Gespenst geht um in Deutschland: die Rezession. Für die einen ist sie schon da, für andere ist sie noch eine Gefahr. Wieder andere, zum Beispiel Bundeskanzler Gerhard Schröder, warnen vor "leichtfertigem Rezessionsgerede". Denn in der Tat:
Wirtschaftspolitik, das gehört seit Ludwig Erhards Zeiten zum Allgemeingut, besteht zu einem Großteil aus angewandter Psychologie. Insofern ist die Bundesregierung zum Verbreiten von Optimismus geradezu verpflichtet. Sie muß nur aufpassen, daß ihre Aussagen glaubwürdig sind. Sonst wirken sie kontraproduktiv.

Noch eines gehört zum 1 x 1 von Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik: Aufschwünge und Abschwünge sind in der Marktwirtschaft überhaupt nicht zu vermeiden. Sie sind ihr systemimmanent. Die Möglichkeiten und Aufgaben der Politik bestehen darin, die Ausschläge zu glätten. Wenn das gelingt, ist schon viel gewonnen.

Die sechs führenden wirtschaftswissenschaftlichen
Forschungsinstitute haben in ihrem Gemeinschaftsgutachten die Gefahr eine Rezession an die Wand gemalt. Deutschland stehe "am Rande einer Rezession", hat der geballte wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand festgestellt. Was heißt das? Das heißt erst einmal: Die deutsche Wirtschaft befindet sich noch nicht in einer Rezession, aber sie droht. Dabei ist die Frage "Rezession oder nicht" erst einmal eine Definitionssache. Denn eine Rezession wird in der Regel dann festgestellt, wenn das Bruttoinlandsprodukt - also die Gesamtheit aller produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen - in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpft.

Dabei sind zwei Varianten möglich. Zum einen der Vergleich mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum, zum anderen der Vergleich mit dem direkten Vorquartal. In Amerika wird eine Rezession bereits festgestellt, wenn die Wirtschaftsleistung in zwei direkt aufeinander folgenden Quartalen zurückgeht. In Europa muß dies auch im Vorjahresvergleich der Fall sein. Allgemein wird davon ausgegangen, daß Amerika sich derzeit in einer Rezession befindet. Denn die amerikanische Wirtschaft befand sich nach einem ebenso langen wie kräftigen Höhenflug bereits in einem kräftigen Abschwung, als in New York und Washington die Terror-Flugzeuge einschlugen. Das Ergebnis der Terror-Attacke und der jetzt laufenden Militärschläge auf Afghanistan ist Unsicherheit. Das heißt: Die Unternehmen halten Investitionsentscheidungen zurück, die Verbraucher schränken ihren Konsum ein. Durch die drastischen Kursverluste an den Börsen wird die rückläufige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts verstärkt.

Obwohl die Ereignisse in den USA die gesamte Weltkonjunktur in Mitleidenschaft ziehen, haben die Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion, damit auch Deutschland, gute Aussichten, das Abgleiten in eine Rezession vermeiden zu können. Denn zwar hat sich der Anstiegswinkel des Aufschwungs ganz erheblich abgeflacht und es wird nur noch ein geringes Wirtschaftswachstum erreicht, für einige Monate kann die Wirtschaftsleistung auch hier zu Lande sogar rückläufig sein, aber aller Voraussicht nach nicht für ein halbes Jahr. Denn erste Anzeichen einer verstärkten Aufwärtsentwicklung der Konjunktur zeichnen sich bereits ab. Voraussetzung freilich ist, daß sich die durch den Terror verschärfte Unsicherheit und Schwäche der Weltwirtschaft nicht wesentlich ausweitet.

Das heißt: Deutschland und die übrigen Euro-Länder haben Chancen, an der drohenden Rezession vorbei zu schrammen. Dann wäre das, womit wir es derzeit zu tun haben, lediglich eine Konjunkturdelle, eine vorübergehende Eintrübung, eine Schwächephase. Die Wirtschafts-
leistung nimmt zu, wenn auch nur wenig - um 0,7 Prozent im laufenden Jahr. Aber für das kommende Jahr gehen die Bundesregierung und die Wirtschaftsforscher von 1,25 Prozent Wachstum aus. Das bedeutet angesichts der niedrigen Ausgangslage im Jahresverlauf eine deutliche Wachstumsverstärkung auf mehr als zwei Prozent zum Ende des Jahres 2002. Deshalb ist die Forderung nach einem Vorziehen der für 2003 beschlossenen Steuerentlastung auf das kommende Jahr unangebracht. Recht haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesfinanzminister Hans Eichel: Der Schaden infolge des Verlustes an Glaubwürdigkeit bei der Sanierung der Staatsfinanzen wäre größer als der Nutzen für die Konjunktur.