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Gesellschaft

Was die Ukrainer bei einem russischen Einmarsch tun würden

Daria Nynko
29. Januar 2022

Halten die Ukrainer eine russische Invasion für wahrscheinlich? Und wie viele von ihnen wären bereit, ihr Land zu verteidigen? Umfragen liefern teils erstaunliche Ergebnisse. Experten erklären das mit mehreren Faktoren.

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Russland Yelnya | Satellitenbild | Russisches Militär
Satellitenaufnahme von russischer Militärausrüstung in Jelnja bei Smolensk (November 2021)Bild: Maxar Technologies/AFP

Wegen des Aufmarsches russischer Truppen an den Grenzen zur Ukraine ist die Lage weiter angespannt und westliche Länder bemühen sich, den Kreml zu einer Deeskalation zu bewegen. Unterdessen betont die ukrainische Führung gegenüber der eigenen Bevölkerung, in naher Zukunft sei zwar nicht mit einer Invasion zu rechnen, doch die Bedrohung durch Russland sei real.

Diese Einschätzung teilt auch fast die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung. Laut einer Umfrage, die das Kiewer Internationale Institut für Soziologie (KIIS) vor einigen Tagen durchgeführt hat, halten 48,1 Prozent der Ukrainer die Gefahr einer Invasion für real. 39,1 Prozent glauben, es werde nicht zu einer Invasion kommen. Weitere 12,8 Prozent der Befragten habe noch keine Meinung oder wollten sich dazu nicht äußern.

Dem Institut zufolge haben sich die Einschätzungen der Ukrainer seit der letzten Umfrage Mitte Dezember kaum verändert. Damals sahen 49,2 Prozent eine reale Gefahr und 41,4 Prozent der Befragten gaben an, sie seien sich sicher, es werde keine Invasion geben.

"Der Glaube, Russland werde nicht angreifen, kann auf einer Vielzahl von Gründen beruhen: von Sympathie für Russland bis hin zu der Zuversicht, die Reaktion der Ukraine und der Weltgemeinschaft werde dies schon verhindern", sagt der stellvertretende Leiter des ukrainischen Rasumkow-Forschungszentrums, Mychajlo Mischtschenko, im Gespräch mit der DW. Ihm zufolge sind aber vor allem diejenigen, die meinen, eine Reaktion der Weltgemeinschaft könne Russland stoppen, zuversichtlicher, dass es keine Invasion geben wird. Der Experte weist zudem darauf hin, dass ein Teil der Ukrainer das Vorgehen des Kremls nur als Erpressung betrachtet.

Meinungsbildung über soziale Medien

Wolodymyr Paniotto, Generaldirektor des KIIS, glaubt, die öffentliche Meinung in der Ukraine bilde sich - wie auch anderswo - unter dem Einfluss bestimmter Informationen recht schnell, festige sich dann und verändere sich danach nicht mehr wesentlich. Menschen würden nach Quellen suchen, die ihnen ihre Meinung weiter bestätigen. Gerade solchen Quellen würden sie eher vertrauen.

Infografik: Russische Truppen an der Grenze zur Ukraine
Blau markiert - russische Truppen an der ukrainischen Grenze

"In der Ukraine hat die Zahl der Menschen, die das Internet und soziale Netzwerke nutzt, in den vergangenen zwei Jahren zugenommen. Jetzt hat sich diese Entwicklung noch verstärkt. Das liegt daran, dass soziale Netzwerke schnell sind und ihre Algorithmen darauf ausgerichtet, Menschen nur die Informationen zu liefern, die ihnen gefallen", so der Soziologe gegenüber der DW. Deswegen würden sich die Menschen in einer gewissen "Informationsblase" befinden. Dies würde ihre Einstellungen weiter zementieren, und diese dann zu ändern sei schwierig, erläutert Paniotto.

Einfluss auf die Meinungsbildung der Ukrainer könnten auch die Meldungen haben, wonach einige westliche Länder bereits Familienangehörige ihres Botschaftspersonals evakuieren. Manche Ukrainer, so Mychajlo Mischtschenko, würden dies als konkrete Maßnahmen der Länder zum Schutz ihrer Bürger begreifen, und andere nur als Vorsichtsmaßnahme. Vor diesem Hintergrund posten jedoch viele Ukrainer in sozialen Netzwerken vermehrt Tipps, etwa wie man einen "Notkoffer" richtig packt oder wie man sich im Falle eines Krieges verhalten sollte.

Vorbereitung auf Widerstand oder Flucht

Wolodymyr Paniotto meint, dass die Evakuierungs-Meldungen die Furcht vor einer Invasion unter der ukrainischen Bevölkerung verstärken könnten, was aber nicht bedeute, dass sich alle auf einen Angriff vorbereiten würden. "Natürlich werden Menschen, die die Gefahr für realistisch halten, sich stärker vorbereiten als diejenigen, die das nicht glauben", sagt der Experte. Aber wer welche Vorbereitungen treffe, hänge auch von Möglichkeiten ab. Manche würden, so Paniotto, einen Koffer packen, den man schnell mitnehmen könne, und andere hingegen würden vielleicht Waffen organisieren.

Dazu geben Ergebnisse einer Umfrage des KIIS vom Dezember Aufschluss. Damals fanden die Soziologen heraus, dass im Falle eines russischen Angriffs 33,3 Prozent der Ukrainer bereit wären, bewaffneten Widerstand zu leisten. 21,7 Prozent würden auf andere Weise, etwa durch Proteste, Widerstand leisten wollen. Damals gaben 14,8 Prozent der Befragten an, sie würden sich in eine sicherere Region des Landes zurückziehen und 9,3 Prozent würden ins Ausland fliehen. Nichts tun würden 18,6 Prozent der Ukrainer und 12,1 Prozent wussten noch nicht, was sie tun würden.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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