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Warum Homöopathie nicht wirkt und trotzdem hilft

12. Januar 2024

Bei Übelkeit oder Kopfschmerzen - Millionen Menschen greifen in solchen Fällen zu homöopathischen Mitteln. Obwohl es keinen Beweis für die Wirkung gibt, bleiben die Mittel beliebt. Woran liegt das?

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Glasflasche mit homöopathischen Globuli liegt auf einem Tisch.
Beim Placebo-Effekt ist das eigentliche Mittel wirkungslos. Es sind die positiven Erwartungen daran, die helfen können.Bild: Ingrid Balabanova/Zoonar/picture alliance

Der Absatzmarkt für homöopathische Mittel ist riesig: Nicht nur in Deutschland, auch in Nord- und Südamerika oder Indien greifen Menschen bei Magenbeschwerden, Kopf- oder Halsschmerzen zu homöopathischen Mitteln. In Frankreich erfreuen sie sich ebenfalls großer Beliebtheit, bis 2021 trugen die Kosten für die Kügelchen die Krankenkassen. 

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach möchte, dass Deutschland es dem Nachbarland Frankreich gleichtut: Wer auf die sogenannten Globuli nicht verzichten möchte, soll sie in Zukunft selbst zahlen. 

Was genau bedeutet Homöopathie?

Eine Grundlage der homöopathischen Behandlung ist das Prinzip der Ähnlichkeit: Substanzen, die bei Gesunden bestimmte Symptome hervorrufen, können ähnliche Symptome bei Kranken heilen. "Ähnliches mit Ähnlichem heilen" - dieser Grundsatz geht auf den Urvater der Homöopathie Samuel Hahnemann (1755-1843) zurück. Der Begriff Homöopathie setzt sich aus den griechischen Wörtern für "ähnlich" und "Leiden" zusammen.

Da Substanzen wie beispielsweise die Tollkirsche in Reinform hochgiftig wären, werden sie Erkrankten in stark verdünnter Form verabreicht. Pflanzen oder Mineralien werden gemahlen und mit Wasser oder Alkohol vermischt. Ein Teil dieses Gemischs wird erneut verdünnt, ein Teil davon wieder und so weiter. 

Hahnemann entwickelte eine spezielle Verdünnungs- und Schüttelmethode, das sogenannte Potenzieren und Dynamisieren. Dabei gilt: je stärker verdünnt, desto stärker die Heilungsreaktion des Patienten. Und das, obwohl der ursprünglich vorhandene Wirkstoff am Ende der Prozedur kaum bis gar nicht mehr vorhanden ist. Die umstrittene These lautet: Das zur Verdünnung genutzte Wasser habe ein Gedächtnis, das sich an die Eigenschaften und Wirkung der Ursprungssubstanz erinnern könne.

Häufig wird der so hergestellte homöopathisch potenzierte Wirkstoff auf kleine Kugeln aus Zucker gesprüht. Diese Globuli sind eine der beliebtesten Darreichungsformen der Homöopathie. Vom Erkrankten geschluckt, sollen sie die körpereigenen Selbstheilungskräfte aktivieren und das durch die Krankheit aus dem Gleichgewicht geratene System des Betroffenen wieder ins Lot bringen.

Wie wirkt Homöopathie?

Es gibt zahlreiche Studien, die die Homöopathie und ihre Wirkung bei unterschiedlichen Beschwerden untersucht haben. Einzelne Studien haben nur eine geringe Aussagekraft. Deshalb liefern Metaanalysen, die viele Studien einbeziehen, zuverlässigere Antworten. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 1997, die im Fachmagazin "Lancet" erschien, untersuchte 89 Einzelstudien. Das Fazit der Forschenden lautete damals: allein auf den Placebo-Effekt sei der klinische Effekt der Homöopathie nicht zurückzuführen.

Es ist dieser Satz, den Homöopathen bis heute als Beleg dafür anführen, dass Globuli und Co. doch wirksam seien. Ignoriert wird dabei geflissentlich das nachfolgende, stark relativierende Statement der Forschenden: Es gebe keine ausreichenden Belege dafür, dass die Homöopathie bei einzelnen Beschwerden eindeutig wirksam sei.

Eine andere Metaanalyse von 2017, die im Fachmagazin "Systematic Review" erschien, schaute sich ausschließlich Doppelblindstudien an, bei denen weder die Probanden noch die Mediziner wissen, ob sie ein homöopathisches Mittel oder ein Kontrollpräparat in der Hand halten. Doppelblindstudien gelten als besonders zuverlässig und aussagekräftig. Das Ergebnis war auch hier: keine Wirkung bei einzelnen Krankheiten. 

Eine grundsätzliche Kritik der Forschenden lautet: Die Qualität vieler Studien lässt zu wünschen übrig. Das National Health and Medical Research Council in Australien publizierte 2015 die Ergebnisse eines Ausschusses, der sich mit der Studienlage zur Homöopathie befasst hatte. Das Ergebnis: Je schlechter die Qualität der Studie, desto besser schnitt die Homöopathie ab. 

"Die Argumente der Homöopathie sind wie auf Sand gebaut", sagt die deutsche Ärztin Natalie Grams im englischsprachigen DW-Podcast "Don't drink the milk". Grams hatte ihre Patienten jahrelang mit voller Überzeugung homöopathisch behandelt. Sie wollte schließlich ein Buch über Homöopathie schreiben und arbeitete sich in die Studienlage ein. Heute ist Natalie Grams eine der prominentesten deutschen Kritikerinnen der Homöopathie. Dennoch sagt sie, die Homöopathie biete etwas, das die moderne Medizin oft vermissen lasse.

Warum glauben Menschen an Homöopathie?

"In der modernen Medizin sind wir oft bloß eine Nummer unter vielen und fühlen uns nicht gut genug behandelt", sagt Grams. Wer schon mal beim Homöopathen oder anderen sogenannten alternativmedizinisch Behandelnden war weiß: Hier nimmt sich jemand Zeit, hört mir zu, geht auf mich als Individuum mit all meinen Sorgen und Ängsten ein. 

Das ist keine Kleinigkeit, sondern hat einen nachweislich positiven Effekt auf den Behandlungserfolg, weiß auch Ulrike Bingel, Professorin für Neurologie am Universitätsklinikum in Essen. Einer der Schwerpunkte der Neurowissenschaftlerin ist die Schmerz- und Placebo-Forschung. "Der Placebo- oder auch Erwartungseffekt wird in der Medizin nicht nur unterschätzt, sondern auch nicht systematisch genutzt." Das sei etwas, dass sich von der Homöopathie lernen ließe.

Was ist der Placebo-Effekt?

"Unter einem Placebo ist eine Behandlung oder ein Medikament zu verstehen, das keine intrinsische Wirkung hat", erklärt Bingel. Man könnte auch sagen: Es ist wirkungslos. Eine Tinktur aus reinem Wasser, eine Tablette aus Milchzucker oder eben homöopathische Globuli - ein Placebo selbst lindert keine Beschwerden.

Vielmehr ist der sogenannte Placebo-Effekt der Grund, weshalb sich Symptome nach der Einnahme von Globuli dennoch verbessern - also die eigene positive Erwartung, mit der Menschen die Kügelchen schlucken. Diese Erwartung stärken die Homöopathen und Homöopathinnen durch ihre empathische Zuwendung. Sie wird laut Bingel außerdem durch die positiven Geschichten unserer Verwandten, Bekannten und Freunde aufgebaut, die uns mit ihren persönlichen, guten Erfahrungsberichten Mut machen. 

"Treibende Kraft ist also nicht das Placebo selbst, sondern die positive Erwartung, die Menschen mit der Einnahme verknüpfen", sagt Bingel. Der Placebo- oder Erwartungseffekt komme auch bei der Einnahme echter Medikamente zum Tragen, so Bingel. "Selbst nach schweren Eingriffen wie nach einer Herzoperation gibt es diesen positiven Effekt, sobald sich die behandelnden Ärzte den Patienten zuwenden, gut und empathisch kommunizieren."

Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern wird intensiv zum Placebo-Effekt geforscht. Einer der renommiertesten Placebo-Forscher ist Ted Kaptchuk, Professor für Medizin an der Harvard Medical School in Boston. Trotz all der positiven Auswirkungen des Placebo-Effektes, gibt Kaptchuk in einem Artikel zu bedenken: "Placebos können dazu führen, dass Sie sich besser fühlen, aber sie werden Sie nicht heilen."

"Wir brauchen die Homöopathie nicht als Therapie. Das theoretische Konzept ist Mumpitz und widerspricht jeder wissenschaftlichen Erkenntnis", sagt Bingel. "Aber es gibt viele Aspekte des gelebten Behandlungskonzeptes, die dringend in die evidenzbasierte Medizin integriert werden sollten." Mehr Zeit, bessere Kommunikation und individuellere Therapien. Zwar finde langsam ein Umdenken statt, so die Neurowissenschaftlerin. "Aber da ist noch viel Luft nach oben."

 

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.