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Bayreuth 2.0

24. Juli 2011

Heutzutage beherrscht das Internet den Alltag. Hätte Richard Wagner unter diesem Vorzeichen sein Festspielhaus wohl noch einmal aus Stein und Mörtel gebaut oder es einfach virtuell errichtet? Eine Bestandsaufnahme.

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Multimedia Auge (Foto: Fotolia/Kobes)
Bild: Fotolia/Kobes

Wagner war zu seinen Lebenszeiten eindeutig das, was man heute einen Zukunftsfreak nennen würde. "Kinder, macht Neues!" ist daher bis heute sicher auch einer seiner bekanntesten Ausrufe geblieben. Die Visionen vom eigenen Theater nur für seine Werke und vom unsichtbaren Orchester hat er zu Lebzeiten verwirklicht; den bayerischen Staat sowie andere Sponsoren hat er damit übrigens in entsprechende finanzielle Engpässe getrieben.

Wagner: der erste Netzwerker?

Das heutige Medium Internet hätte ihn insofern auch vor dem Hintergrund der Geldgenerierung begeistert. Der "Netzwerker" und Kommunikationstitan Richard Wagner - immerhin existieren noch circa 10.000 seiner Briefe - hätte es ebenso geliebt, seinen Freunden und Gönnern per E-Mail Druck machen zu können oder seine Werke und Ideen auf Knopfdruck um den Globus zu schicken. Seine seidene Unterwäsche hätte er vermutlich bei einem Online-Händler bestellt. Kurzum: Das Internet wäre sein Medium gewesen.

Richard Wagner / Stahlstich von 1883 (Foto: picture-alliance/akg-images)
Kommunikationstitan WagnerBild: picture-alliance/akg-images

Mit etwas Phantasie kann man Wagners seilspinnende Nornen in der "Götterdämmerung" vielleicht auch schon als frühen Hinweis auf spätere Webmaster im Internet deuten, aber auch ansonsten versteht der "Meister" es wie kaum ein anderer, seine Jünger weltweit in Foren und newsgroups zu versammeln. Es gibt harmlose, eher informative Foren wie http://wagneropera.net, die eine Art liebevolles Rundum-Sorglos-Paket zum Thema "Wagner" bieten. Aber Wagner wäre nicht Wagner, wenn seine Anhänger ihrem Idol lediglich in trauter Einigkeit huldigen würden.

Digitale Anarchie

Im Forum des Nordbayerischen Kuriers etwa (http://forum.festspiele.de) wird sich auch außerhalb der Festspielzeit das ganze Jahr über schlimmer verbal geprügelt als im zweiten Aufzug der "Meistersinger". Unter eher harmlos klingenden Namen wie Dino, Franz oder Lobesam führt man mitunter hochpolemische Diskussionen, die schnell vergessen lassen, dass es ja eigentlich "nur" um einen fast 200-jährigen Komponisten und seine Hinterlassenschaft geht.

Beim Lesen verdrängt man sofort, dass es sich um ein Fan-Forum handelt und glaubt bald, dass hier direkt die Schicksale der Bayreuther Festspiele verhandelt würden. Der Ton ist rau, und die moderierenden Mitarbeiter des Nordbayerischen Kuriers sind nicht immer erfolgreich beim Versuch, die digitale Anarchie im Forum zu verhindern.

Der Tarnhelm ist heute digital

Symbolbild Blog (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Bild: DW

Schon zu Lebzeiten Wolfgang Wagners versuchten Forumsmitglieder nachzuweisen, dass sich im Grunde die ganze Festspielleitung unter entsprechenden Tarnhelmen im Forum trollen würde – so wie einst Alberich in Wagners "Ring". Immer wieder tauchen neue Dechiffrierversuche auf, die enthüllen sollen, unter welchen Decknamen Katharina und Eva Wagner oder Christian Thielemann, der musikalische Berater der Festspiele, im Forum unterwegs sind. Auf direkte Nachfrage verneinte man dort zwar eine Aktivität im Forum, konnte aber mit "Dino" oder "Franz" durchaus einige Details verbinden und bestätigte den hohen Unterhaltungswert dieser leidenschaftlich geführten Diskussionsrunde.

Nicht mehr hausbacken

Hatte die Festspielleitung vor einigen Jahren noch nicht einmal ein Faxgerät, macht die neue Generation vieles anders, zumindest in technischer Hinsicht. Katharina Wagner kommuniziert wie selbstverständlich via iPhone und Facebook, und selbst die einst sehr hausbackene Homepage der Festspiele hat sich multimedial gemausert: http://www.bayreuther-festspiele.de.

Früher hatte sie den nüchtern informativen Charme der wöchentlichen Supermarkt-Werbung, heute machen eine virtuelle Hausführung und Video-Blogs wie http://podcast.bfmedien.de/MEDIA/163/320x180.mp4 schon während der Festspiele Appetit, sich langsam einmal für ein paar Tickets zu bewerben (ab Herbst auch erstmals online). Mit etwas Glück kann man dann im Jahr 2022 live am Grünen Hügel dabei sein.

Der Grüne Hügel auf dem heimischen Schreibtisch

ARCHIV - Das Festspielhaus auf dem "Gruenen Huegel" in Bayreuth, Bayern, aufgenommen am 28. Aug. 2008. Einen Tag vor der Premiere ist der Tarifkonflikt bei den Bayreuther Festspielen so gut wie beendet. Nachdem sich die Gewerkschaft ver.di und die Leitung der Festspiele am Donnerstagabend, 23. Juli 2009, auf den ersten Tarifvertrag fuer die rund 170 Buehnentechniker geeinigt hatten, stand am Freitag nur noch die Unterschrift des Verwaltungsrates aus. (AP Photo/Eckehard Schulz) ** zu APD4484 ** -- A general view of the festival opera house in Bayreuth, Germany, during a break of the Persifal opera performance on Thursday evening, Aug. 28, 2008. Trumpets blasted and actors, musicians and artists applauded as Wolfgang Wagner bid farewell Thursday to the Bayreuth opera festival founded by his grandfather, Das Festspielhaus auf dem "Gruenen Huegel" in Bayreuth im Abendlicht (AP Photo/ Eckehard Schulz)
Festspielhaus mal virtuell?Bild: AP

Wer nicht so lange warten will, kann sich die Festspiele auch erst einmal probehalber ganz bequem nach Hause bestellen. Im Sinne des Wagnerschen Gesamtkunstwerks ist eine solche Entwicklung sicher genau das, was Richard Wagner begeistern würde: Sein Festspielhaus auf dem Grünen Hügel findet nun auch auf dem kleinsten Schreibtisch oder auf den Knien jedes Notebook-Besitzers Platz. Dass man von Anchorage bis Adelaide Live-Übertragungen seiner Opern zu sozialverträglichen Preisen beziehungsweise sogar gratis genießen kann, wäre genau das, was dem visionären Komponisten vorgeschwebt hätte.

Als Live-Stream kann man in diesem Jahr am 14. August "Lohengrin" am heimischen Rechner erleben (https://live.bfmedien.de/pre.html) und sogar am Pausenprogramm und interaktiver Diskussion teilnehmen. Die Preise hat man, verglichen mit den Jahren zuvor, angenehm nach unten korrigiert. Für 14,90 € bekommt man am Hügel mit etwas Glück gerade mal die obligatorischen Pausenbratwürstchen mit Getränk. Im Shop der Festspiele (http://shop.bayreuther-festspiele.de/accessoires/) kann man für günstige 2,50 € auch noch das Fan-Paket dazu erwerben - und fertig ist das heimische Festivalvergnügen.

Für die Profis

Wagner Partitur unter der Lupe (Foto: AP Photo/Diether Endlicher)
Partituren kann man heute im Netz studierenBild: AP

Wer sich professionell auf diese Übertragung vorbereiten will, findet in der Petrucci-Musikbibliothek (http://imslp.org/wiki/Hauptseite) alle Wagner-Partituren, Klavierauszüge und knapp 100.000 weitere Notenausgaben anderer Komponisten sowie einige tausend Musikkonserven gratis zum Download. Bei Simfy (www.simfy.de) kann man zudem ebenfalls kostenfrei und vollkommen legal jede Menge Original-CDs der Major-Labels wie SONY, Universal, Warner und EMI komplett anhören; die Auswahl an Wagner-Gesamtaufnahmen aus Bayreuth ist dabei sehr beachtlich.

Aber auch derjenige, der sich so sein virtuelles Festspielhaus auf dem heimischen Schreibtisch errichtet, wird früher oder später zu Nietzsches Erkenntnis kommen: "Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und fragen uns, wie wir es nur irgendwo anders aushalten konnten."

Autor: Stefan Mauß
Redaktion: Suzanne Cords