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Vor dem Rostocker Schicksalsparteitag

Jens Thurau22. November 2001

Am kommenden Wochenende werden die Grünen in Rostock ihren Parteitag abhalten. Und dabei geht es um nicht weniger als die Zukunft der rot/grünen Bundesregierung.

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Klarheit in der Sache und ein bisschen Massage für die Parteiseele. Das ist, verkürzt gesagt, die Marschroute der Führungsspitze der Grünen für den am Samstag (24.11.) beginnenden, weichenstellenden Parteitag in Rostock. Stimmen die Grünen dort der Bereitstellung von deutschen Soldaten im Afghanistan-Krieg nicht zu, dann ist die rot-grüne Koalition beendet.

Schon vor gut einer Woche hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensabstimmung im Bundestag mit der Frage des militärischen Engagements verknüpft, die grüne Fraktion folgte dem Kanzler mehrheitlich. Die Grünen wissen also, was auf dem Spiel steht. Andererseits ist die Partei aus der Friedensbewegung heraus entstanden. Ein Großteil der fast 50 Anträge zum Thema Afghanistan fordert eine Absage an die US-Angriffe und eine Beendigung der Koalition. Der Antrag des Bundesvorstands - am Donnerstag (22.11.) von Bundesgeschäftsführer Bütikofer vorgestellt - versucht nun, Brücken zu schlagen, auch wenn die Ufer weit entfernt voneinander liegen. Der Antrag akzeptiert den möglichen Bundeswehreinsatz, respektiert aber ausdrücklich abweichende Meinungen. In der Not zusammen halten, lautet das Motto. Für Bütikofer geht es darum, die Partei auf einer gemeinsamen Grundlage zusammen zu führen. Und für diese Grundlage suche man eine möglichst große Mehrheit.

Keiner der rund 800 Delegierten werde unter Druck gesetzt, meinte Bütikofer. Die Losung, wer die Koalition fortsetzen wolle, müsse zwangsläufig auch der Bundeswehrentsendung zustimmen, gebe es so nicht. Die Delegierten könnten zwischen zahlreichen Anträgen wählen und hätten ausreichend Zeit für Diskussionen. Da hatte sich am Montag Parteichefin Claudia Roth noch deutlicher geäußert: Aus ihrer Sicht würde eine Ablehnung dessen, was die Bundestagsfraktion beschlossen hat, auf das Ende der rot/grünen Koalition hinauslaufen.

Ein Angebot zur Integration nennt die Parteispitze den nun vorliegenden Antrag. Er lobt die Erfolge der Regierung im Klima- und Umweltschutz, beim Staatsbürgerschaftsrecht und der gleichgeschlechtlichen Ehe. Den Grünen ist klar, dass sie der Bundeswehrentsendung zustimmen müssen, dass sie hier keine Wahl haben. Der Rest ist Psychologie. Streitbar zu sein, war immer eine grüne Tugend. Streitbar, offen, zukunftsfähig - lautet auch das Motto des Parteitages. Aber im Wahrheit sollen nun in erster Linie die Reihen geschlossen werden.

Die aktuelle Entwicklung rund um den Kriegsschauplatz Afghanistan helfen den grünen Regierungspolitikern bei ihrer Argumentation. Das Taliban-Regime ist so gut wie besiegt, Deutschland - genauer Bonn - wird ab Montag (26.11.) Schauplatz einer UN-Konferenz über die Zukunft Afghanistans sein. Gastgeber: Außenminister Joschka Fischer. Undenkbar, dass ein paar Stunden zuvor die eigene Partei dem Minister die Gefolgschaft verweigert. Auch der große Parteipatriarch hat der neuen Versöhnungslinie seinen Segen gegeben, wie Bütikofer bestätigte. Fischer habe den Vorstand wissen lassen, dass er das vorliegende Papier für einen "guten Antrag" halte.

Fazit: Wahrscheinlich werden die Grünen den Rostocker Parteitag als Regierungspartei überstehen, auch wenn die Basis leidet. Das grüne Schicksal entscheidet sich dann aber endgültig bei der Bundestagswahl in einem Jahr.