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Vom Skiadler zur Bleiente

Aarni Kuoppamäki28. Dezember 2006

Bei der Vierschanzentournee im Skisprung gelten bisher unbekannte Talente als Favoriten. Oft verglühen solche Skisprung-Stars wie Sternschnuppen. Wie auch in Deutschland, wo der Sport mächtig in der Krise steckt.

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Ein Skispringer in V-Stellung als Schatten vor Flutlicht
Für manch einen Skisprung-Sieger gehen vorzeitig die Lichter ausBild: AP

Der Österreicher Georg Schlierenzauer ist 16 Jahre alt und Schüler. Der Norweger Anders Jacobsen ist 21 und arbeitete noch im Sommer Vollzeit als Klempner. Beide springen sie ihre erste Profi-Saison und zählen zu den Favoriten bei der 55. Vierschanzentournee, die am Wochenende (29. bis 30.12.06) in Oberstdorf beginnt. Der Finne Toni Nieminen war auch mal so ein Talent. 1992 gewann er im Alter von 16 Jahren die Vierschanzentournee, die Olympische Goldmedaille und den Gesamtweltcup. "Als 16-Jähriger konnte man doch nicht verstehen, was man da machte", sagt Nieminen, inzwischen 30-jährig. "Man ist einfach nur gesprungen und hat gelebt. Zwischendurch fühlte man sich gezogen wie ein Schaf an der Schnur." Nach dem Erfolgsjahr konnte Nieminen in seiner Karriere nur noch ein einziges Springen gewinnen.

Man nennt sie Adler, aber sie fliegen nicht

Sven Hannawald (klein und hell) fliegt vor Publikum (groß und dunkel)
Sven Hannawald machte Skispringen massenfähigBild: AP

So wie Nieminen ergeht es vielen Skispringern: Auf eine kurze goldene Zeit folgt der Absturz. Um die Jahrtausendwende gewannen die deutschen 'Ski-Adler' Martin Schmitt und Sven Hannawald regelmäßig Wettbewerbe, zuletzt kämpften sie um einen Platz unter den ersten zehn. Als Hannawald 2002 als erster Sportler alle Springen der Vierschanzentournee gewinnen konnte, erreichte ein Skisprung-Boom in Deutschland seinen Höhepunkt. Zwei Jahre später wurde bei Hannawald das Burn-Out-Syndrom diagnostiziert, vergangenen Sommer beendete er seine Karriere. Martin Schmitt, der 1999 und 2000 den Gesamtweltcup gewonnen hatte, wartet seit vier Jahren auf einen Sieg. "Die Siegeszeiten sind vorbei", sagt nun Skisprung-Nationaltrainer Peter Rohwein. "Es ist unrealistisch, dass einer aus unserem Team bei der Tournee vorne dabei ist".

Auch der Österreicher Andreas Goldberger konnte nicht an die Erfolge aus jungen Jahren anknüpfen. Von 1992 bis 1996 dominierte er die Skisprung-Welt und gewann drei Mal den Gesamtweltcup. Danach konnte er in zehn Jahren nicht einen Einzelwettbewerb für sich entscheiden. "Skisprung ist eine so unfassbar technische Sportart, bei der so unfassbar kleine Dinge das Ergebnis bestimmen", sagt Toni Nieminen. "Da ist der Absturz eine Berufskrankheit. Es braucht nur eine Kleinigkeit schief zu gehen, schon steckt man in großen Schwierigkeiten." Ist der Rhythmus einmal verloren, findet kaum ein Springer ihn wieder. Sportler wie Jens Weißflog, die ihr Leistungsniveau wieder finden, sind selten.

Schwindendes Interesse

Toni Nieminen springt Ski
Nieminen, der das Siegen verlernte, ist nicht verbittertBild: AP

Für den Skisprung in Deutschland hat der Absturz der Stars schwerwiegende Folgen, denn das Interesse der Zuschauer schwindet. Schauten im Jubeljahr 2001/02 noch durchschnittlich 9,57 Millionen Zuschauer die Finaldurchgänge der Vierschanzentournee, waren es 2005/06 noch 5,48 Millionen. Der Marktanteil der Skisprung-Übertragungen des Privatsenders RTL sank um fast 20 Punkte auf 28 Prozent. "Das ist immer noch eine sehr gute Quote", sagt RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer. Aber ob RTL mit den Werbeeinnahmen noch Gewinn macht, ist fraglich. Denn für die Übertragungsrechte zahlt RTL dem deutschen Skiverband schätzungsweise 14 Millionen Euro pro Jahr.

Nach der laufenden Saison läuft der Vertrag aus, die Folgeverhandlungen versprechen dem Verband nichts Gutes. "Das, was einmal gezahlt worden ist, wird nicht mehr möglich sein", sagt Bolhöfer. "Die Verhandlungssituation hat sich grundlegend verändert, und das hängt auch mit den sportlichen Leistungen zusammen." Geringere Einnahmen bedeuten geringere Mittel für Training und Jugendarbeit, das kann sich wiederum negativ auf die Leistungen niederschlagen – ein Teufelskreis deutet sich an. Die Zukunft des Skisprungs in Deutschland steht auf dem Spiel, und der Druck auf die Sportler steigt.

Peter Siegel vom Fachportal "skispringen.com" bestätigt einen "gewaltigen Einbruch" der Nutzerzahlen in Deutschland, seitdem die Ski-Adler nicht mehr fliegen. Die Talsohle sei allerdings Anfang des Jahres überschritten worden, inzwischen gehe es sogar wieder aufwärts. "Die Erwartungshaltung unter den Fans ist nicht mehr so hoch", sagt Siegel. "Wenn jetzt ein Deutscher unter die ersten zehn kommt, ist das schon ein Erfolg. Man hofft auch wieder auf Martin Schmitt, denn seine Leistungen sind zuletzt gestiegen." Und wenn ein Springer nicht mehr zurückkommt? "Das eine Jahr, das ich hatte, war eines, wie wenige Sportler es erleben", sagt Toni Nieminen. "Da muss man schon mit zufrieden sein und glücklich, dass man das erlebt hat. Trotz allem geht es doch einzig und allein um Sport. Das ist nicht alles im Leben."