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Politik

Vom Schamanen, der Putin vertreiben wollte

Juri Rescheto
20. September 2019

In Sibirien soll ein Kreml-kritischer Schamane festgenommen worden sein. Er war zu Fuß nach Moskau unterwegs, um Putin zu stürzen. Dann, sagen seine Anhänger, sei er mitten in der Nacht verschleppt worden.

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DW-Karikatur von Sergey Elkin - Festnahmen in Russland
Putin auf der Kreml Mauer blickt ängstlich auf ein riesiges Schamanen-Tamburin am Horizont

Gegen vier Uhr morgens soll es geschehen sein - in der Nähe von Wydrino, einem Dorf im Oblast Burjatien am Baikalsee: "Dutzende Männer stürmten das Lager. Sie rannten ins Zelt von Alexander, überwältigten ihn. Sie waren mit Maschinengewehren und Schlagstöcken bewaffnet. Die Männer schleppten ihn in ihr Auto und fuhren davon." So beschreibt im Internet ein mutmaßlicher Augenzeuge, was sich in der Nacht ereignet haben soll. Bei dem genannten Alexander soll es sich um Alexander Gabyschew handeln, einen selbsterklärten Schamanen mittleren Alters aus Jakutien.

Die Region in Mittelsibirien ist fast so groß wie Indien, aber es leben dort nur eine Million Menschen. Der Glaube an außerirdische Geister ist dort zwar weit verbreitet, die Namen der einzelnen Schamanen aber sind den Gläubigen außerhalb der Region kaum bekannt. Nicht so bei Alexander Gabyschew. Der selbst ernannte Geistliche erlangte russlandweite Bekanntheit, weil er Präsident Wladimir Putin aus dem Kreml vertreiben will. Fest entschlossen Putin zu stürzen, ist Gabyschew vor ein paar Monaten aufgebrochen - von Jakutsk nach Moskau. Zu Fuß. In den achteinhalbtausend Kilometer entfernten Kreml.

Krieger, Schamane oder beides?

Immerhin soll es der Schamane bereits bis zum Baikalsee in die benachbarte Region Burjatien geschafft haben. Begleitet von ein paar treuen Fans und Tausenden Nutzern im Netz. In Burjatien angekommen, stieß der Jakute allerdings auf den Widerstand seiner geisterbeschwörenden Kollegen. Andere Schamanen versperrten Gabyschew den Weg und warfen ihm vor, kein richtiger Schamane zu sein: Ein Schamane sei niemals ein Krieger!

Russland - Single Voting Day in Ulan-Ude
Ulan-Ude, Hauptstadt von Burjatien: Hierher, sagen seine Anhänger, hätten die Behörden Gabyschew gebrachtBild: picture-alliance/dpa/A. Ogorodnik

Dieser Meinung ist auch der Ethnologe Anatolij Alexeew von der Nordöstlichen Föderalen Universität Jakutsk. Im Gespräch mit der DW kritisiert der Forscher den umstrittenen Geistlichen: "Ein richtiger Schamane posaunt nicht herum, dass er ein Schamane ist. Er brüstet sich damit nicht. Ein richtiger Schamane ist ruhig und mischt sich nicht in die Politik ein."

Das stört offenbar nicht jeden, denn immer mehr Menschen begleiteten Alexander Gabyschew auf seinem Weg nach Moskau, begeistert von dessen Kritik an Präsident Putin. Mitte Juli kamen mehrere Hundert zu seiner Protestdemo in Tschita. Dort rief der Schamane dazu auf, Volksverbände zu gründen, um neue Gesetze zu beschließen. "Denkt dran, Putin ist nicht der liebe Gott!” - mit diesem Spruch beendete der kriegerische Schamane seine Rede.

Eine schwere Prüfung

Ob der selbst ernannte Putin-Bekämpfer den Behörden zu einflussreich wurde? Die burjatische Polizei bestätigte jedenfalls inzwischen die Festnahme eines Mannes, Jahrgang 1958 "im Auftrag der Ermittlungsbehörde". Ihm wird ein Verbrechen auf dem Territorium der Republik Sacha vorgeworfen. Das ist die offizielle Bezeichnung von Jakutien, der Heimat und Wirkungsstätte von Gabyschew.

"Der Schamanismus wird immer populärer in Sibirien. Der Schamane ist schließlich ein Verbindungsmann zwischen Geistern und Menschen", erklärt der Politologe Konstantin Kalatschew. "In Jakutien wird die Meinung des Schamanen ernst genommen. Offenbar auch von den Behörden. Wenn man ihn nicht ernst nehmen würde, könnte man ihn einfach auslachen oder für psychisch krank erklären."

Im Fall von Gabyschew ist Kalatschew allerdings überzeugt, dass eine Festnahme dem Schamanen eher nutzen als schaden würde: "Der Schamane wird durch schwere Prüfungen gestärkt. Die Behörden machen gerade Werbung für ihn und ihn selbst bekannter und mächtiger, als er ist. Das Resultat könnte genau das Gegenteil vom angestrebten Ziel sein."

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga