Vom Bleistift zum Nobelpreis
5. Oktober 2010"Wir wissen noch nicht, wofür man Graphen wirklich anwenden kann. Aber ich hoffe, dass es genauso unser Leben verändern kann wie Plastik", sagte Andre Geim kurz nach der Bekanntgabe. Er und sein Kollege Konstantin Novoselov von der Universität Manchester haben am Dienstag (05.10.2010) den Physiknobelpreis erhalten, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften mitteilte.
Die Experten des Nobelkomitees waren sich hinsichtlich der Bedeutung der Entdeckung des Stoffes Graphen anscheinend sicherer als der Erfinder selbst: "Die elektronische Struktur von Graphen ist einzigartig und wunderschön. Es ist 100 Mal so kräftig wie Stahl", sagte Per Delsing vom Komitee. Der Nobelpreis ist die höchste Auszeichnung für Physiker und mit umgerechnet rund einer Million Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.
Das Super-Material
Der Wunderstoff Graphen ist deshalb so interessant, weil die Kristalle, aus denen er besteht, nur eine einzige Lage Kohlenstoff-Atome besitzen. Es ist somit ein extrem dünnes Material, das trotzdem unheimlich hart ist. Wie ein Maschendrahtzaun sieht die Graphen-Struktur in der Vergrößerung aus. Das extrem stabile Gebilde eignet sich auch sehr gut als Leiter für Strom und Wärme, verspricht zahlreiche Innovationen in der Halbleiter-, Sensor- und Display-Technologie und könnte somit für transparente Touchscreens, Leuchtschilder und vielleicht auch Solarkollektoren eingesetzt werden.
Andre Geim genügten zur ersten Graphen-Entwicklung im Jahr 2004 in seinem Labor einst Klebeband und Bleistift: Er hob einzelne Graphitschichten eines Bleistiftstriches mit dem Klebeband ab, bis die wabenartige Struktur des Graphen entstand. Gerade große Elektronikkonzerne versuchen den Herstellungsprozess nun voranzutreiben, doch die Graphen-Herstellung in großen Mengen ist noch schwierig.
"Man muss prinzipiell mit solchen Hypes immer vorsichtig sein. Weil es gibt viele Materialien, die schon als Wundermaterial gehandelt wurden und dann nicht das gehalten haben, was versprochen wurde", meint der Graphen-Experte Thomas Seyller. Aber er sei zuversichtlich, dass das Graphen seinen Weg in die Anwendung finden werde "und in der Zukunft im Bereich der Elektronik eine wichtige Rolle spielt." Dafür sprechen auch die zahlreichen Preise, die Geim bereits erhalten hat. Erst 2009 ist er dafür mit dem Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft ausgezeichnet worden.
Zwei Physik-Genies
Der 51-jährige Andre Geim wurde 1958 in Sotschi geboren und studierte Physik in Moskau. 1987 promovierte er am Institut für Festkörperphysik in Tschernogolowka und ging anschließend für Forschungsaufenthalte nach England und Dänemark. 1994 wurde er Associate Professor an der niederländischen Universität Nijmegen. Seit 2001 ist Geim Physikprofessor an der University of Manchester wie auch sein Kollege Konstantin Novoselov. Der 36-Jährige schloss 1997 sein Studium am Moskauer Institut für Physik und Technologie "cum laude" ab. Von 1997 bis 1999 forschte er am Institut für mikroelektronische Technologie in Tschernogolowka. Auch er ging in die Niederlande und arbeitete von 1999 bis 2001 an der Radboud-Universität Nijmegen.
Am Mittwoch geht die Nobelpreisvergabe weiter - in der Disziplin Chemie. Dann folgen Literatur und Verdienste für den Frieden. Die Preisverleihung findet alljährlich am 10. Dezember statt, an Alfred Nobels Todestag. Der Träger des erst später gestifteten Wirtschaftsnobelpreises wird erst am 11. Oktober bestimmt. Diese Auszeichnung wurde 1968 von der Schwedischen Reichsbank im Einvernehmen mit der Nobel-Stiftung geschaffen.
Autor: Nicole Scherschun (dpa, ap, afp)
Redaktion: Thomas Grimmer