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"Ein Rechtsruck stellt immer Kultur in Frage"

Meike Krüger
2. September 2019

Er gehört zu den profiliertesten Regisseuren, seine Filme haben oft mit deutscher Geschichte zu tun. Im DW-Interview erklärt Volker Schlöndorff, warum die Kultur durch die AfD genauso gefordert ist wie die Politik.

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Veranstaltung "Africa on the Rise" der DW Akademie
Bild: DW/Jan Roehl

Volker Schlöndorff: "Eines der Programme ist ja: Wir brauchen keine Kultur"

Volker Schlöndorff wurde 1939 in Wiesbaden geboren. Der Regisseur und Oscar-Preisträger gilt als hochintelligenter Profi auf dem Regiesessel und hat sich in seinen Filmen immer wieder mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen "Die Blechtrommel", "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", "Tod eines Handlungsreisenden", "Die Stille nach dem Schuss" oder auch die "Rückkehr nach Montauk". DW-Reporterin Meike Krüger traf Volker Schlöndorff in Potsdam zum Interview.

DW: Wie geht es Ihnen mit den Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg?

Volker Schlöndorff: Das Erschrecken ist nach wie vor da. Auch ein vorhergesehenes Erschrecken bleibt ja immer noch erschreckend. Es sind durch die erhöhte Wahlbeteiligung sehr viele Stimmen zur AfD gekommen, das heißt Leute, die sonst nie wählen gehen, sind diesmal zur Wahl gegangen, um zu protestieren. 

Ich dachte erst, das sei eine wunderbare Nachricht: Viel mehr Leute gehen jetzt wählen, beteiligen sich aktiv an der Demokratie und interessieren sich endlich wieder für Politik, auch jüngere. Pustekuchen! Die sind nur gegangen, um gegen alles zu protestieren.

Was glauben Sie, woran das liegt?

30 Jahre nach der Wende sind das doch alles Leute, die die DDR gar nicht mehr miterlebt haben. Die sehnen sich nach einem Mythos.

Wieso konnte die DDR zu einem Mythos werden? Wieso konnte es überhaupt Ostalgie geben? Wieso konnte man diesem Unrechtsstaat überhaupt nachtrauern? Wie kann man heute sagen, das war alles besser? Da ist das Wort "Zurückgebliebene" in seinem doppelten Sinn doch anzuwenden.

Junge trommelt auf einen Blechtrommel
Die Literaturverfilmung "Die Blechtrommel" (1979) machte Volker Schlöndorff weltbekannt und brachte ihm einen Oscar einBild: Imago/AGD

Sie haben als Regisseur selbst Filmgeschichte geschrieben. Sie haben deutsche Geschichte selbst erlebt und in Ihren Filmen zum Teil auch abgebildet. Was glauben Sie denn, wo wir gerade stehen in Deutschland?

Wir stehen, wie die ganze Welt, vor einer gewaltigen Veränderung durch die Globalisierung. So hat man anfangs darüber gesprochen. Das ist ein Begriff für die Wirtschaft. Aber mich betrifft das ja eigentlich nicht, außer dass mein Fernseher aus China kommt und ich mir im Internet alles aus der ganzen Welt bestellen kann. Aber mein Leben sollte eigentlich so weiter gehen wie bisher.

Und jetzt ist der Moment, in dem die Globalisierung bis in die Familien und bis in die Dörfer kommt. Nichts wird mehr so sein, wie vorher. Das ist keine plötzliche, sondern eine langsame, über 15 Jahre gehende Veränderung. Kein Mensch hat einen Anspruch darauf, dass die Welt sich nicht verändert.

Welche Regieanweisung würden Sie den Altparteien CDU und SPD jetzt geben, welche den Menschen aus der Kultur-Szene?

Als Kulturleute können wir nur abbilden, was wir um uns herum sehen. Und das ist vielleicht das beste Aufklärungsmaterial. Im Film können wir zeigen, wie Menschen in Ausnahmesituationen reagieren. Und man sieht auch, wann sie falsch reagieren. Wenn sie sich nach etwas zurücksehnen, was auf gar keinen Fall zurückkommen kann, ist das natürlich verlorene Liebesmüh'.

Wir können auch nicht das Leben von früher - die angeblich heile Welt, die in Wirklichkeit ganz kaputt war - wieder nachholen. Das müssen die Politiker klipp und klar sagen. 

Schlöndorff (links) mit den Schauspielern Isi Laborde, Nina Hoss und Stellan Skarsgard
Dreharbeiten zu "Rückkehr nach Montauk": Volker Schlöndorff (links) mit den Schauspielern Isi Laborde, Nina Hoss und Stellan SkarsgardBild: Wild Bunch Germany/Jim Rakete

Die Wahlergebnisse zeigen einen klaren Rechtsruck. Die AfD ist in Brandenburg und Sachsen zweitstärkste Partei. Welche Bedrohung stellt das für die Kultur dar?

Ein Rechtsruck stellt immer die Kultur in Frage. Eines der Programme ist ja: Wir brauchen keine Kultur. Das sei für die Eliten und davon habe das Volk nichts. Das ist natürlich Unsinn, denn Kultur ist ein Lebensmittel.

Wenn es einen Rechtsruck gibt, dann ist die Kultur genauso gefordert, wie die Politik. Wir müssen sie viel mehr fordern. Je mehr sich die Politiker den Unzufriedenen jetzt anbiedern, indem sie ihnen noch mehr geben, je mehr entmündigen sie diese Menschen, die immer abhängiger werden vom Wohlfahrtsstaat.

Wie real schätzen Sie die Gefahr von Rechts jetzt nach den Wahlen ein?

Um eine Gesellschaft grundlegend zu verändern, sagt man, genügen 25 Prozent an Gutwilligen. Umgekehrt glaube ich, gibt es immer auch ein Potential von 25 Prozent Unzufriedenen, die sich mal hier, mal dort versammeln, je nachdem, was die Parteien gerade in ihren Programmen anbieten. Damit muss man sich abfinden.

Eine Gesellschaft besteht nun mal nicht nur aus Gutwilligen und Demokratie-Besessenen, sondern auch aus vielen Unzufriedenen. Die Kunst ist es, das auszutarieren. Aber man kann es nicht austarieren, indem man es wegbügelt. Ich glaube, man muss da aggressiv vorgehen und allen reinen Wein einschenken. Damit macht sich ein Politiker kurzfristig ganz bestimmt unbeliebt, aber dann muss man dazu stehen und nicht sofort zurückrudern, weil die Stimmung umschlägt.