1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Virtueller "Baum des Lebens" vollständig

23. Dezember 2021

Fast zehn Jahre lang haben britische Forschende für eine Visualisierung der Beziehung aller 2,2 Millionen bekannten Spezies gebraucht. Herausgekommen ist eine Art "Google Earth der Biologie".

https://p.dw.com/p/44doB
Screenshot von der Webseite onezoom.org
Bild: onezoom.org

Fast zehn Jahre lang haben zwei britische Biologen alle zur Verfügung stehendende Daten zusammengetragen: Jetzt ist der "Baum des Lebens" vollständig. Er zeigt spielerisch und beeindruckend zugleich, wie alle 2,2 Millionen bekannten Spezies auf dieser Erde miteinander in Beziehung stehen oder standen, denn viele Spezies sind bereits ausgestorben.

Auf der interaktiven Seite unter OneZoom.org kann man immer tiefer in die einzelnen Verflechtungen einsteigen und stufenlos alles Leben auf diesem Planeten erkunden.

Wer sich in dem weit verzweigten Baum nicht gleich zurecht findet, kann auch über ein Suchmenü nach einer bestimmten Spezies fahnden und wird sich vermutlich wundern, wo sie zu finden ist und mit wem sie verwandt ist.

Ihr Projekt sei eine Art "Google Earth der Biologie", so die beiden verantwortlichen Biologen im Fachmagazin "Methods in Ecology and Evolution". 

"Wir hoffen, den Menschen eine völlig neue Möglichkeit zu geben, die Evolutionsgeschichte und die Weite des Lebens auf der Erde in ihrer ganzen Schönheit zu begreifen", sagte James Rosindell, Biodiversitätsforscher am Imperial College London.

Für die Visualisierung ordneten Rosindell und der Evolutionsbiologe Yan Wong von der Universität Oxford die Arten nach ihrer genetischen Verwandtschaft (Phylogenie) und nicht nach der traditionellen Taxonomie an, weil dies die Evolutionsgeschichte besser widerspiegele.

Denn die traditionelle Klassifizierung wie "Fische" spiegeln beispielsweise nicht die wahren Beziehungen zwischen den Arten wider, da Säugetiere mit einigen Fischen enger verwandt sind als einige Fische untereinander.

Visualisierung dank Big Data

Begonnen haben die beiden Biologen ihr Projekt 2012 mit gerade mal 5000 Säugetierarten, mittlerweile umfasst ihr "Tree of life" 2,2 Mio. Spezies, wovon für 85.000 Spezies ein Foto im Baum-Projekt hinterlegt ist.

Screenshot der Website onezoom.org und einem Ausschnitt des "Tree of life"
Die Visualisierung ordnet die Arten nach ihrer genetischen Verwandtschaft (Phylogenie) und nicht nach der traditionellen Taxonomie anBild: onezoom.org

All die in Datenbanken vorhandenen Informationen einzugeben, wäre per Hand unmöglich gewesen. Und so haben die beiden Biologen neue Algorithmen entwickelt und Big Data aus verschiedenen Quellen einbezogen.

"Zwei Millionen Arten können sich wie eine zu große Zahl anfühlen, um sie zu visualisieren, und kein Museum oder Zoo kann sie alle aufnehmen! Aber unser Tool kann helfen, alle Arten der Erde darzustellen und den Besuchern die Möglichkeit geben, sich mit ihrer Notlage zu identifizieren, erläutert James Rosindell.

Denn alle bekannten Spezies werden in dem Baum durch ein Blatt symbolisiert. Jedes Blatt enthält die wissenschaftlichen und gebräuchlichen Namen einer Art (in mehreren Sprachen), und wenn man auf den Namen klickt, erhält man weiterführende Informationen sowie den Zugang zu genetischen Informationen über die jeweilige Spezies.

Verschiedene Farben je nach Zustand der Spezies

Die Farbe des Blattes zeigt dabei, wie es um die Spezies bestellt ist: Ist das Blatt grün, geht es der Spezies gut, ist es rot, so ist die Spezies gefährdet. Und ist das Blatt schwarz, so ist diese Spezies bereits ausgestorben.

"Wir haben hart daran gearbeitet, den Baum für jeden leicht zugänglich zu machen, und wir hoffen, dass wir damit auch eine wichtige Botschaft vermitteln können: dass ein großer Teil unserer biologischen Vielfalt bedroht ist", so Biodiversitätsforscher Rosindell.

Sehr viele Blätter aber sind grau, weil nur sehr wenig über diese Spezies bekannt ist. "Es ist erstaunlich, wie viel Forschungsarbeit noch zu leisten ist", so Evolutionsbiologe Wong.

Wer das Projekt finanziell unterstützen will, um diese Wissenslücken zu schließen, kann eine Art "adoptieren". Bislang haben 800 Personen eine Patenschaft übernommen, die es ihnen auch ermöglicht, einen Namen oder eine Botschaft auf dem Blatt der jeweiligen Art zu hinterlassen.

Ranking der populärsten Spezies

Amüsant ist auch die Auswertung der "populärsten Spezies" anhand der aufgerufenen englischsprachigen Wikipedia-Seiten. Wenig überraschend liegt der Mensch, die selbst ernannte "Krönung der Schöpfung", beim menschengemachten Internet ganz weit oben. Aber der Wolf und Hunde sind ihm dicht auf den Fersen. Es folgen sechs Affenarten. Katzen dagegen liegen trotz der beliebten Katzenvideos nur auf Platz 12.

Screenshot der Website onezoom.org und einem Ausschnitt des "Tree of life"
Wenig überraschend: Bei uns Menschen ist der Mensch die populärste Spezies Bild: onezoom.org

Zu den beliebtesten Pflanzen gehören laut diesem Ranking Cannabis, gefolgt erstaunlicherweise von Kohl. Bei den Pilzen führt der Fliegenpilz die Liste an, bei den Fischen die Bachforelle.

Was spaßig klingt, hat aber auch einen ernsten Hintergrund, so die beiden Biologen: "Der Beliebtheitsindex hat das Potenzial, Informationen über Erhaltungsmaßnahmen zu liefern, insbesondere dann, wenn Beweise für ein erhöhtes oder vermindertes öffentliches Interesse erforderlich sind", schreiben die Forscher in ihrer Arbeit.

Unterstützung der Artenvielfalt

Denn das Projekt soll nicht nur Wissenschaftlern helfen, neue Muster in der Natur zu entdecken. Die beiden Biologen hoffen, dass der fertige Baum des Lebens auch zum Beispiel in Museen oder Zoos gezeigt wird, damit möglichst viele eine Vorstellung von der gewaltigen Artenvielfalt bekommen und sich für ihren Erhalt einsetzen.

"Wir hoffen, dass jetzt, da dieses Projekt abgeschlossen und verfügbar ist, viele Veranstaltungsorte daran interessiert sein werden, es zur Ergänzung ihrer bestehenden Ausstellungen zu nutzen", so Rosindell.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund