Viele Kroaten wollen nicht mehr in die EU
9. September 2005Im Jahr 2003, kurz nachdem Kroatien offiziell den Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EU gestellt hatte, waren noch 82 Prozent der Kroaten für den Beitritt. Seitdem sinkt aber die Zahl der Befürworter kontinuierlich. Und es scheint, dass dieser negative Trend nicht zu stoppen ist: Nach der neuesten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PULS in Zagreb sind sogar schon 57 Prozent der Kroaten gegen einen EU-Beitritt, nur 34 Prozent sind dafür. Der Meinungsforscher Dragan Bagic vom Institut PULS erklärt die wachsende Europa-Skepsis der Kroaten: "Es gibt vor allem einen kontinuierlichen Druck der Europäischen Union auf Kroatien, zumindest empfinden es so die kroatischen Bürger." Dies führe als Gegenreaktion zu der Ablehnung.
Geringe Erwartungen
Vor allem in Zusammenhang mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag glaubten viele Kroaten, dass ihre Regierung unter Druck gesetzt werde: Aus Brüssel kam die scharfe Kritik, dass die Behörden zu wenig zur Ergreifung des gesuchten ehemaligen Armeegenerals Ante Gotovina getan hätten. Ihm werfen die Haager Ankläger Kriegsverbrechen während der Militäraktion "Oluja" - zu deutsch: "Sturm" - im Jahre 1995 vor.
Eine Reihe weiterer Gründe für die sinkende Beitrittslust der Kroaten sieht Bagic in der Europäischen Union selbst - angefangen bei der hohen Arbeitslosigkeit in vielen EU-Mitgliedstaaten über die angebliche Verteuerung nach der Euro-Einführung bis zur Krise, als es um Annahme der gemeinsamen Verfassung ging. "Eine ganze Menge von negativen Informationen über den Lebensstandard in der EU und die wirtschaftliche Lage der letzten Jahre führt dazu, dass ein Teil der Bürger den Eindruck hat, dass die EU nicht hundertprozentiger Garant der Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Kroatien ist", erklärt Bagic.
Hoffnung auf Aufschwung
Von der Europäischen Union erwarten viele Kroaten eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Hoffnung auf mehr Rechtsstaatlichkeit, wie eine kleine Umfrage auf den Straßen von Zagreb bestätigt. "Ich bin dafür, weil ich meine, dass uns der Beitritt wirtschaftlichen Aufschwung bringt", erklärt ein Mann. Ein anderer sagt: "Ich meine, dass wir dadurch endlich ein ordentlich funktionierender Staat würden, dass wir zivilisierte Gesetze bekämen. Ich glaube, dass das ein Fortschritt wäre, dass Gesetze endlich umgesetzt würden, dass ein Rechtsstaat, den wir uns alle so wünschen, funktionieren würde und dass nicht solche Sachen passieren wie jetzt." Ein dritter Passant zählt eine ganze Reihe von Punkten auf: "Ich unterstütze den Beitritt auf jeden Fall wegen der Jugend, wegen dem Studium, wegen Geschäften, wegen den Reisen, den Zollbestimmungen, dem Geld."
"Wir müssen nur arbeiten"
Die Gegner befürchten hingegen, dass sich die persönliche wirtschaftliche und soziale Lage mit dem EU-Beitritt überhaupt nicht verbessert: "Ich unterstütze den Beitritt nicht, weil sich die finanzielle Lage noch verschlechtern wird. Die Preise werden steigen, die Löhne werden nicht steigen, und wir jungen, die Ausbildung haben, werden Arbeiten für Unqualifizierte machen müssen", sagt etwa ein junger Mann. Eine Frau glaubt, dass sich das Land auch ohne die EU entwickeln könne: "Wir sind sehr reich, wir müssen nur arbeiten." Ein anderer Passant findet, dass die EU dem Land schon jetzt verschiedene Bestimmungen aufgezwungen habe.
Ist der Trend der Kroaten umzukehren? Dragan Bagic meint: Ja. Aber dazu müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein - zum einen der Beginn Beitrittsverhandlungen. "Zweite Voraussetzung ist, dass den kroatischen Bürgern präzise erklärt wird, was die Europäische Union eigentlich bedeutet", glaubt Bagic. "Das heißt, eine Erläuterung der guten wie auch der schlechten Seiten sowie die Zerschlagung des Mythos, dass der Beitritt zur EU allein alle Probleme löst."