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Verhaftung Netanjahus in Deutschland "schwer vorstellbar"

22. November 2024

Könnte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in Deutschland verhaftet werden? Auch wenn der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat - die Bundesregierung wartet ab und prüft.

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Netanjahu (l.) im März 2023 mit Bundeskanzler Olaf Scholz
Netanjahu (l.) im März 2023 mit Bundeskanzler Olaf Scholz Bild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Die deutsche Minderheitsregierung von Sozialdemokraten und Grünen hätte dieses Thema sicher gern vermieden, auch wenn sie es schon lange hat kommen sehen: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Galant erlassen.

Die Begründung: Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass sich mit dem Krieg im Gazastreifen beide der Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitschuldig gemacht und Kriegsverbrechen begangen hätten. Ein Haftbefehl wurde auch gegen Hamasführer Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri erlassen.

Deutschland unterstützt Strafgerichtshof in Den Haag

Deutschland gilt als einer der größten Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, der im Juli 2002 seine Tätigkeit aufnahm und der 124 Mitgliedsstaaten hat. Allerdings gehören global wichtige Staaten wie etwa die USA oder Russland nicht dazu.

Wichtig im aktuellen Fall:  Das Gericht hat keine Möglichkeit, die Haftbefehle selbst zu vollstrecken. Aber seine Mitgliedsstaaten - darunter Deutschland - sind formal betrachtet verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sollten sie sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.

Mit anderen Worten: Kommt Netanjahu nach Deutschland, müsste er verhaftet werden. Oder doch nicht?

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof, Karim Ahmad Khan
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof, Karim Ahmad Khan (Archivbild)Bild: Christophe Gateau/picture alliance/dpa

Denn da ist ja auch die besondere geschichtliche Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel. Und so klingen die deutschen Reaktionen auf die Entscheidung von Den Haag wie ein mühsames "Sowohl als auch".

Den Anfang machte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) , die im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) von der Klimakonferenz in Baku aus zugeschaltet wurde. Sie sagte: "Wir halten uns national, europäisch und international an Recht und Gesetz. Und deswegen prüfen wir jetzt genau, was das für uns in der internationalen Umsetzung bedeutet."

Wenig später schob die Regierung dann in Berlin eine Presseerklärung nach, in der es heißt: "Die Bundesregierung hat die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) zu den beantragten Haftbefehlen gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen  Verteidigungsminister Joav Galant zur Kenntnis genommen."

Auch hier taucht wie bei Baerbock das Wort "Prüfung" auf, die die Regierung jetzt vornehmen wolle. Und weiter heißt es: "Weiteres stünde erst dann an, wenn ein Aufenthalt von Premierminister Benjamin Netanjahu und dem ehemaligen Verteidigungsminister Joav Galant in  Deutschland absehbar ist."

Netanjahu war zuletzt vor rund anderthalb Jahren in Deutschland

Und fast mit Erleichterung betonen am Freitag weitere deutsche Regierungspolitiker, dass das auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sei. Tatsächlich war Israels Regierungschef zuletzt im März 2023 zu politischen Gesprächen in Berlin, also gut ein halbes Jahr vor dem mörderischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober.

Die Hamas ist eine militante, islamistische, palästinensische Gruppe. Die Europäische Union, ebenso wie die USA, Deutschland und weitere Länder stufen sie als Terrororganisation ein.

Netanjahu (l.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz
Netanjahu (l.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz im März 2023 bei seinem vorerst letzten Besuch in BerlinBild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Wie mit rund zehn anderen Staaten unterhält Deutschland mit Israel so genannte Regierungskonsultationen, also Treffen der kompletten Kabinette beider Seiten. Dies soll die besonderen bilateralen Beziehungen hervorheben. 2008 gab es unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals ein solches Treffen in Jerusalem, im Oktober 2018 das letzte.

Regierungssprecher: Gedanke an Verhaftung fällt mir schwer

Wie will die Bundesregierung mit dem Urteil umgehen? In einer Pressekonferenz wollten das viele Journalisten wissen. 

Auf eine Frage nach dem Dilemma zwischen Strafgerichtshof und Solidarität mit Israel sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit: "Da ist einerseits die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes, den wir sehr unterstützen, und andererseits die von Ihnen angeführte geschichtliche Verantwortung. Im Lichte dieser beiden Aspekte ist diese Erklärung zu sehen. Ich könnte mich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland vornehmen."

CDU-Ministerpräsident von Hessen: Entscheidung ist "absurd"

Während sich die Regierung also müht, zwischen der grundsätzlichen Unterstützung Israels und der Unterstützung des Strafgerichtshof einen klaren Standpunkt einzunehmen, fällt dies anderen deutschen Politikern leichter. So nannte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) die Haftbefehle am Freitag "absurd".

Israel befinde sich seit mehr als einem Jahr in einem Krieg, den die Terrororganisation Hamas mit ihrem barbarischen Angriff auf unbescholtene Bürger losgetreten habe.

Rhein fügte hinzu: "Es ist für mich völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt." Aber auch Rhein weiß, dass ein Besuch Netanjahus derzeit in Deutschland schwer vorstellbar ist.