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Der Hunger der Welt wächst weiter

Tim Schauenberg
15. Juli 2019

Es hungern wieder mehr Menschen auf der Welt. Der Bericht zur Ernährungssicherheit der Vereinten Nationen nennt dafür vor allem drei Gründe: Konflikte, langsames Wirtschaftswachstum und den Klimawandel.

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Somalia Dürre verendente Ziegen
Bild: Getty Images/AFP/M. Abdiwahab

Das Ziel der Vereinten Nationen, den Hunger bis 2030 zu beseitigen, rückt in weite Ferne. Es hungern wieder mehr Menschen auf der Welt, schreiben die UN in ihrem jüngsten Bericht zum Stand der Ernährungssicherheit: 820 Millionen Menschen leiden unter chronischem Hunger, darunter 149 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die durch mangelnde Ernährung unterentwickelt sind.

Für 96 Millionen Menschen "müssen wir Lebensmittel oder den Zugang zu Lebensmitteln bereitstellen, damit die Menschen nicht sterben", sagte Cindy Holleman, eine der Hauptautoren des UN-Berichts, im DW-Gespräch.

Die Autoren des Berichts schätzen, das weltweit rund zwei Milliarden Menschen keinen ausreichenden Zugang zu sauberen und nahrhaften Lebensmitteln haben. Prozentual sind es in jedem Erdteil mehr Frauen als Männer. Auch acht Prozent der Gesamtbevölkerung in Nord-Amerika und Europa sind von Ernährungsunsicherheit betroffen.

Lesen Sie mehr: UN: Klimawandel bremst Kampf gegen Armut aus

Infografik Ernährungsunsicherheit DE

In Asien und Afrika hungern die meisten Menschen

Die meisten der hungernden Menschen leben in Asien (500 Millionen) und Afrika (260 Millionen), 90 Prozent davon in Subsahara-Afrika. Hungrig bleiben aber nicht nur die Menschen dort.

"Die Ungleichheiten nehmen in mehr als der Hälfte der Länder weltweit zu. Desto größer die Ungleichheit, umso größer der Hunger", so Holleman im DW-Gespräch. Den Hungrigen stehen laut "World Wealth Report" 18 Millionen Dollarmillionäre gegenüber.

Weil zum Beispiel Einkommen und Ackerland ungleich verteilt ist, kommt es auch in Ländern mit durchschnittlich niedrigen bis mittleren Einkommen zu Hungersnöten, wie etwa in Nigeria und dem Irak.

Mangelernährung heißt oft Übergewicht

Menschen, die unter Mangelernährung leiden, sind nicht zwangsläufig dünn, so Holleman. Im Gegenteil: "Wir sehen einen größeren Zusammenhang zwischen Lebensmittelunsicherheit und Übergewicht und Fettleibigkeit", sagte Holleman. Ungesundes Essen sei meist am billigsten. Die Zahl der Übergewichtigen wird auf zwei Milliarden weltweit geschätzt.

Der Bericht nennt vor allem drei Hauptgründe für mangelnden Zugang zu Lebensmitteln: Konflikte, Klimawandel und eine schwache Wirtschaft.

Jemen Konflikte
Im Jemen leiden 10,9 Millionen Menschen unter chronischem Hunger; rund 20 Millionen benötigen humanitäre HilfeBild: Getty Images/AFP/E. Ahmed

Wo Krieg herrscht, hungern Menschen

Ob durch Vertreibung und Plünderungen durch Regierungssoldaten und Milizen im Südsudan oder der Demokratischen Republik Kongo, Krieg und bewaffnete Konflikte sind der Hauptgrund für Hunger.

Seit dem Beginn des Konfliktes im Jemen 2015 und der anschließenden Militärintervention Saudi-Arabiens sind dort rund 3,6 Millionen Menschen auf der Flucht.

"Fast vier Jahre Konflikt und ein starker wirtschaftlicher Niedergang treiben das Land an den Rand einer Hungersnot und verschärfen den Bedarf in allen Bereichen," sagt Federica D'Andreagovanni, die für das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) im Jemen vor Ort arbeitet. In Kriegsgebieten bricht die Versorgung mit den grundlegendsten Gütern ein. Menschen können ihre Felder nicht mehr bestellen und keine Geschäfte betreiben. "Die humanitären Bedingungen im Jemen verschlechtern sich zu einem beinahe noch nie da gewesenem Ausmaß."

Besonders betroffen: Länder, die vom Im- und Export abhängen

In Simbabwe herrscht zur Zeit eine schwere Wirtschaftskrise, die mit dem Verfall der lokalen Währung einhergeht. Für die Menschen wird alles teurer, Gehälter werden nicht mehr ausgezahlt, Importierte Güter sind rar. Vor den Tankstellen reihen sich die Schlangen Kilometer lang. "Der Zugang zu Treibstoff ist schwierig. Es gibt einen großen Mangel an Brot, da die einheimische Maisproduktion dezimiert wurde und das Land es sich nicht leisten kann, für Importe zu zahlen," sagte Nathan Hayes von der Analyseagentur Economist Intelligence Unit.

Wirtschaftskrise in Simbabwe
Importgüter wie Benzin und Lebensmittel werden durch Inflation extrem teurerBild: picture alliance/AP Photo/T. Mukwazhi

"Die Abwertung der Währung wirkt sich auf die Preise aus, was den Zugang der Menschen zu Nahrungsmitteln, Einkommen und Arbeit beeinträchtigen kann. Und Simbabwe ist ein extremer Fall," sagte Cindy Holleman der DW.

Rund zwei Millionen Menschen in Simbabwe haben keinen ausreichenden Zugang zu Lebensmitteln.

In Nigeria sind fünf Millionen Menschen unterversorgt. Dort leidet die vom Öl abhängige Exportwirtschaft unter dem niedrigen Ölpreis. Auch hier sind die Lebensmittelpreise durch Inflation enorm gestiegen.

65 von 77 Ländern, in denen ein langsameres Wirtschaftswachstum zu Engpässen bei Nahrungsmitteln geführt hat, sind Länder, die von Exporten – häufig Öl, Mineralien – und von Importen abhängig sind. Jedoch sei Wirtschaftswachstum alleine nicht die Lösung, so Holleman. Die Länder müssten ihre Wirtschaft breiter aufstellen und transformieren, sodass sie unabhängiger vom Import und Export werden und "ländliche und städtische Gebiete (Menschen) nachhaltigere Alternativen für eine Lebensgrundlage bieten."

Der Klimawandel und Ernährungssicherheit

In Simbabwe werde die Wirtschaft durch die verheerende Zerstörung der Dürre und Zyklon Idai schrumpfen, so Hayes. Was er beschreibt, hat weltweit bereits Einfluss auf Ernten und die Lebensmittelversorgung: Wetterextreme verursacht durch den Klimawandel.

Ein Bauer zeigt auf seine Tiere in Kenias dürregeplagter Turkana-Region (Foto: Andrew Wasike)
Bauern und Hirten in der trockenen Turkana-Region im Norden Kenias sind besonders von Dürren betroffenBild: Andrew Wasike

"Die lange Regenzeit ist normalerweise von März bis Ende Mai. In diesem Jahr hatten wir zum Beispiel eine sehr schlechte Regenzeit. Sie begann Ende April und dauerte nur drei Wochen mit einigen kleinen Regenschauern", sagte Peter Abiya Ochola von der National Drought Management Authority in Kenia. Dürrejahre werden in Kenia immer häufiger. Traten Dürren früher in Abständen von fünf Jahren auf, seien es heute ein bis zwei Jahre.

"Die Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit sind gravierend. In diesem Jahr rechnen wir mit 1,5 Millionen Menschen [in Kenia], die von Dürre betroffen sind," sagt er. Das betreffe vor allem Bauern, deren Felder vom Regen abhängig sind oder die ihre Tiere mit Regenwasser tränken.

Zur Beseitigung des Hungers fordert der Bericht der Vereinten Nationen deshalb internationale Abkommen, die Frieden und nachhaltige wirtschaftliche Transformation schaffen, damit sich Entwicklungsländer besser gegen die Ursachen von Hunger wappnen können.