1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Urania-Medaille für Seyran Ateş

26. November 2019

Mit ihren türkischen Eltern kam sie nach Deutschland. Inzwischen ist Seyran Ateş nicht nur Anwältin, Frauenrechtlerin und Gründerin einer liberalen Moschee. In Berlin wird sie jetzt mit der Urania-Medaille geehrt.

https://p.dw.com/p/3TSc2
Seyran Ates
Bild: picture-alliance/rtn/U. Blitzner

Seit 130 Jahren gibt es den Berliner Kultur- und Bildungsverein Urania, der sich der Begegnung von Wissenschaft und Öffentlichkeit verschrieben hat. Im Domizil des Vereins im Westen Berlins finden Vorträge aller Art, Podiumsdiskussionen, Konzerte, Ausstellungen und vieles mehr statt. "Mit Seyran Ateş ehrt die Urania eine wichtige gesellschaftliche Vorkämpferin dieses Landes", erklärte jetzt Urania-Direktor Ulrich Weigand. 

Bundesministerin Julia Klöckner sagte in ihrer Laudatio: "Seyran Ateş ist eine starke, bewundernswerte Frau mit klarem Kompass. Eine, die aus innerer Überzeugung handelt, gerade dann hinschaut und ihre Stimme erhebt, wenn es Mut erfordert und Standhaftigkeit, Ausdauer. Unablässig kämpft sie gegen ein Verständnis von Religionsfreiheit, das auf Kosten der Freiheitsrechte von Frauen und Mädchen geht."

Tatsächlich ist Ateş aus den aktuellen Debatten über Migration, Frauenrechte und religiöse Freiheit nicht mehr wegzudenken. Viele Unterstützer, aber auch zahlreiche Feinde gewann die heute 55-jährige, als sie vor zwei Jahren die "Ibn- Ruschd-Goethe-Moschee" in Berlin-Moabit gründete, im dritten Stock der evangelischen Sankt-Johannis-Kirche. Die Besonderheit: Frauen und Männer beten gemeinsam, auch Frauen halten Predigten. Der Koran wird hier "historisch-kritisch" ausgelegt. Mit einer Ausnahme stehe die Moschee allen offen, versprach Ateş seinerzeit in einem "Spiegel"-Interview: "Mit Nikab oder Burka wird niemand in unsere Moschee kommen!" Vollverschleierung habe nichts mit Religion zu tun, sondern sei ein politisches Statement.

Menschen sitzen zu Füßen der Imanin  Seyran Ateş
Seyran Ateş 2017 bei der Eröffnung der Ibn- Ruschd-Goethe-Moschee in Berlin-MoabitBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Mit politischen Statements geizt auch Seyran Ateş nicht. Pünktlich zur Moscheeeröffnung legte sie ihr neuestes Buch vor: "Selam, Frau Imamin". Darin empört sich die gläubige Muslimin über fundamentalistische Tendenzen im Islam. In Deutschland herrsche der türkische Staatsislam, kritisiert sie. Das Gros der Imame habe ein gestörtes Verhältnis zur Religionsfreiheit, zur Gleichberechtigung und zum Recht auf Homosexualität. Sie predigten einen Islam von vorgestern — mit der Folge, dass liberale Muslime in Deutschland heimatlos geworden seien. "Selam, Frau Imamin" erschien im Berliner Ullstein-Verlag. Kaum weniger politisch klingen die Titel früherer Ateş-Bücher: "Der Multikulti-Irrtum" (2007) oder auch "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution" (2009).

Seyran Ateş als moderne Imanin

Seyran Ateş hat eine Ausbildung zur Imamin absolviert. "Lange Zeit habe ich nur davon geträumt, dass sich liberale Muslime zusammenfinden, um einen Islam zu leben, der die Demokratie ausdrücklich bejaht und eine gleichberechtigte Gemeinschaft der Gläubigen", bekannte sie in einem Zeitungsbeitrag. "Ich habe darauf gewartet, dass die passende Moschee eröffnet wird - von Menschen, die koranfester sind als ich. Irgendwann fühlte es sich an wie Warten auf Godot. Schließlich beschloss ich, meine Vision selbst zu realisieren."

Seyran Ateş  breitet einen Gebetsteppich aus
Seyran Ateş - eine moderne Imanin Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Mit der Gründung einer liberalen Moscheeoutete sich Seyran Ateş schließlich als "Vorkämpferin eines modernen Islam", wie Fabian Wittreck, Professor für Politik mit dem Forschungsschwerpunkt Religion der Universität Münster, urteilte. Dafür spreche insbesondere ihre Abgrenzung von konservativen Islamverbänden, so Wittreck zur Deutschen Welle. Tatsächlich ging und geht Ateş mit den großen muslimischen Verbänden in Deutschland hart ins Gericht: Der Islam müsse dringend modernisiert werden, so die Juristin. Immer mehr Musliminnen und Muslime wünschten sich einen friedlichen Islam, der den Dialog mit anderen Religionen pflege. Dieser Islam, so Ateş im Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit", habe jedoch in Europa noch keinen Ort. "Es gibt nur die etablierten konservativen Gemeinden, die Kritik und Zweifel kaum zulassen."

Eröffnung unter Polizeischutz

Seyran Ateş
Seyran Ateş wird wegen ihrer liberalen Ansichten oft angefeindet Bild: DW/Anna Becker

Für ihr liberales Islamverständnis erntet Syran Ateş seit Jahren harsche Kritik und Drohungen. Im Alter von sechs Jahren kam sie aus der Türkei nach Deutschland. Ihr Jurastudium in Berlin finanzierte sie sich durch die Arbeit in einer Beratungsstelle für Frauen aus der Türkei.

Seit 1997 ist Seyran Ateş als Anwältin tätig und kämpft gegen häusliche Gewalt und Zwangsehen. Unter dem ehemaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) war sie Mitglied der Islamkonferenz. Nach den islamistischen Anschlägen von Manchester und London im Jahr 2017verlangte Ateş, Muslime "müssten mehr gegen Extremismus im Islam" tun. "Die schweigende Mehrheit der Muslime muss endlich Verantwortung tragen und dem etwas entgegensetzen", sagte sie der Berliner Zeitung "B.Z.". Zur langen Reihe von Ehrungen und Auszeichnungen, die Ateş bis heute erhalten hat, gesellt sich nun auch die Urania-Medaille 2019.