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Glaube

Unter den Wolken

9. August 2024

Es gibt Menschen, die sich nicht mit Unberechenbarkeiten oder Abhängigkeiten abfinden wollen. Andere machen einen Sport daraus mit Gewinn an Lebensweisheit und Freude. Ein Beitrag der evangelischen Kirche.

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Bild: Uli Deck/picture alliance/dpa

Eine kurze Nacht

"Um vier treffen wir uns am Auto! - Pünktlich!" Steffen weiß, dass ich ein notorischer Langschläfer sein kann. "Ich stelle mir den Wecker. Das wird schon", antwortete ich. Knapp fünf Stunden blieben noch zum Schlafen. Aber die Belohnung würde der Sonnenaufgang sein, dem wir hoffentlich entgegenfahren werden.

Bevor ich einschlief, gingen mir noch einige Gedanken durch den Kopf. Bei einer Veranstaltung am letzten Samstag, auf der sich die Sportvereine der Stadt präsentiert haben, kam eine Frau auf unseren Piloten zu: "Wie viel kostet das denn?"

Häufig die erste Frage. "Wissen Sie, meine Mutter wird 50. Da wollen wir ihr zum Geburtstag einen Ballonflug schenken." - "Das geht nicht. Wir fliegen nicht!" - "Wieso?" - "Wir fahren mit dem Ballon durch die Luft." Plötzlich schrillt der Wecker.

Vorbereitungen auf ein einmaliges Erlebnis

Die Augen noch verquollen, sagt der innere Schweinehund: "Dreh dich noch einmal um – komm: Schlummertaste!" Nein, heute nicht! Heute gibt’s Ballonfahrt mit Sonnenaufgang.

Mit der Ballonhülle, den Gasflaschen und dem Passagierkorb im Anhänger fahren wir zum Startplatz. Der Rest ist Routine. Auspacken, Windverhältnisse prüfen, Ballonhülle auslegen, die Stahlseile am Korb befestigen, die Hülle aufblasen - zuerst mit dem Lüfter, der mit einem Flugzeugpropeller gewaltig Wind macht, danach mit dem Brenner des liegenden Ballonkorbs. Der Heißluftballon richtet sich auf, während der Himmel sich rötet. Nach einem letzten Check gibt der Pilot Gas - im wahrsten Sinn des Wortes. Der Ballon schwebt. Das Sicherungsseil wird gelöst - wir fahren davon.

Zurück bleibt die Verfolgermannschaft, das Team, das per Funk mit dem Piloten verbunden ist und die Ballonfahrt am Boden im Auto begleitet. Der Pilot quittiert den gelungenen Start mit einem tierischen Ton auf seiner Vuvuzela. Jedoch fahren wir nicht dem Sonnenaufgang entgegen, sondern weniger romantisch in der Gegenrichtung auf Jena zu. Man kann nicht alles haben.

Demut und Wertschätzung

Das Gespräch von letzter Woche kommt mir wieder in den Sinn. Die Frau am Infostand: "Uns wäre es ja recht, wenn Sie am Geburtstag unserer Mutter mit ihr fliegen könnten." - "Fahren!" - "Jaja. Natürlich fahren. Am schönsten wäre es, wenn Sie über unser Haus fliegen - äh - fahren und dann in der Nähe der Waldklause wieder landen könnten. Dort wollen wir dann die Geburtstagsfeier ausrichten. Wäre das möglich?"

Unser Pilot musste sich beherrschen. Dieses Anspruchsdenken begegnet ihm immer wieder. Er erklärt: "Wir sind ein Sportverein. Wir nutzen gerne einen Startplatz in der Nähe unseres Vereinsgeländes. Dort müssten Sie sich einfinden. Wir sind von Wind und Wetter abhängig. Deshalb kann ich Ihnen erst ein oder zwei Tage vorher sagen, wann ein Start eventuell möglich ist. Wenn wir dann gestartet sind, bestimmt der Wind sowohl unsere Fahrtrichtung als auch unsere Geschwindigkeit. Meistens sind wir eine Stunde in der Luft. Als Landeplatz muss ich dann eine geeignete Wiese in unserer Fahrtrichtung finden. Vieles kann ich nicht beeinflussen. Ich muss es mit einer gewissen Demut akzeptieren und das nutzen, was sich mir bietet. Jede Fahrt ist anders." - "Wir werden uns das wohl noch einmal überlegen", meint die Frau und dreht bei.

Als bekennender Atheist würde unser Pilot diese Abhängigkeit von den Elementen nie mit Gott in Verbindung bringen. Aber dass eine gesunde Portion Demut lebenswichtig sein kann, ist ihm bewusst.

Ehrfurcht und Glücksgefühl

Die Sonne erhebt sich glutrot über den Horizont. Sie taucht die Landschaft unter uns in ein magisches Licht mit langen Schatten. Majestätisch ziehen wir darüber hinweg, erkennen Gebäude, begrüßen Frühaufsteher und beobachten Rehe aus der Vogelperspektive. Solche Momente brennen sich in die Seele ein - einzigartig und unvergleichlich. An der Wiese, die der Pilot für die Landung gefunden hat, wartet schon das Verfolgerteam. Heute passt alles.

Abbauen, einpacken und ab zum Frühstück.

Gerhard Richter I Autor - Spurensuche Kirchenseite
Gerhard RichterBild: privat

Zum Autor:

Gerhard Richter (Jahrgang 1957) war bis 2019 Referent für die Partnerbeziehungen nach Tansania im Missionswerk in Leipzig. Geboren und aufgewachsen ist er in Weimar in einem atheistischen Elternhaus. Als gelernter Tiefbauer studierte er zunächst Bauingenieurwesen und wechselte dann zum Studium der evangelischen Theologie an die Universität in Jena. Stationen als Pfarrer waren Kerspleben bei Erfurt, Weimar, Tansania, Bibra und Leipzig. Heute ist er im Ruhestand und wohnt im Thüringer Schiefergebirge bei Saalfeld.

Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.