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Politik

Ungarn: Gratis-Propaganda für Orbán

Stephan Ozsváth
31. Mai 2021

Ein Jahr vor der Parlamentswahl wirbt ein Wochenblatt für Ungarns Regierung - und drischt auf die Opposition ein. Verteilt wird es in Städten, wo die Partei des derzeitigen Premiers schwach oder bereits abgewählt ist.

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Ausgabe Nagykanizsa, Headline: „Die Aussichten werden immer besser
Titelseite des kostenlosen ungarischen Wochenblatts "City7"Bild: City7

In Ungarns Provinz hat der Wahlkampf ein Jahr vor den Parlamentswahlen längst begonnen. "Linke auf der Seite des Virus", titelt Ende März "City7" in der Ausgabe für die nordostungarische Stadt Miskolc; daneben prangt ein Foto des sozialistischen Ex-Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány.

Die City7-Ausgabe in der südungarischen Universitätsstadt Pécs nimmt den grünen Oberbürgermeister von Ungarns Hauptstadt Budapest aufs Korn. "Karácsony als Regierungschef. Im Ernst?" streut das Blatt Zweifel am gemeinsamen Kandidaten der Opposition für die Parlamentswahlen 2022.

Ungarn Bürgermeister von Budapest Gergely Karácsony
Gergely Karácsony, Bürgermeister von Budapest, in seinem BüroBild: Felix Schlagwein/DW

Zwischen Kreuzworträtseln, Bikini-Mädchen, Abnehmtipps von Promis, Horoskopen und Autotests werden die Leserinnen und Leser einem Wechselbad der Gefühle unterzogen. In kurzen Artikeln wird ihnen auf 24 Seiten Abwertendes über Oppositionspolitiker neben Jubelmeldungen der Regierung ("Viktor Orbán: 'Noch im Mai können wir fünf Millionen Durchgeimpfte schaffen'" oder "Die Aussichten werden immer besser") geboten.

"Die Opposition wird dafür verantwortlich gemacht, dass das Virus sich hier in Ungarn so stark verbreiten konnte und die Todeszahlen so hoch waren", erklärt Dániel Szalay, Chefredakteur des unabhängigen ungarischen Mediendienstes media1.hu auf Anfrage der DW die Zielrichtung von City7. Damit wolle die Regierung Orbán von ihrer Achillesferse ablenken. "Die Menschen sind unseren Untersuchungen zufolge unzufrieden mit dem Zustand des Gesundheitssystems", sagt auch András Biró-Nagy, Direktor des Budapester Think Tanks Policy Solutions gegenüber der DW.

Corona: die Achillesferse der Regierung

Beim Impfen ist Ungarn zwar Europameister - aber auch die Todeszahlen sind explodiert: Gut 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner sind (Stand Ende Mai) an den Folgen von COVID-19 gestorben, gemessen an zehn Millionen Bevölkerung des EU-Landes eine sehr hohe Quote. Die Regierung Orbán hatte deshalb früh - und ohne EU-Zulassung - auf russische und chinesische Impfstoffe gesetzt.

Ungarn | Coronavirus | Ankunft Impfstoff Sinopharm in Budapest
Container mit dem chinesischen Corona-Impfstoff Sinopharm werden auf dem Flughafen Budapest ausgeladenBild: Zoltan Mathe/AP Photo/picture alliance

"Wenn ich das überlebe", konnten sich die Leser von City7 im westungarischen Zalaegerszeg von Fitness-Guru Norbert Schobert nach seiner Impfung mit dem chinesischen Vakzin Sinopharm beruhigen lassen, "werden Sie das auch".

Regierungsbotschaft für die abtrünnige Provinz

City7 erscheint in gut einem Dutzend Provinzstädten und unter dem Namen "Hír8" auch in Budapest. Wie hoch die Auflage ist und nach welchen Kriterien die Lokalausgaben ausgewählt wurden? Antworten auf diese Fragen blieb der Medienkonzern Mediaworks der DW trotz Anfrage schuldig.

Dániel Szalay
Dániel Szalay, Chefredakteur des Mediendienstes media1.huBild: Budapest Headshot

Medien-Experte Dániel Szalay aber erkennt ein Muster: "Das Gratis-Wochenblatt wird in den Städten herausgegeben, wo Fidesz bei der Kommunalwahl 2019 schlecht abgeschnitten hat", erklärt der Media1.hu-Chefredakteur der DW, "oder die Regierungspartei gerade schlechte Umfragewerte hat".

Besser als das Amtsblatt

Bei der Kommunalwahl 2019 hatte Premier Orbáns Partei "Ungarischer Bürgerbund" (Fidesz) vor allem Städte an die Opposition verloren. In Budapest, Miskolc, Szombathely, Dunaújváros und Pécs wechselten die Bürgermeister, in Salgotarján, Hódmezövásárhely und Szeged hatte die Opposition den Bürgermeistersessel erfolgreich verteidigt. Und genau dort erscheinen nun lokale City7-Ableger.

Viktor Orban | ungarischer Premierminister
Ungarns Premierminister Viktor OrbánBild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

Im südwestungarischen Szekszárd konnte sich der Fidesz an der Macht halten. Der lokale Bürgermeister ist so zufrieden mit dem Boulevardblatt auf Regierungslinie, dass er das eigene Amtsblatt der Gemeinde ab jetzt nur noch monatlich erscheinen lässt, berichten unabhängige ungarische Medien.

Propaganda frei Haus

Herausgeber von City7 ist die Holding Mediaworks Zrt., die Ungarns Regionalblätter herausgibt und über ein eigenes Vertriebsnetz verfügt. Mediaworks - früher im Besitz des Orbán-Jugendfreundes Lörinc Mészáros - gehört zu rund 500 regierungsnahen Medienunternehmen unter dem Dach der Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung KESMA. "Das Ziel des Blattes ist klar: die Verbreitung von Propaganda", urteilt Dániel Szalay.

Ervin Güth
Ervín Güth, Redakteur des unabhängigen Pécser Online-Mediums "Szabad Pécs"Bild: Zoltán Kiss

"City7 liegt einfach im Briefkasten", beschreibt Ervín Güth den Vertriebsweg. Nach welchen Kriterien das Gratisblatt verteilt werde, wisse er nicht, so der Redakteur des unabhängigen Pécser Online-Mediums "Szabad Pécs", "ich selbst habe City7 noch nicht bekommen".

Synergie-Effekte

Gelesen hat Güth die 24-seitige Postwurfsendung trotzdem, weil Bekannte ihn darauf aufmerksam gemacht haben. Er beschreibt City7 als eine Art "in Boulevard aufgelöste Regierungspropaganda". Gemacht werde das bunte Blatt von den Redaktionen, die auch Mediaworks' andere Regionalblätter produzieren. "Im Impressum ist ersichtlich, dass die Redakteure, die City7 machen, auch beim jeweiligen Regionalblatt arbeiten", sagt Güth.

Über deren Online-Ausgaben führen Links zur digitalen Version der bunten Wahlkampfpostille. "Die lokalen Themen unterscheiden sich nicht groß von dem, was das 'Dunántúli Napló' (Transdanubisches Tageblatt) oder das Online-Medium 'BAMA' (Baranya heute) bringen", beschreibt Güth die Synergie-Effekte.

Klare politische Ausrichtung

Die Regierungsbotschaften im Yellow-Press-Gewand erinnern den Pécser Journalisten an den Wahlkampf 2005/2006 und das kurzlebige Blatt "Magyar Vizsla" (Ungarischer Wachhund), das in Millionenauflage von der Ungarischen Post ausgeliefert wurde und die damalige Regierung Gyurcsány angriff. Diese "Wahlkampf-Veröffentlichung des Fidesz" sei ähnlich gestrickt gewesen wie die aktuelle Wochenzeitung: "Boulevard, Tabloid-Format, gratis und mit klarer politischer Ausrichtung", so Güth.

Der Journalist glaubt aber nicht, dass City7 erfolgreich sein wird, da auch die regierungsnahen Regionalblätter mit sinkenden Auflagen zu kämpfen hätten. Nach Daten der Vertriebsaufsicht MATESZ verloren die Mediaworks-Regionalzeitungen in den letzten zwei Jahren 72.000 Leser. "Mit wem immer ich außerhalb meiner Journalisten-Blase spreche", so Ervin Güth, "selbst Bekannte, die für Fidesz sind, halten nicht viel davon".