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Politik

Orbáns Social-Media-Krieger

Stephan Ozsváth
4. Februar 2021

Nur etwa zwanzig Prozent der jungen Ungarn wählen die Regierungspartei Fidesz. Der rechtspopulistische Premierminister Viktor Orbán will das ändern - über Social Media und rechte Influencer.

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Ungarn Budapest Bürgermeister-Wahl - Rede Orbán
Premier Viktor Orbán auf einer Wahlveranstaltung in Budapest, 2019Bild: AFP/F. Isza

"Die Mehrheit der Ungarn hat ein rechtes Wertesystem", sagt die junge Ungarin im Video. "Wir hätten gerne, dass diese Menschen nicht nur am Abendbrot-Tisch zu Hause, sondern auch auf Facebook mutig ihre Meinung sagen", preist sie die Kurse der Budapester Medienagentur Megafon.hu an. "Wir machen einen Profi-Facebook-Krieger aus Dir", verspricht die Ausbilderin.

Bereits etwa 500 Ungarn hätten sich für die viertägigen Gratis-Fortbildungen angemeldet, mit 200 Bewerbern seien persönliche Gespräche geführt worden, und 90 hätten die Ausbildungsunterlagen erhalten sollen, heißt es auf DW-Anfrage.

"Jetzt ist es wie ausgestorben", erzählt Megafon-Gründer István Kovács in einem Video vor den leeren Stühlen seiner Agentur, "wegen der verschärften Pandemie-Maßnahmen". Kovács behauptet, die "Non-Profit-Organisation" sei rein "privat finanziert", keinerlei öffentliche Gelder flössen in das Projekt Ausbildung von "Social-Media-Kriegern", das unabhängig von Parteien oder politischen Organisationen sei.

Ein Fidesz-War-Room?

Allerdings ist Kovács ein Gewächs der Fidesz-Parteijugend und längst im Wahlkampfmodus für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr. "Auf Facebook wird die Wahl entschieden", betont der Megafon-Gründer, "und dort müssen wir besser werden als die Linken".

Ungarn Opposition vor Sieg bei Bürgermeisterwahl in Budapest | Gergely Karacsony
Bei der Budapester Bürgermeisterwahl im Oktober 2019 hatte ein Oppositionsbündnis um Gergely Karácsony (hier mit Ehefrau und Kindern) die Nase vornBild: AFP/A. Kisbenedek

Kovács gehört nicht nur der Regierungspartei an, sondern auch der Führungsriege des Budapester "Zentrums für Grundrechte" - einer Stiftung, "die in der Fidesz-Kommunikation eine wichtige Rolle spielt", sagt der Medienrechtler Gábor Polyák der DW. Sie werde mit öffentlichen Geldern finanziert und habe in der Vergangenheit ausgesprochen "militante Kampagnen" entworfen, urteilt Polyák, Gründer des Medien-Watchdogs Mérték. In der Tat liebt István Kovács markige Werbeslogans, er spricht von einem "linksliberalen Meinungs-Tsunami", den man aufhalten müsse. Er sieht sich als Teil "einer weltweiten konservativen Revolution" à la Trump. Von den Amerikanern hat er den Umgang mit Social Media gelernt, sagt er.

Zielgruppe junge Wähler

Mithilfe von Fidesz-Influencern sollen nun die Ungarn erreicht werden, die sich in der "Warteschlange am Smartphone" informieren, erklärt Kovács, also Jüngere. Die machen bislang um die ungarische Regierungspartei einen Bogen. Nur 22 Prozent der unter 30-Jährigen machen nach Daten des Meinungsforschungsinstituts Medián ihr Kreuz bei Fidesz. Die Stammwähler von Regierungschef Viktor Orbán sind weiterhin eher "die Älteren, die Menschen in den kleinen Dörfern und die weniger Gebildeten", erklärt András Bíró-Nagy, Direktor der Budapester Denkfabrik Policy Solutions.

In den letzten Monaten hat Fidesz aber auch eine halbe Million Wähler verloren. Schuld daran ist auch eine Brüsseler Sex-Affäre um József Szájer. ​​​​​​​Der Fidesz-Europaparlamentarier war von der Polizei auf einer Brüsseler Schwulen-Sexparty erwischt worden. Er hatte nicht nur gegen Corona-Auflagen verstoßen, sondern auch Drogen im Rucksack. Über die Regenrinne hatte der Familienvater versucht, zu flüchten. "Was unser Kollege József Szájer getan hat, passt nicht zu den Werten unserer politischen Gemeinschaft", kommentierte Regierungschef Orbán knapp. Szájer verließ die Partei. Die Affäre steht im krassen Widerspruch zur "konservativen Familienpolitik" der nationalkonservativen Partei, "die Fidesz-Wähler besonders schätzen", betont András Bíro-Nagy. Erstmals seit Orbáns Erdrutschsieg 2010 könnten die Oppositionsparteien, die gemeinsam gegen den ungarischen Regierungschef antreten wollen, die Wahl gewinnen, ergaben kürzlich Umfragen. "Schwachpunkte der Fidesz" seien das marode Gesundheitssystem, was durch die Corona-Krise besonders sichtbar wird, und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, erklärt der Policy-Solutions-Direktor.

Ungarischer EU-Abgeordneter | József Szájer
József Szájer - hier während einer Sitzung im Europäischen Parlament - hat seine Teilnahme an einer illegalen Party in Brüssel eingeräumtBild: Jean-Francois Badias/dpa/picture alliance

Kampf ums Netz

Zwar verfügt die ungarische Regierungspartei mit etwa 500 Zeitungen, Radiostationen und TV-Sendern unter dem Dach einer Stiftung über eine beachtliche Medienmacht. "Aber diese Maschinerie ist zentralisiert", meint Medienexperte Gábor Polyák. Das Regieren "von oben" passe weder zu sozialen Medien noch zur Jugend. Er glaubt deshalb, dass die Agentur Megafon.hu "zum Scheitern verurteilt" sei. "Man kann keine digitale Fidesz-Welt aus dem Nichts erschaffen", sagt er. Der aggressive Versuch, im Netz Terrain zu erobern, "spaltet die Gesellschaft allerdings weiter", meint Polyák.

Ungarn I Budapest I Protest gegen politische Einflussnahme auf Nachrichtenportal Index
Budapest, 24. Juli 2020 - Protest gegen die verstärkte politische Einflussnahme der Orbán-Regierung auf das unabhängige Online-Portal index.huBild: DW/F. Schlagwein

Seit Beginn der Pandemie ziehen die Regierungsmitglieder Videobotschaften auf Facebook Pressekonferenzen mit Fragen vor. Doch zum Budapester Regierungsstil passen keine unkontrollierbaren Akteure. Nachdem Facebook und Twitter die Konten des früheren US-Präsidenten Donald Trump gesperrt hatten, wetterte Justizministerin Judit Varga, auch ihr Facebook-Profil sei von dem US-Konzern "insgeheim und aus politischen Gründen" weniger Nutzern sichtbar gemacht worden. Auch "staatliche Würdenträger" könnten so "aus dem Online-Raum" ausgeschlossen werden, beklagte sie und kündigte an, die Internet-Giganten zu regulieren. "Tech-Giganten können Wahlen entscheiden", begründete sie ihr Vorgehen, Mainstream-Social-Media-Plattformen "beschränkten die Sichtbarkeit von konservativen, rechtsgerichteten Meinungen".