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Politik

Ungarn - Masken, Medien und Minderheiten

Stephan Ozsváth
25. April 2020

Die ungarische Regierung nutzt die Corona-Krise, um sich als eine einflussreiche und tatkräftige Regionalmacht zu profilieren und das Konzept einer "illiberalen Demokratie" in die Region zu exportieren.

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Ungarn Premierminister Viktor Orban
Bild: picture-alliance/AP/MTI/Z. Mathe

"Vorwärts Ungarn" steht auf den Aufklebern neben chinesischen Schriftzeichen. Große Kartons mit Schutzmasken und Desinfektionsmitteln stapeln sich im Bauch von Transportmaschinen auf Paletten in die Höhe - Bilder für das heimische Publikum. "Mehr als 80 Millionen Schutzmasken" hätten die Chinesen geliefert, vermeldete Ungarns Außenminister Péter Szíjártó diese Woche. Immer wieder spricht er von einer "Luftbrücke" mit China.

Einen Teil der Medizingüter aus Fernost verteilt Ungarn in der näheren Region weiter: An Albanien, Serbien und Bosnien, aber auch an die ungarischen Minderheiten in den Anrainerstaaten. "Jeder Ungar ist für jeden Ungarn verantwortlich", begründet das der Politiker auf seinem Facebook-Kanal. 

Deswegen werde man den etwa zwei Millionen Auslandsungarn helfen. "Sie haben uns leider mitgeteilt, dass ihre Gesundheitsversorgung sehr schlecht ist", platziert der Budapester Politiker noch einen Seitenhieb in Richtung Anrainerstaaten.

Imagepflege in den West-Balkan-Staaten

Die Bildergalerie seines Facebook-Kanals zeigt einen geschäftigen Außenpolitiker beim Verteilen von medizinischen Hilfsgütern in den Westbalkan-Staaten. "Diese Gesten sind langfristige Investitionen", sagt Regierungsberater Zoltán Kisszelly. Die Hilfe diene der Imagepflege in der strategisch wichtigen Region. "Ungarn möchte als eine kleine Regionalmacht seinen Einfluss in der Region geltend machen", so der Politologe auf DW-Anfrage. 

Auch dass die EU-Beitrittsgespräche mit Albanien jetzt vom Fleck kommen, verkaufen die Ungarn als "ihren" Sieg - mit Seitenhieb auf Brüssel. Außenminister Szíjártó freut sich, "dass ein ungarischer Kommissar in wenigen Monaten erreicht hat, was der Europarat in elf Jahren nicht geschafft hat". Zuständig für die EU-Erweiterung ist der frühere ungarische EU-Diplomat Oliver Várhelyi, ein Vertrauter Orbáns.

Stephan Ozsvath
Stephan Ozsvath Bild: BR/Julia Müller

"Fidesz will die Zahl seiner Verbündeten innerhalb der EU erhöhen", sagt Tamás Bodoky, Gründer des ungarischen Investigativportals Átlátszó.hu. Mit dem EU-Mitglied Slowenien und den Westbalkan-Ländern, die noch beitreten werden, könne so eine erweiterte Visegrad-Gruppe entstehen.

Der Regierung gehe es um Gas-Ressourcen aus Aserbaidschan, sagt Regierungsberater Kiszelly. Dort engagiert sich der ungarische Mineralölkonzern MOL. Ziel sei, weniger abhängig von Russland zu sein. Die Abwehr von Migranten weit weg von der eigenen Landesgrenze sei wichtig, letztlich aber auch ungarischer Ideologie-Export. Es sei "Teil einer politischen Strategie", erklärt Kiszelly, sich deshalb auch in Medien in Slowenien und Nord-Mazedonien einzukaufen, "um die eigenen Standpunkte" besser platzieren zu können.

Ideologie-Export durch Medien-Einkauf

Die regierungsnahen Medien zu Hause in Ungarn seien "ideologisiert, einseitig und anti-demokratisch", urteilt Investigativ-Journalist Tamás Bodoky gegenüber der DW. "Dieses Modell möchte man exportieren". Gleichzeitig wolle man mit der ungarischen Regierungspartei befreundete Parteien unterstützen und "Fidesz-Ideologie verbreiten", sagt Bodoky, das "illiberale Modell". Deswegen hätten ungarische Medienmanager vor allem in Medien investiert, die Orbán-Freunde unterstützen - so wie etwa den slowenischen Premier Janez Jansa und den früheren nordmazedonischen Regierungschef Nikola Gruevski.

Beide sind wegen Korruption in ihren Heimatländern schon einmal verurteilt worden. Der Haft entzog sich Gruevski in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der ungarische Diplomaten halfen. Heute lebt der Mazedonier unter dem Schutz der ungarischen Regierung in Budapest.

Die Investitionen der Ungarn in Balkan-Medien "bieten ein gehöriges Erpressungspotential", urteilt Dániel Bartha vom Budapester Zentrum für euro-atlantische Integration und Demokratie (CEID). Denn sie brauchten das ungarische Geld. "Unsere West-Balkan-Politik dient vor allem wirtschaftlichen Interessen", glaubt der Experte. Es gehe langfristig um Energie, ungarische Investitionsmöglichkeiten, Handelswege und Verkehrsprojekte wie die Bahnstrecke zwischen Belgrad und Budapest - ein Projekt der Chinesen. Ungarn handle dabei durchaus im europäischen Sinne: "Im Wesentlichen geht es darum, dass diese Staaten EU-Mitglieder werden und nicht unter den Einfluss anderer Staaten geraten", also Russlands, Chinas, der Türkei oder arabischer Länder.

Neu-rechtes Netzwerk?

Wer investiert in die Balkan-Medien? Länderübergreifenden Recherchen von Investigativ-Journalisten zufolge tauchen vor allem drei Namen auf: Zwei frühere Manager des staatlichen ungarischen Fernsehens - Péter Schatz und Ágnes Adamik. Sie haben sich in mehr als ein Dutzend Zeitungen, Online-Portale und Fernsehsender aus Nord-Mazedonien und Slowenien eingekauft.

Ebenfalls auf Einkaufstour waren Gesellschaften rund um Árpád Habony, der mittlerweile in London die Medienagentur H4NA betreibt, die nach eigenen Angaben eine "konservative, rechtsgerichtete Perspektive auf Schlüsselfragen" geben wolle. Vor allem Geschichten über die "Gefahren der Migration" erzählt das Team von 50 Journalisten aber laut dem britischen Guardian. Der Karate-Kämpfer Habony gilt als Mastermind hinter vielen Regierungskampagnen in Ungarn. Er war einst Geschäftspartner des US-amerikanischen Dirty-Campaigning-Gurus Finckelstein.

Auch der frühere Trump-Berater Steve Bannon war mehrfach in Budapest und hatte 2018 die Errichtung von "War Rooms" in Europa angekündigt. Bannon hatte die Alt-Right-Plattform Breitbart gegründet. "Es ist ein neurechtes Netzwerk, das sich da aufbaut", bewertet die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky die Medien-Aktivitäten.

Nikola Gruevski und Viktor Orban
Früherer Premier Nord-Mazedoniens Nikola Gruevski hat sich der Justiz entzogen - und lebt jetzt in BudapestBild: Reuters/O. Teofilovski

 "Symbolischer Revisionismus"

"Ungarn ist eine Nation, die nicht deckungsgleich mit den Landesgrenzen ist", begründet Außenminister Szíjártó sein Engagement für die Auslandsungarn. Hinter seiner Fürsorge für die Magyaren in Rumänien, der Karpato-Ukraine, der Vojvodina, der Slowakei und Slowenien steckt laut Marsovszky ein völkisches Konzept von Nation, eine Idee von Groß-Ungarn: "In diesen Gebieten betreibt die ungarische Regierung eine Politik, als ob diese Länder noch immer zu Ungarn gehören würden".

Sie nennt als Beispiel die Suche des zuständigen Ministers nach Ärzten für Siebenbürgen. Viel Geld fließt zu den ungarischen Minderheiten jenseits der Grenzen, bestätigt Journalist Bodoky, einiges landet auch in den Medien der Minderheit. "Die meisten Gelder aus Budapest fließen in Richtung Siebenbürgen", meint er, zu ungarisch-sprachigen Blättern dort. Das sei aber keine selbstlose Geste aus Budapest. "Im Gegenzug erwartet man, dass die Siebenbürger dann für Fidesz stimmen". Was sie auch tun: Die Regierung Orbán kann sich auf die Dankbarkeit der etwa 1,5 Millionen Székler verlassen.

Die imaginierte Nation über die Grenzen hinweg nennt Journalist Bodoky einen rein "symbolischen Revisionismus". In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten Mal die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Trianon 1920. Ungarn hatte damals zwei Drittel seines Territoriums an die Anrainerstaaten verloren. Das Trauma von Trianon nähre den ungarischen "Opfermythos" als Verlierer der Geschichte, meint Kulturwissenschaftlerin Marsovszky.