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Balkanstaaten verlangen Hilfe

Bernd Riegert, zurzeit Wien26. August 2015

Bei der zweiten Westbalkan-Konferenz in Wien sollte eigentlich über Wirtschaftsprojekte gesprochen werden. Nun wird das Treffen der zehn Regierungschefs zu einem neuen Flüchtlingsgipfel. Aus Wien Bernd Riegert.

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Ungarn Flüchtlinge am Grenzzaun zu Serbien
Grenzsperre in Ungarn soll Flüchtlinge aus Serbien abhaltenBild: Reuters/L. Balogh

Alle Staaten der westlichen Balkanregion, die noch nicht in der Europäischen Union sind, sollen und wollen möglichst bald hinein. Alle diese Staaten - Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Mazedonien und Albanien - kämpfen allerdings mit wirtschaftlichen Problemen und stockenden Reformen.

Um der Annäherung des Westbalkans an die EU neuen Schwung zu geben, erfand Berlin im vergangenen Jahr die "Westbalkan-Konferenz". Die zweite Ausgabe wird an diesem Donnerstag von Österreich in der Wiener Hofburg ausgerichtet.

Eigentlich wollten die zehn Regierungschefs, die zugesagt haben, über Wirtschaftsprojekte, staatliche Reformen und den Energiemarkt reden. Doch jetzt wird die Konferenz vom Thema Flüchtlinge und Migration dominiert, wie der österreichische Gastgeber Außenminister Sebastian Kurz einräumte.

"Alle Balkan-Länder sind sicher"

Die Spitzenpolitiker müssen über die "Balkanroute" sprechen, also jenen Weg von Griechenland über Mazedonien, Serbien und Ungarn weiter nach Westeuropa, den die Flüchtlinge in diesem Jahr in Rekordzahl wählen. Hinzu kommen noch Migranten aus den Balkanstaaten selbst, die in großer Zahl in Deutschland Asyl beantragen.

Albanien Außenminister Ditmir Bushati in Tirana
Albaniens Außenminister Ditmir Buschati: EU ist zu attraktivBild: G. Shkullaku/AFP/Getty Images

Für die Ausreise dieser Menschen gebe es vor allem wirtschaftliche Gründe, sagte der albanische Außenminister Ditmir Bushati der Deutschen Welle. "Es gibt keine politische Verfolgung als Auswanderungsgrund", so Bushati.

Deshalb sei sich die ganze Region einig, dass die Balkanstaaten von der EU allesamt zu "sicheren Herkunftsländern" erklärt werden. Das würde die Asylverfahren verkürzen und eine Abschiebung erleichtern.

Die wirtschaftliche Kluft hingegen zwischen Albanien und der EU ist noch immer sehr groß. "Europa ist zu attraktiv", sagte Bushati mit Blick auf die Sozialleistungen für Asylbewerber. "Es sind oft Leute, die falsche Vorstellungen haben, die versuchen von den Sozialleistungen zu profitieren, die es in verschiedenen Staaten während der Asylverfahren gibt."

Serbien kritisiert Leistungen für Asylbewerber

Serbiens Ministerpräsident Aleksandr Vucic formulierte es drastischer. "Wir bitten darum, dass Deutschland die finanziellen Hilfen für Flüchtlinge aus dem Westbalkan deutlich senkt. Dann wird sich das Problem mit den Migranten vom Westbalkan sehr schnell lösen", sagte Vucic vor der Konferenz in Wien dem "Handelsblatt".

Serbien Regierungschef Alexander Vucic
Serbiens Premier Aleksandr Vucic bittet Berlin um HilfeBild: picture-alliance/dpa/M. Ojala

Diesem Wunsch soll wohl bald entsprochen werden. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere bereitet nach Medienberichten aus Berlin entsprechende Gesetzesänderungen vor, damit Bargeld-Zuwendungen für Asylbewerber durch Sachleistungen ersetzt werden.

Langfristig will der albanische Außenminister Ditmir Bushati, die Abwanderung seiner Landsleute durch mehr Chancen im eigenen Land eindämmen. "Wir müssen mehr unternehmen, um zusammen mit unseren europäischen Partnern eine ökonomische Perspektive für unsere Region zu entwickeln." Die Abwanderung treffe im übrigen alle Balkanstaaten gleichermaßen, sagte Bushati. Bis auf Kosovaren können alle Bürger der Balkanstaaten ohne Visum in die EU einreisen.

Hilfe brauchen die Balkanstaaten auch bei der Betreuung der Flüchtlinge, die auf der Balkanroute aus Syrien, Irak, Afghanistan oder Afrika nach Nordeuropa einreisen, findet der Außenminister von Österreich, Sebastian Kurz. Bisher habe man die Staaten alleine gelassen, obwohl sie überrannt werden und überfordert seien, glaubt Kurz.

Der albanische Außenminister Ditmir Bushati sieht es im Gespräch mit der DW ähnlich. "Wir erleben zum ersten Mal, dass eine Migrationskrise von dem EU-Land Griechenland in ein Nicht-EU-Land, nämlich Mazedonien, exportiert wird", so Bushati.

Festung Europa

Die Zustände im griechisch-mazedonischen Grenzgebiet, wo täglich Tausende Flüchtlinge stranden, zeigten überdeutlich, dass das bisherige europäische Asylsystem nicht funktioniere, beklagt Anny Knapp, Vorsitzende des Vereins "Asylkoordination Österreich" vor der Balkankonferenz in Wien.

Der Ausbau der Grenze in Ungarn, der Einsatz von Militär und Tränengas in Mazedonien erinnerten sie an "einen kriegerischen Akt". "Es bringt nichts, die Fluchtroute über den Balkan mit Zäunen zu versperren", sagte Anny Knapp der Deutschen Welle. "Meistens ist das Errichten von Barrieren mit der Folge verbunden, dass die Flucht teurer und gefährlicher wird."

Deutschland Brandanschlag an Asylbewerberheim in Weissach
Gewalt: Anschlag auf unbewohntes Asylbewerberheim in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/SDMG/Friebe

Viele Pläne, viele eigene Interessen

Die EU-Kommission arbeitet nach Angaben der Außenbeauftragten Federica Mogherini an einem Programm, um den Balkanstaaten und der Türkei noch im September acht Millionen Euro für ein besseres Management der Migration zu zahlen. Ebenfalls im September will die EU über eine einheitliche Liste von sicheren Drittstaaten beraten, in die Asylbewerber schneller zurückgeführt werden könnten.

Außerdem prüft die EU-Kommission die Einrichtung von sogenannten "Hotspots", um in Griechenland die Registrierung und Aufnahme von Flüchtlingen zu verbessern. Der Gastgeber der Westbalkan-Konferenz, Sebastian Kurz, will auch die Einrichtung von "Schutzzonen" für Flüchtlinge in Syrien und im Irak selbst beraten. Wer diese Zonen allerdings schützen soll, ist unklar.

Asylexpertin Anny Knapp ist skeptisch. Meistens scheiterten Fortschritte an den Interessen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. Knapp: "Ich sehe immer wieder, dass sehr gute Vorschläge von der EU-Kommission ausgearbeitet werden, dass auch das Europäische Parlament eine konstruktive Rolle spielt, letztlich aber der Rat als Vertreter der Mitgliedsstaaten als großer Verhinderer auftritt".