Unabhängige Untersuchung gefordert
3. Juni 2009Journalisten und unabhängige Hilfsorganisationen sind nach wie vor unerwünscht. Deshalb bleibt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bis auf weiteres einer der ganz wenigen Menschen, denen es wenige Tage nach dem Ende der Kämpfe erlaubt war, sich vor Ort ein Bild zu machen: über die Zerstörung im Nordosten Sri Lankas. Und über das Schicksal von insgesamt rund 300.000 tamilischen Inlandsflüchtlingen, die zusammengepfercht in staatlichen Lagern hinter Stacheldraht leben. Nach seinem Besuch zeigte sich Ban schockiert und traurig. Der Besuch habe ihn demütig gemacht, so der UN-Generalsekretär. "Ich habe die ganze Welt bereist und ähnliche Regionen besucht. Aber ich habe nirgendwo schlimmere Szenen gesehen.“
Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten
Internationale Menschenrechtsorganisationen fordern eine unabhängige Untersuchung vor allem der entscheidenden letzten Wochen des fast 26-jährigen Bürgerkriegs. "Wir glauben, dass diese Maßnahme zwingend notwendig ist“, sagt Anna Neistat von Human Rights Watch. Sie macht die Rebellen der LTTE dafür verantwortlich, systematisch Kindersoldaten rekrutiert und viele tausend Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht zu haben. Regierung und Armee auf der anderen Seite beschuldigt sie, ihren Vernichtungsfeldzug gegen die LTTE ohne jede Rücksicht auf die festgehaltenen Zivilisten beendet zu haben. "Während des Konflikts hatte fast niemand Zugang zur Kampfzone“, klagt Neistat. Auch deshalb sei eine unabhängige Untersuchung wichtig. "Sonst wird es schwierig für das Land, den entscheidenden Schritt weiterzukommen.“
Sri Lankas Regierung verbittet sich jede Einmischung von außen und lehnt eine unabhängige Untersuchung kategorisch ab. Außenminister Rohitha Bogollagama verweist auf die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz in seinem Land, aber sein Hauptargument ist ein anderes. "Unsere Politik war immer, alle Kollateralschäden unter Zivilisten zu vermeiden, und das haben wir geschafft“, so der Minister. Es sei der Armee gelungen, rund 200.000 Zivilisten aus den Händen der LTTE zu befreien. Das Militär habe sich voll darauf konzentriert, die LTTE ins Visier zu nehmen und unschuldige Bürger zu retten. Es sei immer nur darum gegangen, den Terrorismus total zu besiegen, damit alle Menschen in Freiheit leben könnten, so der Außenminister weiter.
Unterschiedliche Perspektiven
Was die betroffenen Tamilen dazu zu sagen hätten, die auf einem winzigen Küstenstreifen bis zum Schluss dem Kreuzfeuer der Kriegsparteien ausgesetzt waren, ist unbekannt. Sie leben jetzt wie Gefangene abgeschottet in riesigen Flüchtlingscamps. Dort gibt es auch gesonderte Internierungs-Lager, in denen die Armee Verhöre durchführt, um abgetauchte Rebellen zu finden. Neil Buhne, der Repräsentant der Vereinten Nationen in Colombo, beklagt sich über den nach wie vor mangelhaften Zugang zu den Menschen dort. "Wir können erst Kontakt aufnehmen, wenn die Leute aus den Verhörzentren rauskommen. Das wünschen wir uns anders.“
Tamilische Exilgruppen beschuldigen die UNO inzwischen, Statistiken mit Opferzahlen zurückzuhalten, um die sri-lankische Regierung zu decken. Europäische Medien hatten vor kurzem unter Berufung auf geheime UNO-Dokumente berichtet, dass allein zwischen dem 1. und dem 20. Mai täglich 1000 Menschen bei den letzten Gefechten im Nordosten Sri Lankas ums Leben gekommen sein sollen. Die Vereinten Nationen weisen das zurück. Niemand habe verlässliche Zahlen über die Opfer dieses Krieges, heißt es aus dem Hauptquartier in New York. Umso wichtiger wäre eine unabhängige Untersuchung. Vor allem für Sri Lanka, das seinen Frieden noch lange nicht gefunden hat.
Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Esther Broders